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IT-Legenden: Paypal-Gründer Max Levchin wirft mit Pandas (Spiegel Online, 28.4.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

IT-Legenden

Paypal-Gründer Max Levchin wirft mit Pandas

Der Informatiker Max Levchin ist seit dem Verkauf des Online-Bezahldienstes Paypal an eBay 100 Millionen Dollar reich – und besessen: Er will den Paypal-Erfolg noch einmal übertreffen. Mit Slide.com ist er näher dran als je zuvor – eine Milliarde Dollar Firmenwert fehlt noch.

Spiegel Online, 28.4.2008

Stellt man sich Max Levchins Karriere als Diashow vor, tauchen diese Fotos auf: Der hagere, schmächtige, bleiche Levchin steht am 14. Februar 2002 in Baseballjacke und weißem T-Shirt vor einem grauen Bürogebäude, eine vergoldete Papierkrone auf dem Kopf, eine Zigarre in der Hand.

Sieht aus wie eine Abi-Party, ist aber die Feier der eben zu Millionären gewordenen Gründer des Online-Bezahldienstes Paypal. Auf diesem Foto ist Levchin, Paypal-Gründer und Neu-Millionär, 28 Jahre alt. Es ist Paypals erster Tag an der Börse. Die sechs Jahre seit diesem Tag arbeitete Levchin daran, seinen frühen Ruhm zu übertreffen, nicht mehr überall als "Paypal-Mitgründer" genannt zu werden, sondern als Schöpfer von etwas eigenem.
Derzeit ist er mit seiner neuen Firma Slide nahe dran. Mit Slide können Nutzer auf ihren Profil-Seiten bei Netzwerken wie Facebook und MySpace kostenlos Diashows, Gästebücher und Nonsens-Anwendungen einbinden, bei denen man andere mit Pandas, Schafen oder Schweinen bewerfen kann. Eine halbe Milliarde Dollar soll Slide.com wert sein – so bezifferten zumindest im Januar Investoren den Wert, das US-Wirtschaftsmagazin "Portfolio" zeigt Levchin auf der Titelseite der Mai-Ausgabe. Schlagzeile: "Brillant!"

Das dürfte Max Levchin freuen. Er ist ein Getriebener.

American Dream

Als Paypal an die Börse geht, lebt Maximillian Rafael Levchin gerade mal seit zwölf Jahren in den Vereinigten Staaten. Mit 16 wanderte er mit seinen Eltern aus Kiew nach Chicago aus. Seine Mutter hatte in Kiew als Ingenieurin gearbeitet, Levchin spielte an den Computern in ihrem Forschungslabor, schrieb mit zwölf in der Programmiersprache Assembler Software. In den Vereinigten Staaten studierte Levchin Informatik – an der University of Illinois in Urbana-Champaign, wo auch schon Netscape-Gründer Marc Andreessen und Microsoft-Entwicklungschef Ray Ozzie lernten.

Nach dem Bachelor-Abschluss gründete Levchin 1997 seine ersten Unternehmen – Software-Firmen, die Internet-Tools anboten. Eines davon entwickelt eine Verschlüsselungs- und Bezahl-Software für Palm-Minicomputer.

Schnelles Geld: Levchin sorgt mit Paypal-Verkauf aus

Bald arbeiten die Gründer an einem Bezahldienst fürs Internet, fusionieren mit einer andern Firma zu Paypal. Levchin entwickelt hier eine der ersten CAPTCHA-Anwendungen. Heute sind diese aberwitzigen Buchstabenkombinationen (wie 5Z28AF oder 6X45QR) allgegenwärtig. Wer sich im Web in Foren oder Portalen registrieren will, muss diese Phrasen aus schwer lesbaren Grafiken abtippen, um zu beweisen, dass er ein Mensch und kein Spam-Roboter ist.

Instrumente wie CAPTCHAS machen Paypal damals zu einem der sichereren Online-Bezahldienste. Der Auktionsriese Ebay übernimmt die Firma im Oktober 2002. Da ist Levchins Anteil (2,3 Prozent) in Ebay-Aktien umgetauscht 34 Millionen Dollar wert – heute wird sein Vermögen auf 100 Millionen Dollar geschätzt.

Millionärs-Frust: Levchin sucht eine Aufgabe

Aus der Zeit nach dem Ebay-Deal stammt dieses Urlaubsfoto Levchins: Er ist mit seiner Freundin in Italien, posiert in einem T-Shirt mit dem Slogan "¥€$" – ein lautes "Ja" in Yen-, Euro- und Dollarzeichen. Genießt Levchin sein neues Millionärsleben? Falls er das je hat, währte das nicht lang.

Die Zeit nach dem Abkassieren beschrieb Levchin in der "New York Times" so: Das erste Jahr habe er sich "wertlos und dumm" gefühlt, da er keinen Plan hatte, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte. Er habe sich zu jung gefühlt, um eine Stiftung zu gründen und sich für wohltätige Zwecke zu engagieren. Und: "Ich mag es, am Strand zu sitzen, Zeit mit meiner Freundin zu verbringen und mit dem Hund zu spielen. Aber das sind drei Stunden am Tag. Was mache ich mit den übrigen 18, die ich wach bin?"

Der Vorschlag seiner Mutter: Levchin soll endlich einen Doktortitel machen. Levchin versucht es mit etwas anderem: Er finanziert und produziert mit seinem Ex-Paypal-Kollegen David Sacks den Kinofilm "Thank you for Smoking". Finanziell ist der Film ein Erfolg (bei sechs Millionen Dollar Budget 24 Millionen Einnahmen allein an US-Kinokassen), doch Levchin trauerte in einem Interview zum Filmstart im Wirtschaftsmagazin " Forbes" seiner Paypal-Zeit nach: "Ich habe mein Baby verkauft."

"Größer als Paypal"

Immerhin hatte Levchin damals schon ein neues Baby, die Firma Slide. Das Konzept beschrieb Levchin 2006 so: "Das langfristige Ziel ist es, eine neue Art von Browser zu entwerfen, der Nutzern Informationen aus dem Netz holt. Der Nutzer wird fast völlig passiv sein." Und, so Levchin damals: "Ich bin überzeugt, dass das größer sein wird als Paypal."

Das scheint an ihm zu nagen: Er war nur einer von mehreren Paypal-Gründern, er hatte nur diesen einen großen Erfolg. Immer wieder spricht Levchin in Interview davon, dass er nicht einmal in einem "Was macht eigentlich"-Artikel auftauchen will, dass er aus dem Paypal-Schatten hervortreten und beweisen muss, dass Paypal kein Zufallstreffer war. Sein Freund James Hong (hat als Gründer der Seite HotOrNot.com ausgesorgt) beschrieb Levchins Ehrgeiz dem "San Francisco Chronicle" einmal so: "Aus allem wurde ein Wettbewerb. Wer kann mehr Liegestütze machen? Er musste immer zwei mehr als ich schaffen."

Seine Freundin Nellie erzählt über das gemeinsame Leben in einem erstaunlich offenen Gespräch mit der "New York Times": "Wir gehen manchmal zusammen essen, er schläft ein paar Stunden, er macht Sport. Ansonsten arbeitet Max." In dem neuen, gemeinsamen Haus der beiden in San Francisco (Kaufpreis 5,3 Millionen Dollar) hatte er seine Umzugkartons nach fünf Monaten noch nicht ausgepackt.

Der Mann mit dem ¥€$-T-Shirt hat noch viel zu tun. Selbst wenn Slide.com auf dem Papier eine halbe Milliarde Dollar wert ist, fehlt noch immer eine ganze, um an den Paypal-Erfolg heranzukommen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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