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IT-Legenden heute: Doom-Programmierer baut Raumschiffe (Spiegel Online, 3.2.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

IT-Legenden heute

Doom-Programmierer baut Raumschiffe

Programmier-Legende ohne Uni-Abschluss: John Carmack mag schnelle Autos, Raketen und Computerspiele. Am liebsten aber bastelt er. Der Egoshooter-Doyen werkelt an Raumschiffen, Leichtgewicht-Ferraris, Handy-Spielen – und der nächsten 3D-Grafikrevolution.

Spiegel Online, 3.2.2008

John Carmack ist erwachsen geworden. Vor zehn Jahren sah man den Programmierer, der 3D-Egoshooter mit Spielen wie Wolfenstein3D, Doom und Quake zum Massenphänomen gemacht hat und damit sein Vermögen verdiente, in der Öffentlichkeit meist mit Ferraris: Carmack raste am 4. August 1998 in seinem F40 bei einem Rennen in Texas an allen anderen Spieledesignern vorbei, eine Spritztour in Carmacks Testarossa fasste Reporter Marc Laidlaw 1996 so zusammen: "Er sieht kaum alt genug aus, um zu fahren, aber es gibt keinen Grund, nervös zu sein – der Verkehr staut sich."

Heute zeigt sich der 37-jährige Carmack lieber neben Raumschiffen. Seine Firma Armadillo Aerospace tüftelt seit acht Jahren an Mondlandefähren und Privat-Raumschiffen. Nächsten Samstag wird Carmack mit seinem Team wieder draußen, in der texanischen Einöde, eine neue Entwicklung testen: "Das könnte unser neuen Standardantrieb werden", kündigt Carmack in seinem Projektbericht auf Armadillos Webseite an.

So wie Carmack da in Aufsatzlänge von neuen Ventilen und anderen technischen Details des Antriebs schwärmt, hat er früher auch über seine Ferraris geschrieben. Der immer etwas blass wirkende, hagere Programmierer protzte nicht, sondern erging sich in technischen Details. In einem kleinen Beitrag im Programmiererforum Slashdot philosophierte Carmack über das Verhältnis von Gewicht zu Motorleistung.

Sein neuer, maßgefertigter Ferrari GTO werde wohl nur etwas mehr als eine Tonne wiegen ? da müsse er den Motor wohl drosseln lassen, denn "ein PS je Kilo ist jenseits von exzessiv und schon in der Einfach-dämlich-Region."

Interessen: schnelle Autos, Raketen und Programme

Carmack begeistert sich für die technischen Details von Ferraris, Raketen und schneller 3D-Grafik-Software. So wie sich seine Beiträge zu diesen Themen lesen, vertieft Carmack sich in die Technik, wie es ein Nerd tut: voller Hingabe, Leidenschaft und mit einem Anflug von Pedanterie. Diese Fähigkeit hat Carmack als Mittzwanziger zum Millionär gemacht. Er entwickelte die Grafiksoftware, mit denen Spieleklassiker wie Wolfenstein3D (1992) und Doom (1993) das Genre der 3D-Egoshooter definierten. So schnell, flüssig und detailreich wie hier hatten solche Spiele aus der Egoperspektive zuvor nicht ausgesehen.

Wenn über Carmacks Spiele und Verdienste geschrieben wird, liest man von höheren Polygonzahlen, in Echtzeit berechneten Schattenwürfen, Kollisionserkennung, Detailreichtum dank Normalzuordnung.

Das Programmiererhandwerk hat Carmack sich außerhalb der Schule und Uni beigebracht. Über seine nur wenige Semester währende Studentenzeit an der University of Missouri in Kansas City schrieb er einmal rückblickend: "Ich habe nur Informatikkurse belegt, aber die erschienen mir damals auch nicht so lohnenswert. Rückblickend hätte ich mehr davon haben können, aber ich hatte damals nicht die richtige Einstellung zum Lernen aus allen verfügbaren Quellen."

Carmacks Kindheit: "Raketen, Bomben, Comics"

Mit 14 Jahren soll Carmack laut dem Sachbuchautor David Kushner in den Computerraum seiner Schule eingebrochen sein, um einen Apple II Rechner zu stehlen. Carmack selbst fasste die Zeit so zusammen: "Ich war ein kleiner, amoralischer Dummkopf. Ich war arrogant, weil ich schlauer als andere war und ich war unglücklich, weil ich nicht die ganze Zeit über das tun konnte, was ich wollte." Ein Jahr habe er in einer Besserungsanstalt zubringen müssen. Abgesehen davon erinnert Carmack sich an eine typische Nerd-Jugend: "Hacken, Raketen, Bomben, Schweißen, Comics, Science-Fiction, D&D, Spielautomaten und so weiter."

Nachdem Carmack sein Studium geschmissen hatte, schlug er sich Anfang der neunziger Jahre mit Progammieraufträgen durch (darunter eine Numerologie-Software), verdiente 1000 bis 2000 Dollar im Monat und hoffte auf etwas Besseres. Ein Job beim Softwarehause Softdisk brachte den Wechsel: Dort traf Carmack 1990 John Romero, Adrian Carmack (nicht verwandt) und Tom Hall ? die vier Entwickler gründeten zusammen 1991 die Spielefirma id Software.

Ihr erster Titel, ein Jump’n’Run-Spiel um den kleinen Weltraumpiloten "Commander Keen" (Link: spielbare Flash-Version), hatte mit den folgenden 3D-Egoshootern dem Anschein nach wenig zu tun. Ein wichtiger Aspekt des id-Geschäftsmodells bestand aber schon damals: Die Programmierer boten anderen Spielefirmen die Software-Basis zur Lizenzierung an. So konnte id Software aus den Programm-Kunststücken von Carmack und Carmacks Team nicht nur mit den eigenen Titeln Kapital schlagen. Die Spiele selbst verbreiteten sich quasi von selbst: Als Shareware verteilt waren sie damals auf jedem Trödelmarkt zu haben – "Commander Keen" wurde auf Floppy-Discs verteilt, die erste Folge war 238 Kilobyte klein.

Handyspiele fordern die Programmierer heraus

Carmack ist der einzige der vier Gründer, der heute noch bei id Software arbeitet. Er ist weiterhin der Chefprogrammierer. Carmack hatte – laut id-Geschäftsführer Kevin Cloud – die Idee, Handyspiele zu entwickeln, als er im Urlaub am Strand aus Langeweile mit dem Handy seiner Frau experimentierte. Die im Vergleich zu Computern eingeschränkte Leistung der Geräte habe Carmack als Programmierer herausfordert. Diese Begeisterung hat id Software einträgliche Titel wie "Doom RPG" und "Orcs & Elves" beschert.

Im Moment arbeitet Carmack an einer neuen Grafik-Softwarebasis für id’s nächsten Egoshooter "Rage", kündigt schon einmal eine Linux-Version als wahrscheinlich an, plädiert für Open-Source-Software und wettert auf Slashdot gegen Software-Patente. Carmack ist ein Vorzeige-Geek. Und vielleicht bringt er als Raketentüftler die Raumfahrt einmal so viel weiter wie die Computerspielwelt. Er selbst ist da ganz optimistisch.

2006 schrieb Carmack in einem Beitrag im Forum von Hobbyspace.com: "Bei meiner letzten Bilanz hatte ich etwa zwei Millionen Dollar für Armadillo ausgegben ? weniger als ich dachte. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht es in naher Zukunft nicht ins All schaffen sollten."

Also fährt Carmack Samstag wieder in die Einöde, Raketenantriebe testen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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