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Internet-Versorgung: Mit dem Fernsehen aus der Surflücke (Spiegel Online, 27.3.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Internet-Versorgung

Mit dem Fernsehen aus der Surflücke

Die Internet-Not der deutschen Landbevölkerung ist groß. Funk-Zugänge zum Netz könnten Abhilfe schaffen – mit unerwarteter Unterstützung: durch freigewordene Fernseh-Frequenzen. Zwei Modellprojekte sollen das TV-Netz testen, bringen aber die Privatsender-Lobby auf die Palme.

Spiegel Online, 27.3.2008, mit Christian Stöcker

Millionen von Deutschen leben derzeit noch im Jahr 1995. Zumindest, was ihren Internetzugang angeht. Knapp 24 Prozent der Haushalte haben laut dem neuesten Bericht der Europäischen Union zum Thema einen Breitband-Zugang zum Netz – der Rest, also drei Viertel der Haushalte, hat keinen. Sieben EU-Länder sind besser vernetzt als Deutschland, an der Spitze steht Dänemark mit über 35 Prozent der Haushalte. Insgesamt ist das Bild nach wie vor ziemlich desaströs: Eine Region, die in erster Linie durch Innovation und Hochtechnologie im internationalen Wettbewerb bestehen will, lebt zu einem gewaltigen Prozentsatz in der telekommunikativen Steinzeit.

In den größeren Städten ist das Problem klein – dort hätten fast alle Menschen Zugang zu schnellen DSL-Anschlüssen, wenn sie denn welche wollten. Anders sieht es auf dem flachen Land aus: In über 40 Prozent der ländlichen Gemeinden gab es laut dem EU-Report Ende 2006 noch keine Möglichkeit, einen DSL-Zugang zu bekommen. Gerade für jüngere Menschen kann das Leben in der ländlichen Surflücke eine Qual sein. Musik- oder Software-Downloads? Youtube-Videos? Windows-Service-Packs? Das gibt es in gut 2200 deutschen Gemeinden nicht. Nun soll, geht es nach einigen deutschen Landesmedienanstalten, ausgerechnet ein altes Medium die Lücke in der Netzabdeckung schließen – das Fernsehen. Das wäre gut für viele Kunden – macht aber Betreiber privater Fernsehkanäle wütend.

Digitale Zauberei: Aus eins mach vier

Die Zahl der Fernsehkanäle ist hierzulande in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen – durch die Digitalisierung. Die Umstellung von analogem Antennenfernsehen auf digital terrestrische Übertragung (DVB-T) spart Platz im Fernsehwellen-Spektrum. Wo früher ein analoger TV-Kanal hinpasste, ist jetzt Raum für bis zu vier digitale Kanäle.

Netzbetreiber und Regulierer sprechen von der "digitalen Dividende" – plötzlich gibt es viermal so viele Frequenzen wie vorher, und die will man nun natürlich nutzen. Dazu kommt, dass gerade die Frequenzbereiche, in denen Fernsehen übertragen sind, besondere geeignet sind: Das Frequenzband um 700 Megahertz (MHz) herum habe "hervorragende Beugungs- und Brechungs-Eigenschaften", erklärt Hermann Lipfert vom Münchner Institut für Rundfunktechnik. Im Klartext: Signale in diesem Frequenzbereich kommen gut um Hindernisse herum und dringen sogar durch Wände – besser etwa als Handy-Signale. Die Fernsehfrequenzen wären damit ideale Kandidaten, um endlich drahtlose Internetverbindungen aufs flache Land zu bringen, wo die Telekommunikationsfirmen ungern teure Kabelstränge verlegen möchten.

Sogenannte Wimax-Übertragung, die eine Art W-Lan für weite Strecken darstellt, ließe sich auch auf anderen Frequenzen machen. Und in der Tat haben schon einige Anbieter Lizenzen für derartige Drahtlos-Internetversorgung erworben. Bis 2009 müssen sie sogar erste Ergebnisse vorweisen – sonst droht der Lizenzverlust. Die Fernsehfrequenzen, die nun erst ins Spiel kommen, sind aber für die Übertragung eben besonders gut geeignet.

Nun gibt es erste Ansätze für zwei Modellprojekte, die Möglichkeiten erkunden sollen, mit der digitalen Dividende zugunsten der vom Netz abgekoppelten Renditen zu erzielen. Zum Beispiel in Baden-Württemberg. Hier plant die Landesanstalt für Kommunikation (LfK) einen Pilotversuch. Darin soll noch in diesem Jahr Breitbandinternet auf Fernsehfrequenzen übertragen werden.

