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Internetangriffe aus China: Sie haben Spähpost! (Spiegel Online, 15.4.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Internetangriffe aus China

Sie haben Spähpost!

China und die USA führen seit Monaten Gespräche über Internet-Sicherheit – doch die Volksrepublik verbittet sich das Thema Späh-Angriffe. Nun belegen Botschaftsdepeschen, wie groß die Angst des Westens vor den Attacken wirklich ist. Auch Deutschlands Verfassungsschutz ist demnach alarmiert.

Spiegel Online, 15.4.2011

{jumi [*3]}

Hamburg – “China and Climate Change”, “China und der Klimawandel” stand in der Betreffzeile der E-Mails, die mehrere Mitarbeiter des US-Außenministeriums in ihrem Postfach fanden. Verschickt hatte die Nachricht ein bekannter Wirtschaftskolumnist des US-Magazins “National Journal” – zumindest stand das so im Absender und der Signatur der Nachricht. Die E-Mail-Adresse stimmte, die Kontaktinformationen auch. Jeder der Staatsbediensteten erhielt eine eigene, auf seine Funktion zugeschnittene Nachricht. Alle E-Mails empfahlen ein angehängtes PDF-Dokument zur Lektüre, Hintergründe zum Klimagipfel sollte es enthalten.

Tatsächlich transportierte das Dokument einen Schnüffelcode – über eine Sicherheitslücke hätten Angreifer beliebige Codes auf den infizierten Rechnern nachladen können. Der Angriff im Sommer 2009 schlug nur deshalb fehl, weil das US-Außenministerium diese eine Sicherheitslücke bereits auf allen Rechnern gestopft hatte. Die Machart ist typisch, schreibt die “Cyber Threat Analysis Division” in einer US-Botschaftsdepesche, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. Die Nachrichten scheinen Teil einer koordinierten Spear-Fishing-Attacke (auf einzelne Mitarbeiter einer Organisation zugeschnittener Angriff) zu sein, schreiben die Experten. Sie seien bezeichnend für Versuche, Informationen über US-Positionen beim Klimagipfel zu erlangen.

Lauschangriff per Schadsoftware in Frankreich

Solche Cyber-Angriffe belasten die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China. Vertreter beider Regierungen beraten laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters seit 14 Monaten über Fragen der Online-Sicherheit, Strafverfolgung und Handelsbeziehungen. Drei Treffen habe es bisher in Peking und Washington gegeben, teilgenommen hätten Diplomaten, Vertreter von Geheimdiensten, Strafverfolgung und Militär.

Das Problem: Die Online-Schnüffelangriffe habe man bisher nicht direkt besprechen können, berichtete ein Teilnehmer: “Die chinesischen Vertreter erstarren”, wenn das Thema angesprochen werde. Anfragen von Reuters zu diesem Sachverhalt haben das US-Außenministerium und die chinesische Botschaft in Washington nicht beantwortet.

Mehrere Staaten schreiben diese Art von Angriffen chinesischen Akteuren zu. Eine dem SPIEGEL vorliegende US-Botschaftsdepesche vom November 2008 berichtet von einer Sicherheitskonferenz im US-Stützpunkt Ramstein, an der Vertreter deutscher, französischer, kanadischer, britischer, niederländischer und amerikanischer Sicherheitsbehörden teilnahmen. Fazit: “Alle beteiligten Staaten sehen Regierungsvertreter im Visier chinesischer Akteure.” Französische Teilnehmer berichteten von Hacker-Angriffen, bei denen die Webcams hochrangiger Beamter per Schadsoftware für heimliche Lauschangriffe umfunktioniert wurden.

Hacker-Ziele sind Außen- und Verteidigungsministerien

Die Angriffe sind so verbreitet, dass US-Behörden eine eigene Bezeichnung erfunden haben: Ein Sicherheitsbericht des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2008 führt diese Art von Angriffen unter dem Titel “Byzantine Candor”. Man glaube, die Angriffe kämen aus China, heißt es in dem Bericht weiter. Ziele seien Netzwerke der US-Armee, des Außen-, Verteidigungs- und Energieministeriums, andere Regierungsstellen, Unternehmen und Internetprovider. Seit Beginn dieser Attacken Ende 2002 hätten die Angreifer Logins zu Hunderten von Computersystemen bei US-Regierungsstellen und Rüstungsunternehmen erlangt.

Auch Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz haben bei den Gesprächen in Ramstein laut US-Botschaftsdepeschen von Spear-Fishing-Angriffen berichtete, die denen auf US-Vertreter sehr ähneln. Zwischen Oktober 2006 und Oktober 2007 habe man mehr als 500 unterschiedlicher Spähangriffe per Spear-Fishing-Mail beobachtet. Absicht der Angriffe sei Spionage gewesen. Die gängige Methode seien glaubhaft formulierte E-Mails, die Empfänger zum Öffnen eines infizierten Dokuments oder einer Website mit Spähsoftware verleiten.

Verfassungsschützer halten Beamte für “extrem empfänglich”

Ende 2010 berichtete das Innenministerium, man habe rund 1600 “elektronische Angriffe mit nachrichtendienstlichem Hintergrund” zwischen Januar und September 2010 auf deutsche Bundesbehörden beobachtet. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz seien “deutlich über die Hälfte der identifizierungsfähigen elektronischen Angriffe mit unterschiedlicher Nachweisintensität auf staatliche Stellen in der Volksrepublik China zurückzuführen”. Eine der Schnüffelnachrichten landete zum Beispiel mit dem Betreff “Expo Shanghai 2010” in den Postfächern der Beamten bei Bundesbehörden – die angehängten Dokumente enthielten Spähsoftware, saugten interne Daten ab und übertrugen sie mehrmals nach Fernost, wie der SPIEGEL berichtete.

Schon 2008 waren die Verfassungsschützer besorgt über die Erfolge der Spähpost aus China. “Leider”, so die US-Botschaftsdepesche, “halten die Verfassungsschützer die Mehrheit der Empfänger für extrem empfänglich gegenüber diesen Social-Engineering-Angriffen”.

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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