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Ist SDMI bereits Hackfleisch? (SPIEGEL online, 17.10.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Ist SDMI bereits Hackfleisch?

Das Zukunftsformat für digitale Musik ist angeblich gehackt. Auch wenn die offizielle Bestätigung ausbleibt – das Konsortium steht offenbar nicht geschlossen hinter der Technik.

SPIEGEL online, 17.10.2000

An die absolut sichere digitale Verschlüsselung glaubt Leonardo Chiariglione nicht: „Weil wir über eine endliche Kombination von Zahlen reden, gibt es nichts, das nicht besiegt werden kann.“ Eigentlich ist es ja sein Job zu glauben. Chiariglione ist Vorsitzender der Secure Digital Music Initiative (SDMI), eines Industriekonsortiums von knapp 200 Musik- und Technologieunternehmen, die ein Format für Musik im Internet entwickeln wollen, bei dem Urheberrechte geschützt werden.

Nun scheinen die schlauen Worte schneller wahr zu werden, als SDMI samt Vorsitzendem lieb ist. In der Zeit vom 18. September bis zu, 8. Oktober hatten sie Hacker aufgerufen, verschiedene SDMI-Formate zu knacken. Nun berichtet das US-Netzmagazin Salon, alle zehn Technologien seinen erfolgreich gehackt. Salon beruft sich auf Aussagen von Mitglieder des SDMI-Konsortiums. Eine morgendliche Krisensitzung habe es gegeben, ein Teilnehmer berichtete anonym gegenüber Salon: „Sie werden es ruhig halten, offiziell wird es heißen, man analysiere noch die Ergebnisse.“

Und in der Tat lauten die offiziellen SDMI-Stellungnahmen genau so: 450 Einsendungen habe es gegeben, nun müssten Techniker prüfen, wie viele davon tatsächlich den Sicherheitsmechanismus geknackt hätten. Die Ergebnisse sollen erst bei der nächsten Sitzung de Konsortiums vom 8. bis zum 10 November in Washington vorliegen.

Und wenn wirklich sämtliche Verschlüsselungen gebrochen wurden? „Wenn die Technologie besiegt wurde, heißt das gar nichts. Wenn jemand ein Loch gefunden hat, sind das doch gute Nachrichten. Dann kann man den Algorithmus verbessern“, versucht sich Chiariglione in prophylaktischem Optimismus.

Egal, ob SMDI nun gehackt ist oder nicht – die Diskussion zeigt, dass nicht das gesamte Konsortium hinter dieser Technik steht. Das belegen die vielen anonymen Äußerungen von Firmenvertretern gegenüber Salon.

„Die einzigen, die SDMI mögen, sind Plattenfirmen und Unternehmen, die ihnen diese Technologie verkaufen wollen“, wurde Anfang des Monats etwa ein Technologieunternehmer zitiert. Aus der Sicht seiner Kollegen dürften zwei Punkte gegen die Herangehensweise von SDMI sprechen.

Zum einen konzentriert sich die Technik nicht so sehr auf den online –Vertrieb als vielmehr auf die gute alte CD. Die favorisierte SDMI-Technik ist nämlich eine Art Wasserzeichen, mit dem alle künftigen CDs versehen werden und das alle Abspielgeräte erkennen sollen. Letztlich funktioniert das so: Wer eine Musikdatei aus dem Netz lädt, die irgendwer von seiner CD abgenommen hat, wird sie weder auf dem heimischen CD-Player noch mit irgendeiner Software abspielen können – das Wasserzeichen fehlt.

Natürlich empört die Vertreter von Technologieunternehmen auch, dass bei solchen digitalen Wasserzeichen die Soft- und Hardware für viel Geld aufgerüstet werden müsse, dass enorme Computerressourcen und viel Zeit beim Abspielen und Kopieren solcher CDs verbraucht würden und die Technik überhaupt nicht benutzerfreundliche sei.

Doch eine andere Sorge dürfte sie viel mehr antreiben: Wenn SDMI tatsächlich das illegale Verbreiten von Musik übers Netz unmöglich macht und attraktive Vertriebsangebote der Plattenfirmen auf sich warten lassen – wer wird dann noch Software zum Abspielen brauchen?

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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