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IT-Legende Richard Garriott: Lord British erobert das All (Spiegel Online, 15.10.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

IT-Legende Richard Garriott

Lord British erobert das All

Spieldesigner Richard Garriott hat mit Computerspiel-Klassikern wie "Ultima Online" Genres begründet, Spieler-Generationen geprägt und viele Millionen verdient. Das ist Jahre her. Erst jetzt wird er richtig berühmt – als Weltraumtourist.

Spiegel Online, 15.10.2008

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Moment, wer ist da gerade
im Weltall als Tourist
auf der Internationalen Raumstation ISS? Der "amerikanische
Geschäftsmann Garriott", meldet das Radio, "US-Weltraumtourist",
"Astronautensohn" und "Multimillionär Richard Garriott", schreiben
Nachrichtenagenturen. Stimmt alles. Wer allerdings in den achtziger
oder neunziger Jahren mit Computerspielen in Berührung gekommen ist,
wird Richard Garriott (47) eher als Lord British kennen.

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Lord British – dieser Name stand auf der Verpackung eines der ersten
Computer-Rollenspiele überhaupt: "Akalabeth: World of Doom" – "designed
by Lord British". Das war 1979. Richard Garriott, damals gerade mal 19
Jahre alt, in Großbritannien geboren und in Texas aufgewachsen (sein
Spitzname Lord British rührte angeblich von seinem dort ungewohnten
Akzent), Sohn des US-Astronauten Owen K. Garriott, hatte das Spiel im
Sommer programmiert, während seines Ferienjobs in einem Computer-Laden.

Garriott verband seine Begeisterung für die Fantasy-Romane J.R.R.
Tolkiens und das mit Würfeln, Papier und viel Fantasie gespielte Rollenspielsystem D&D, das damals in den Vereinigten Staaten ein Massenphänomen war.

Garriott programmierte ein Spiel, in dem man allein in eine
Fantasy-Welt eintauchen, durch Verliese stapfen und Monster bekämpfen
konnte – was man in Fantasy-Welten so macht. Bis dahin konnten Spieler
solche Abenteuer allerdings nur in Gruppen mit anderen Rollenspielern
erleben, ihre Handlungen erzählen, sich vom Spielleiter die Spielwelt
beschreiben lassen und anhand von Würfen und Regelbüchern bestimmen,
wie nun die Spielwelt auf ihre Handlungen reagiert, wie das Abenteuer
weiter-, wie die Geschichte ausgeht.

Garriotts Spiel Akalabeth ließ den Computer diese ganze Regel-Arbeit
machen. Der Spieler erhält vom König – Lord British eben – immer neue
Aufgaben, muss immer mächtigere Monster bezwingen. Garriott hatte seine
Fantasy-Welt mit all ihren Fabelwesen dem D&D-Rollenspiel und
Tolkiens Büchern entlehnt – der Titel Akalabeth ist einem unvollendeten
Werk Tolkiens namens Akallabêth nachempfunden.

Garriotts Rollenspiel wurde zu einem Bestseller – für damalige
Verhältnisse. Mehrere zehntausend Exemplare von Akalabeth verkaufte
Garriott, die ersten verschickte er im Eigenverlag auf Disketten,
später vertrieb ein Softwarehaus den Titel für einen der ersten
Heimcomputer überhaupt, den Apple II.

1999, 20 Jahre nach Akalabeth, erschien der letzte Teil der
Ultima-Serie. Zwölf Ultima-Spiele hat Garriott entwickelt produziert,
das Rollenspiel-Genre geprägt und mit Titeln der "Ultima
Underworld"-Reihe die Egoperspektive für Computer-Rollenspiele populär
gemacht. Nebenbei machte Garriott ein Vermögen, 1992 verkaufte er sein
Spielstudio Origin an den Branchenriesen Electronic Arts, arbeitete
aber weiter für das Unternehmen. Sein Vermögen schätzt die "New York
Times" auf mehrere hundert Millionen Dollar.

Mitte der neunziger Jahre arbeitete Garriott an einem neuen Spiel,
eigentlich an einem neuen Spielgenre: Er wollte ein digitales
Gegenstück zu der sozialen Erfahrung der alten
D&D-Rollenspielgruppen schaffen. Online-Rollenspiel heißt das Genre
heute, wo Titel wie "World of Warcraft" (siehe Fotostrecke unten)
Mainstream sind.

Doch als Garriott an "Ultima Online" arbeitete, war das kein
Begriff. Es gab zwar schon zuvor Online-Rollenspiele wie "Meridian 59"
oder das AOL-Spiel "Neverwinter Nights", doch keines davon bot wie
"Ultima Online", die Möglichkeit, sich mit mehreren tausend anderen
Spielern in derselben Welt zu bewegen. Heute heißen solche Spiele
"Massive Multiplayer Online Role Playing Games" (MMORPG) –
Online-Rollenspiele, bei denen ein Haufen Leute mitspielt.

Auch in "Ultima Online" trat Lord British als Spielfigur auf – hier
aber gesteuert von Richard Garriott selbst, nicht von einer Software
wie in den "Ultima"-Titeln zuvor. Unter Computerspielern ist der Tod
von Lord British legendär. In der Betatestphase des Spiel, am 8. August
1997 wurde der eigentlich unsterbliche Lord durch eine Verkettung von
Softwarefehlern und Pannen verwundbar, was ein Spieler ausnutzte und
Lord British mit Feuerbällen tötete. Versteht sich, dass der
Weltenschöpfer anschließend wieder auferstand.

Von den Online-Rollenspielen kann Garriott bis heute nicht lassen:
In seinem im vorigen November erschienen Titel "Tabula Rasa" schlagen
sich Spieler in einer Science-Fiction Welt im "gegen mächtige
außerirdische Soldaten, gepanzerte Mechanoiden und gnadenlose Jäger"
durch. Kritiker lobten das Spiel – ein Meilenstein wie einst "Ultima
Online" ist es allerdings nicht.

Aber wie könnte Garriott auch zwei Titel übertreffen, die ein Genre
prägten, übertreffen. In den vergangenen Jahren interessierten sich die
großen US-Medien weniger für seine Spiele als für seine Hobbys.
Garriotts Plan, als Weltraumtourist ein paar Tage auf der Raumstation
ISS zu verbringen, brachte ihn sogar in die " New York Times".
In der Schlagzeile eines langen Artikels über seine Pläne und seine
große Sammlung von in der ehemaligen Sowjetunion zusammengekauften
Sputnik-Ersatzteilen nannte die "Times" Garriott dann schlicht "Mann
aus Texas".

Am gestrigen Dienstag ist Richard Garriott auf der ISS angekommen.
Er wird dort einige Experimente machen, mit Schülern funken und in zehn
Tage zur Erde zurückkehren – wo, das muss man leider sagen, auf den
Schöpfer von zwei Genre-begründenden Spiel-Klassikern wohl nur sehr
wenige vergleichbare Herausforderungen warten.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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