IT-Legenden heute: MP3.com-Gründer pflegt Dealipedia (Spiegel Online, 11.2.2008)
IT-Legenden heute
MP3.com-Gründer pflegt Dealipedia
Michael Robertson hat mit der Musikindstrie und Microsoft Prozesse ausgefochten – und dabei Millionen verdient. Seit Jahren ist es ruhig um den Krawall-Gründer. Robertson investiert, bloggt und dokumentiert nun in seiner "Dealipedia", wer wieviel an IT-Übernahmen verdient.
Spiegel Online, 11.2.2008
Blonde Haare, blaues Hemd, weiße Zähne, breites Lächeln: Michael Robertson gibt auf seiner Webseite den Geschäftsmann. Er lächelt, gründet, investiert und verkauft mit Gewinn. Robertsons Selbstdarstellung stimmt: Der 40-jährige Kalifornier hat MP3.com, die einst neben Napster bekannteste Musikseite im Web gegründet, 1999 an die Börse gebracht, 2000 in eine empfindliche Urheberrechtsklage gesteuert und 2001 gerade noch rechtzeitig für 372 Millionen Dollar an den französischen Konzern Vivendi-Universal verkauft. Der quirlige Robertson gründete mit seinen neuen Millionen fleißig weiter Firmen. Robertsons neues Projekt dokumentiert diese Geschäftswut: In seiner "Dealipedia" will er in Wikipedia-Manier Freiwillige die Details von IT-Deals erfassen lassen: Wer kauft wen, wer verdient wie viel bei Übernahmen, Börsengängen, Beteiligungen und so weiter. Robertson erklärt in seinem Blog: "Ich bleibe bei solchen Deals gerne auf dem Laufenden, aber das ist eine Herausforderung, weil ich ständig viele Print- und Online-Quellen überwachen muss."
Mit den existierenden Archiven für solche Informationen ist Robertson auch unzufrieden – sie sind dem Multimillionär zu teuer. Robertson: "Die kosten in der Regel 1000 oder mehr Dollar Jahresabogebühr und haben oft nur einen Teil der Geschäfte. Solche Daten sollten nicht in kommerziellen Datenbanken verschlossen sein." Zum Start präsentiert Robertson 18.000 Dealipedia-Einträge, darunter ein paar saftige Details, die – so verspricht Robertson – zuvor vorher nirgends zu lesen waren. Zum Beispiel hat laut Dealipedia Yahoo im Mai 2005 für das Fotoportal Flickr den Schnäppchenpreis von 25 Millionen Dollar bezahlt – die Gründer Stewart Butterfield und Caterina Fake sollen jeweils nur läppische fünf Millionen Dollar verdient haben.
Zum Vergleich: In seiner Selbstoffenbarung gibt Robertson an, am MP3.com-Verkauf persönlich 115 Millionen Dollar verdient zu haben. Und: "Zusätzlich zum Kaufpreis zahlte Vivendi Universal 14 Millionen Dollar, die unter allen MP3.com-Angestellten aufgeteilt wurden – sogar an die Wachleute, die bei einer anderen Firma angestellt waren." Wie hier rückt Robertson sich gern ins rechte Licht – er hat ein Talent für die richtige Show, das war auch einer der Gründe für den Erfolg von MP3.com. Ein ungewöhnliches Talent für einen Technik-Tüftler.
Robertson ist so einer. Er lässt sich in sehr langen Blog-Einträgen zum Beispiel über neun Dinge aus, die das iPhone nicht kann" (drahtlose Tastaturen erkennen, jederzeit drahtlos Daten abgleichen usw.) und referiert aus dem Stand eigene Erfahrung mit dem Nokia E61, dem Palm Treo und einem Blackberry. Kein Wunder: Robertson hat Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre als Student (Kognitionswissenschaft) in San Diego an der "University of California" als Mac-Administrator am "San Diego Supercomputer Center" (SDSC) gearbeitet und nebenbei die Kolumne "Mr. Mac" für das lokale Nerd-Blättchen "ComputerEdge" geschrieben.
