Internet-Saga: Wie ein Deutscher Twitter das Zwitschern lehrte (Spiegel Online, 18.4.2011)
Internet-Saga
Wie ein Deutscher Twitter das Zwitschern lehrte!
Twitter kennt jeder – doch keiner weiß, wer Florian Weber ist. Dabei hat der Deutsche als Chefentwickler den ersten Prototyp programmiert. Wer ist der unbekannte Geburtshelfer des größten Mikroblogging-Dienstes der Welt?
Spiegel Online, 18.4.2011
{jumi [*3]}
Hamburg – Rund 200 Millionen Menschen twittern, täglich rauschen 140 Millionen Botschaften über den Mikroblogging-Service ins Web. Der Dienst generiert Stunde für Stunde eine gigantische Infoflut.
Vor fünf Jahren sah das noch ganz anders aus. Da wurde die Plattform von einem Laptop in San Francisco aus gesteuert, dem Arbeitsgerät von Jack Dorsey, heute Produktchef bei Twitter. “Es waren nur zwei Leute bei Twttr – ich und @florian”, twittert er über den Anfang am 14. März 2006.
Was kaum einer weiß: Hinter@florian verbirgt sich Florian Weber aus Deutschland. Er ist der große Unbekannte der Twitter in den frühen Jahren auf die Sprünge half. Am Tag der Twitter-Premiere arbeitete Weber schon ein Jahr lang für die ursprüngliche Twitter-Firma Odeo. Er war durch Zufall als Entwickler zum Team gestoßen.
Zuvor hatte er in Hamburg Websites gebaut, dann hörte Weber von einem neuen Framework für Webanwendungen namens Ruby on Rails – heute unter anderem im Einsatz bei Twitter und Xing. Weber war neugierig, fragte den Erfinder David Heinemeier Hansson nach Details und war bald einer der ersten, die mit Ruby on Rails arbeiteten und es weiterentwickelten.
Das Start-up Odeo entwickelte damals gleichzeitig eine Podcasting-Plattform und suchte Entwickler, die sich mit der neuen Technik auskannten. Hansson empfahlWeber, er bekam ein Angebot per E-Mail und so arbeitete der Deutsche bald von Hamburg aus für das junge Unternehmen in San Francisco, das bald Twitter aus der Taufe heben sollte.
“Wir haben jeden Tag gemailt oder gechattet,”, sagt Weber über diese Zeit. “Ich war aber auch öfter für ein paar Monate in San Francisco. Ich bin nicht die Art Programmierer, der Vorgaben für eine Woche bekommt und die dann abarbeitet, ich will das Konzept mitentwickeln.”
Als Apple eine Podcasting-Plattform in iTunes integrierte, bekam Odeo ein Problem. Die Geldgeber wurden nervös, sagt Dom Sagolla, damals Chef der Qualitätssicherung: “Unser Aufsichtsrat war nicht sehr optimistisch, wir mussten uns neu erfinden. Der Reboot begann mit einem eintägigen Brainstorming.” Sagolla saß damals mit Jack Dorsey und anderen auf einer Rutsche im South Park in San Francisco, als Dorsey seine Idee vorstellte: “Ein Dienst, der kleinen Gruppen per SMS mitteilt, was einzelne Mitglieder gerade tun.”
“Twttr klingt gut, aber was bedeutet das?”
Jack Dorsey beschrieb Florian Weber die Idee mit einer Analogie zu Apples Chatprogramm iChat. “Damals haben viele Leute das kleine Statusfeld dazu genutzt, den Leuten in ihrer Kontaktliste mitzuteilen, was sie gerade tun. Also so etwas wie ‘ich bin gerade nicht am Platz’. Jack hatte das beobachtet und wollte nun einen Service bauen, der eine einfache Antwort auf die Frage ‘Was tust du gerade?’ geben sollte.” Nur sollten bei Twttr, wie der Dienst anfangs noch hieß, die Statusmitteilungen im Mittepunkt stehen und nicht nur Beiwerk sein.
Am 7. März 2006 begann die Arbeit, Jack Dorsey hat einige Fortschritte dokumentiert: die Arbeitspläne, die ersten Namens-Missverständnisse (Mitgründer Biz Stone schreibt, twttr “klingt gut, aber was bedeutet das?”).