"Kein DSL, kein Kabel"

LfK-Präsident Thomas Langheinrich erklärt SPIEGEL ONLINE, die Breitbandversorgung im Ländle sei zwar gut, doch in einigen Gebieten gäbe es "ein massives Problem mit der Internetversorgung – kein DSL, in manchen Gegenden auch kein Kabel. Hier könnte eine Breitbandanbindung über Rundfunkfrequenzen helfen."

In den USA entwickelt sich derzeit eine ganz ähnliche Debatte – dort hat Google soeben erstmals die Forderung erhoben, ungenutzte Bereiche des TV-Sendespektrums für drahtlose Internet- und Telefonverbindungen nutzen zu dürfen. Die Forderung wird auch als Reaktion darauf interpretiert, dass Google damit gescheitert ist, selbst Lizenzen für herkömmliche Mobilfunkfrequenzen zu erwerben. Laut einem Bericht des "Wall Street Journal" verhandeln die Kabel-Giganten Comcast und Time Warner Cable derzeit zudem, ob sie gemeinsam mit den Unternehmen Sprint Nextel und Clearwire ein drahtloses Funknetz der vierten Generation – sprich, schneller als UMTS – aufbauen wollen. Die Unternehmen setzen ebenfalls auf die WiMax-Technologie. Dem Bericht zufolge geht es um ein Investitionsvolumen von mehreren Milliarden Dollar.

Im Ländle geht man etwas langsamer vor

In Baden-Württemberg werden zunächst kleinere Brötchen gebacken. Für den Pilotversuch soll in einer kleinen Gemeinde eine Frequenz genutzt werden, die eigentlich für DVB-T reserviert ist und Privatsendern zusteht. Langheinrich: "In Baden-Württemberg gibt es keinen Privatsender, der über DVB-T sendet. Die Frequenzen werden derzeit nicht genutzt."

Bevor der Test in Baden- Württemberg beginnt, wird in dem 16.000-Einwohner-Städtchen Wittstock bei Berlin ein ähnlicher Versuch anlaufen. Von Juli an sollen 100 Menschen zwölf Monate lang über Breitband-Internet über Rundfunkfrequenzen genießen. Am Projekt beteiligt: T-Mobile und Alcatel-Lucent. Auftraggeber: Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Ergebnisse wird es erst in im August 2009 geben.

So schnell wird das Breibandinternet also nicht per Rundfunk-Frequenzen in Deutschlands Offline-Dörfer kommen.

Diese Fragen sind zu klären:

Geben Fernsehsender Frequenzen ab?

Der Verband "Privater Rundfunk und Telekommunikation" (VPRT) kritisiert die Pilotprojekte: "Es besteht kein Mangelsituation, die die Verwendung von Rundfunkfrequenzen für Breitbandinternet rechtfertigen würden", erklärt VPRT-Sprecher Hartmut Schultz. Der Rundfunk brauche "frequenzmäßig Entwicklungsmöglichkeiten für neue mobile terrestrische Übertragungstechniken."

Kampflos werden die Sender die für sie reservierten Frequenzen nicht hergeben. Und hier könnten sich private und öffentlich-rechtliche Sender ausnahmsweise mal einig sein.

Was taugt die Technik?

Die Kritik der Sender wehrt LfK-Präsident Langheinrich ab: Es gäbe derzeit keinen Grund, die Vergabe von Rundfunkfrequenzen fürs Breitband-Internet zu diskutieren. Denn: "Wir wissen ja noch gar nicht, ob das überhaupt technisch machbar ist." Die offenen Fragen:

  • Wie weit und wie leistungsstark können die Signale gesendet werden? WiMax hat zwar tendentiell größere Kapazität als UMTS – aber auch damit muss die Bandbreite unter allen Nutzern innerhalb einer Funkzelle aufgeteilt werden. Sind zu viele online, sinkt das Tempo.
  • Stört die Internet-Anbindung die Fernsehübertragung auf anderen Frequenzen?
  • Wie viele Sendestationen sind nötig, um eine bestimmte Fläche zu versorgen – sprich: Wie teuer wird die notwendige Infrastruktur sein?

Nutzen Provider die Frequenzen auf dem Land?

Aber selbst, wenn die Technik überzeugt, und die Rundfunksender einige Frequenzen abgeben müssen, wird eine flächendeckende Breitbandversorgung nicht zwangsläufig die Folge sein. Da müssten schon Internet-Provider investieren und auf dem Land die notwendige Funk-Infrastruktur aufbauen. Das hat schon bei Technologien wie DSL und UMTS nicht flächendeckend geklappt. LfK-Präsident Langheinrich sieht hier ein mögliches Problem: "Es darf nicht passieren, dass dann auf einmal auch das Funk-Internet nur in größeren Kommunen verfügbar ist."

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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