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IT-Legende: Der deutsche Bill Gates arbeitet vielleicht bald für den echten (Spiegel Online, 4.4.08)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

IT-Legenden

Der deutsche Bill Gates arbeitet vielleicht bald für den echten

Schwacher Dollar, starker Euro: Der aktuelle Wechselkurs macht die
USA zum Schnäppchenland – auch weil in Deutschland viele Geräte
überteuert sind. SPIEGEL ONLINE hat nachgerechnet, Preisaufschläge von
bis zu 59 Prozent festgestellt. Doch beim Eigenimport ist vieles zu
beachten.

Spiegel Online, 4.4.2008

Schwarzer Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte mit passendem Einstecktuch: Marco Börries sieht nicht aus wie der typische Silicon-Valley-Manager, wenn er auf IT-Konferenzen Eröffnungsreden hält. Das macht der Yahoo-Manager (39) ständig: Cebit, CES, Berkeley Digital Media – gestern stellte Börries auf der Mobilfunk-Messe CTIA Wireless in Las Vegas Yahoos neue Mobil-Suchmaschine vor, die auf gesprochene Anfragen reagiert. Wenn Börries Sätze sagt wie "Open is a big part of our strategy" klingt das sehr nach Silicon Valley. Doch Börries Erfolgsgeschichte begann vor 23 Jahren in Lüneburg.

Damals kam der 15-jährige Börries vom Schüleraustausch aus Palo Alto im Silicon Valley zurück. In seiner Gastschule dort standen 40 Macs, spendiert von Apple-Gründer Steve Jobs. Börries Gymnasium in Lüneburg war da mit gerade mal zwei PCs ausgestattet. Börries erinnert sich im Gespräche mit dem SPIEGEL (mehr…): "Programmieren haben wir in Lüneburg noch gelernt, aber nicht, was man alles damit machen kann. In den USA habe ich Präsentationsprogramme oder Textverarbeitung nutzen gelernt. Da kam die Idee, eine eigene Firma aufzumachen."

Diese Firma, "Star Division" gründete Börries – so erzählt es die Legende – mit 2000 Mark Konfirmationsgeld. Bei der Eintragung der offenen Handelsgesellschaft ins Handelsregister mussten 1985 seine Eltern unterschreiben – Börries war mit 16 nur bedingt geschäftsfähig. Er schmiss im selben Jahr die Schule und veröffentlichte die erste Version seines Programms StarWriter für die in Deutschland damals beliebten Heimcomputer Schneider CPC – etwa 80.000 dieser Rechner standen 1985 in Deutschland. Ein Jahr später erschien die erste StarWriter-Version für PCs.

StarWriter war billig und beliebt

Börries war aber kein genialer Eigenbrötler und Kellerbastler – er sah einen entstehenden Markt für günstige Heimsoftware und ließ Programmierer gegen Umsatzbeteiligung entsprechende Software schreiben. Die Software war für die meisten Anwender genauso nützlich wie die weit teureren Office-Anwendungen wie Microsofts Word und WordPerfect. Börries unterbot die Konkurrenz deutlich – StarWriter-Lizenzen kosteten etwa zwei Drittel weniger als die der Konkurrenzprogramme.

Schon im zweiten Geschäftsjahr machte Börries Firma "Star Divison" mit vier Mitarbeitern 1,5 Millionen Mark Umsatz, berichtete das "Handelsblatt". 1989 waren es 8,5 Millionen Mark – da war Börries 21 Jahre alt. Er kündigte an, 1992 "100 Millionen Mark Umsatz" zu machen. Dieses Ziel erreichte seine Firma allerdings erst 1996: Da hatte StarOffice laut einer Studie der Markforschungsfirma IDC in Deutschland einen Marktanteil von 26 Prozent – die Nummer 2 hinter Microsofts Office, das etwa zwei Drittel der legalen Office-Installationen ausmachte.

IBM zahlte Börries Firma einen satten Millionen-Batzen

Das war ein Achtungserfolg. 1995 winkte das ganz große Geschäft: IBM wollte StarOffice für das eigene Heimanwender-Betriebssystem OS/2 lizenzieren, Vorverträge waren unterzeichnet. Mit IBM als Partner hätte sich StarOffice womöglich in Unternehmen besser durchsetzen können. Daraus wurde aber nichts: IBM übernahm das US-Softwarehaus Lotus, das ein eigenes Office-Paket anbot. Börries stand ohne Partner da – aber mit einem Batzen Geld. Die "Zeit" schätzte damals, dass IBM 30 Millionen Mark zahlte, um aus den Verträgen aussteigen zu können.

Börries kämpfte weiter: Die einstige Garagenfirma Star Division beschäftigte in Hamburg mehr als 200 Mitarbeiter, verschenkte öffentlichkeitswirksam Software an Schulen, bot sie Universitäten radikal rabattiert an, gründete Büros in London, Paris und Mailand. Nebenbei gründete Börries 1997 mit Sparkassen-IT-Töchtern die Banking-Softwarefirma Starfinanz.

Google kopiert heute Börries Strategie von 1998

1998 sollte ein radikaler Schritt StarOffice bei Privatanwendern beliebter machen: Sie durften die Programme kostenlos nutzen und aus dem Web laden, zahlen sollten nur noch Unternehmen. Das sollte binnen zwei Jahren die Zahl der Anwender verdoppeln. Mit derselben Strategie versucht heute – zehn Jahre später – Google mit seinem Weboffice-Angebot gegen Microsoft anzukommen.

Börries ist aus diesem Rennen schon vor Jahren ausgestiegen: 1999 verkaufte er StarDivision an den US-Konzern Sun, bekam Aktien im Wert von gut 70 Millionen Dollar.

Börries zog mit Frau und zwei Kindern nach Kalifornien, arbeitete bei Sun mit Titeln wie "Vice President" und "General Manager Webtop and Application Software". Zwei Jahre blieb Börries als Angestellter bei Sun, dann gründete er eine neue Firma. Verdisoft sollte in Kalifornien und Hamburg eine Software zur Synchronisierung von Mobilgeräten und Rechnern entwickeln. HSV-Fan Börries kaufte ein Grundstück an Hamburgs Elbchaussee, Blick auf die vorbeifahrenden Schiffe, Preis angeblich vier Millionen Euro.

Das Haus verkaufte Börries als Rohbau weiter – und Verdisoft, ohne dass die Firma ein Produkt veröffentlicht hatte. Yahoo war so begeistert von Börries Software, dass der Konzern Anfang 2005 angeblich knapp 60 Millionen Dollar für Verdisoft bezahlte. Seitdem lebt Börries in Kalifornien, arbeitet als Manager bei Yahoo, treibt den Konzern ins Unterwegs-Netz und präsentiert auf IT-Messen weltweit Yahoos Anstrengungen. Zum 23. Mal war der 39-jährige in diesem Jahr auf der Cebit.

Wenn aber Microsoft mit seinem Übernahmeangebot (mehr…) für Yahoo Erfolg hat, wird Börries auf einmal zum Angestellten einer Firma, der er in Deutschland im Zweikampf über Jahre hinweg viele Prozentpunkte Marktanteil abluchste. Ob der deutsche für den Original-Bill-Gates arbeiten würde? Der "FAZ" wollte Börries darauf nur so antworten: "Den Vergleich mag ich gar nicht. Bill hat schon so viel erreicht."

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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