Am 21. März war der Prototyp fertig und die Odeo-Mitarbeiter begannen, intern damit herumzuspielen. Entwickler Weber erinnert sich: “Dass die Idee funktioniert, merkten wir, als alle im Büro den Prototypen sofort benutzten. 14 oder 16 Leute, die täglich getwittert haben – das lief.” Am Anfang dominierte noch die Statusidee. Weber: “Ich glaube, es stand sogar ‘What are you doing?’ als Frage neben dem Eingabefeld, um die Nutzer zu animieren.”
Zwei Jahre lang Programmieren bis in die Nacht
Der Dienst kam so gut an, dass Twitter zu einem offiziellen Projekt von Odeo wurde. Und Florian Weber avancierte zum Chefentwickler. Er arbeitete dennoch weiter von Hamburg aus: “Das war wegen der Zeitverschiebung sehr anstrengend. Man kommt bei so einem Vorhaben ja nicht ohne einige Stunden synchroner Arbeitszeit aus, um sich auszutauschen.” Weber fing abends um sieben Uhr deutscher Zeit an und arbeitete bis in die Nacht. Für die Kollegen in San Francisco war es da erst Vormittag. Mit den anderen Entwicklern kommunizierte Weber vor allem per iChat, manchmal via Videotelefonie, meistens Textchat, um Programmcode hin- und herzuschicken und zu diskutieren.
Es war eine kreative Zeit. Weber, Dorsey und die anderen verwarfen bald einige Ideen (“So etwas wird ja immer erst konkret, wenn mehrere Menschen damit spielen”) – die zentrale Bedeutung von SMS zum Beispiel. “Die Idee am Anfang war, dass Twitter vor allem unterwegs sehr wichtig sein wird. Wir dachten, das würde den Dienst bei Teenagern extrem beliebt machen. SMS stellte sich dann als nicht so wichtig heraus, wie wir ursprünglich dachten”, berichtet der Hamburger.
500 Leute auf drei Etagen
Ende März 2006 lief Twitter in einer Beta-Version. Während der neue Dienst wuchs, verloren die Investoren das Vertrauen in das ursprüngliche Geschäftsmodell der Mutterfirma Odeo. “Die Relevanz von Odeo sank mit jedem Monat”, schreibt Dom Sagolla. Drastische Einschnitte wurden vorgeschlagen, Anfang Mai entließ Odeo-Mitgründer Evan Williams vier Mitarbeiter. Zwei weitere, darunter Twitter-Namensgeber Noah Glass, mussten etwas später gehen. Im April 2007 kaufte Williams die Anteile der Risikokapitalgeber schließlich zurück und gründete Twitter als eigenes Unternehmen aus.
Da war Florian Weber schon nicht mehr an Bord. Er hörte im Frühjahr auf, als Twitter-Chefentwickler zu arbeiten: “Die Arbeit war wegen des Zeitunterschieds und des vielen Reisens brutal. Ich hatte da zwei Jahre lang in Nächte hinein gearbeitet, ich wollte das nicht mehr machen. Ich hatte auch überlegt, in die USA zu ziehen, aber ich lebe gerne in Deutschland, ich wollte dann doch nicht so sehr weg.”
Bedauert hat er die Entscheidung nicht, sagt er: “Twitter ist doch eine großartige Referenz für mich, ich habe viel gelernt in der Zeit, viele Menschen kennengelernt, das hat mir sehr viel gebracht.” Zu einigen Kollegen hat er noch Kontakt, sie treffen sich, wenn er in San Francisco ist. Derzeit ist er wieder dort, diesmal geschäftlich für sein eigenes Start-up, das kurz vor dem ersten Beta-Test steht.
“Gestern habe ich Jack besucht”, sagt Weber, “und wurde der versammelten Mannschaft vorgestellt. Twitter ist heute ein Riesenladen im Vergleich zu der Zeit damals. 500 Leute auf drei Etagen – das Büro ist schon gewaltig.” Kein Vergleich mehr zur Anfangszeit vor fünf Jahren, als er Twitter das Zwitschern beibrachte.
{jumi [*5]}