Robertson mailt Dilbert-Witze durchs Web
Im Web kann man heute noch einige Spuren Robertsons von damals nachverfolgen: Er gab im Juli 1993 Kurse in "Desktop Publishing" am SDSC, schickte 1995 begeistert Kolumnen von Dilbert-Schöpfer Scott Adams an Mailing-Listen weiter (Betreff: "Warum Computer Geeks die neuen Sexsymbole sind" – Robertsons Kommentar: "das ist wirklich witzig") und fragte 1996 in FreeBSD-Mailinglisten um Rat bei der Installation von Unix-Komponenten.
Robertson gründete dann eine Reihe von Startups, warb in Newsgroups um Mitarbeiter. O-Ton Robertson im Juli 1995 in einem Forum für Windows-Programmierer: "Eine spannende Chance bei einem Startup, das an einem Multimedia-Werkzeug arbeitet." P.S.: "Du musst eine Programmier-Maschine sein." Robertsons Firma "MR Mac Software" programmierte Werkzeuge für AppleTalk-Netzwerke, "Media Minds" entwickelte und verkaufte die Fotoalben-Bastel-Software PictureAlbum, die "Z Company" entwarf Seiten für das gerade aufblühende Web.
MP3.com galt als legale Entdecker-Plattform
1997 sprang Robertson dann auf den MP3-Hype auf. Er beobachtete bei seiner FTP-Suchmaschine Filez.com die wachsende Nachfrage nach diesen Musikdateien, kaufte die Domain MP3.com und baute sie schnell zu einer echten Musik-Webseite um. Im Gegensatz zu Napster legte MP3.com großen Wert auf ein redaktionell gepflegtes Download-Angebot mit legal angebotener Musik junger, unbekannter Gruppen.
Aber auch David Bowie veröffentlichte auf MP3.com im Jahr 2000 einige Alben – kostenlos zum Beispiel Archiv-Aufnahmen seiner BBC-Auftritte zwischen 1968 und 1972. MP3.com stand weniger für nicht unbedingt legale Digitalkopien bekannter Alben, mehr für interessante, neue Musik.
1999 ging MP3.com an die Börse, nahm 370 Millionen Dollar ein. Anfang 2000 verklagte der US-Musikverband RIAA dann MP3.com wegen Urheberrechtsverstößen auf Schadensersatz. Es ging dabei gar nicht um für jedermann verfügbare, illegale Downloads, sondern um zwei Dienste, die CD-Besitzern sofort MP3-Versionen ihrer Platten im Web anboten: Beim Angebot "Instant Listening" konnten Kunden, die online eine CD bei einem MP3.com-Partner kauften die Musik sofort im Web als MP3 hören, bei "Beam-It" eine im PC eingelegte Musik-CD als MP3-Samlmung in ihrer MP3-Online-Datenbank speichern.
Die Richter entschieden gegen MP3.com, die Firma zahlte 200 Millionen Dollar Schadensersatz, wurde dann 2001 für 372 Millionen Dollar von Vivendi Universal übernommen und fortan Stück um Stück auseinandergenommen, 2003 schließlich an Cnet weiterverscherbelt.
Robertson tritzt Microsoft PR-trächtig mit Simpel-Linux
Als einziger Gewinner aus dem MP3.com-Streit ging Michael Robertson hervor. Finanziell zumindest. 2003, als der Neueigentümer Cnet die noch verbleibenden MP3.com-Bestände zusammenstrich, weinte Robertson im "San Diego Union-Tribune" dem Angebot hinterher: "Man kann die Musik nirgends auf der Welt finden. Die Stücke auf MP3.com verschwinden nun für immer und das ist eine Schande."
Robertson gründete fleißig weiter: Seine Firma Linspire verkauft ein Linux-Distribution, die optisch an Windows erinnert. Robertson – immer um PR bemüht – provozierte nach der Musikindustrie dieses Mal Microsoft mit dem Produktnamen "LindowsOS". Microsoft klagte, die Prozesse zogen sich bis 2004 hin, der Kompromiss sah am Ende so aus: LindowsOS benannte sich in Linspire um, Microsoft zahlte der Firma 20 Millionen Dollar. Robertson gründete außerdem noch den Skype-Konkurrenten SIPphone und die Musik-Online-Backup und Abspiel-Plattform MP3tunes.
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