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Japan: TV-Show zeigt Menschen-Tetris (Spiegel Online, 9.7.2007 )

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Japan

TV-Show zeigt Menschen-Tetris

Die absurdeste Fernseh-Unterhaltung sieht in Japan aus wie ein Videospiel: Es gibt Zwischen-Sequenzen, Level, Punkte und Bonus-Kekse zum Einsammeln. B-Promis geben die Spielfiguren, zwängen sich in silberfarbene Strampler und durch winzige Mauerritzen.

Spiegel Online, 9.7.2007

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Choi Hong-man ist einfach zu groß: 218 Zentimeter hoch, 160 Kilo schwer – der südkoreanische Kickboxer blamiert sich live im japanischen Fernsehen. In einem silbern glänzenden Strampel-Anzug steht er auf einer Planke über einem Wasserbecken. Auf ihn rollt eine pinkfarbene Wand zu, in der Mitte eine Öffnung – der Umriss eines schlanken Mannes, der ein Bein hochstreckt. Diese Haltung soll der Kickboxer annehmen, sich irgendwie durchzwängen. Er schafft es nicht, die Wand rammt ihn, zerbricht, er plumpst ins Wasser und das Publikum lacht.

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Menschen als Spielsteine – das ist ein Element der japanischen Fernsehshow "Tunnels no Minasan no Okage Deshita". Besonders witzige Ausschnitte wie der Auftritt des Kickboxers mit dem Spitznamen "Techno Goliath" kursieren im Web als "Menschliches Tetris". Tatsächlich erinnert die Show ein wenig an das legendäre Spiel: Man muss Spielsteine richtig drehen, um weiterzukommen. Beim Ur-Tetris fielen die eckigen Steine allerdings von oben in einen Behälter und mussten so gedreht werden, dass sie möglichst wenig Platz ungenutzt ließen.

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TV-Unterhaltung nach Videospiel-Regeln

Die Regeln bei "Tunnels no Minasan no Okage Deshita" sind ein wenig anders. Hier macht sich auf "Fuji TV" regelmäßig B- und C-Prominenz in zwei gegnerischen Teams zum Affen, versucht sich durch aberwitzige Formen in den rollenden Wänden zu zwängen. Trotzdem ist der Vergleich mit einem Videospiel treffend. Denn diese TV-Show sieht aus wie ein Spiel, folgt derselben Dramaturgie. Ein Beispiel mit dem japanischen Sänger Eiji Wentz:

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Wentz versucht sich der absurden Form auf der Wand anzupassen – einem Zwerg mit Wasserkopf. Kandidat Wentz hockt sich hin, versucht auf einem Bein zu stehen – und versagt. Die Wand rammt ihn, er plumpst ins Wasser und sofort sehen die Zuschauer den riesigen Schriftzug "not clear", der am Ende eines verlorenen Spiellevels auf dem Bildschirm prangt. Es folgt die Wiederholung – samt Animation der richtigen Körperhaltung.

Vier Kekse und ein Laufband

Andere Fernseh-Shows im japanischen Fernsehen treiben diese Spiellogik noch weiter. Da müssen die Kandidaten zum Beispiel auf einem immer schneller werdenden Laufband vorankommen – und dabei innerhalb von 30 Sekunden vier Kekse einsammeln und beim Rennen aufessen.

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Solche Shows haben eine lange Tradition im japanischen Fernsehen. Eine der ersten war "Takeshis Castle" – entwickelt, produziert und moderiert vom Regisseur Takeshi Kitano. Diese Show lief zwischen 1986 und 1989 beim Privatsender TBS, war später auch in Deutschland zu sehen. Auch hier müssen sich die Kandidaten durch verschiedene Level bis zum Schloss des Spielleiters Kitano durchkämpfen.

Sie balancieren dabei zum Beispiel auf geländerlosen Hängebrücken über Wasser und werden dabei mit Volleybällen beschossen. Am Ende müssen die Kandidaten an Seilen die Mauern von Kitanos Schloss hinaufklettern, während er sie mit Bällen beschießt.

Kitano wird immer wieder mit der Aussage zitiert, er habe "Takeshis Castle" als eine Art "echtes Super Mario Spiel" konzipiert. Und ganz gleich, ob er das tatsächlich gesagt hat: Kitano und seine Nachfolger im japanischen Fernsehen haben genau das geschaffen – Fernsehshows, die wie Videospiele funktionieren. Und inzwischen sehen sie sogar ein wenig so aus wie ihre Vorbilder – Menschen-Tetris eben.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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