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John McCarthy: Der Vater der Rechner-Cloud ist tot (Spiegel Online, 25.10.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

John McCarthy

Der Vater der Rechner-Cloud ist tot

Der Informatiker John McCarthy prophezeite 1961, dass es eines Tages Cloud Computing geben wird. Er prägte den Begriff künstliche Intelligenz und erforscht jahrzehntelang ihre Grundlagen. Im Alter von 84 Jahren ist McCarthy gestorben.

SPIEGEL ONLINE, 25.10.2011

{jumi [*3]}

1961 hielt der Informatiker John McCarthy am Massachusetts Institute of Technology eine Rede zum hundertjährigen Jubiläum der Hochschule. Er beschrieb damals sehr präzise eine Entwicklung, die seit ein paar Jahren unter dem Begriff Cloud Computing als neue Erfindung gefeiert wird. McCarthy prognostizierte:

“Wenn Computer der Art, wie ich sie befürworte, sich in der Zukunft durchsetzten, wird Rechenkraft eines Tages vielleicht als Versorgungsdienstleistung organisiert sein, so wie es heute das Telefonnetz ist. Die Computerversorger könnten die Grundlage einer neuen, wichtigen Industrie sein.”

In dieser Zukunft leben wir heute: Unternehmen und Privatnutzer kaufen nicht mehr für jeden Einsatzzweck große Software-Pakete, die sie auf eigenen Rechnern oder Servern installieren. Sie nutzen diese Software als Dienstleistung, greifen über das Internet auf Programme zu, die auf Servern von Anbietern wie Google, Amazon und Microsoft laufen. Ein einfaches Beispiel für einen solchen Cloud-Dienst ist Google Mail. Statt auf jedem Rechner und Mobiltelefon ein spezielles Mailprogramm zu installieren, greifen viele Nutzer über den Browser auf Googles Maildienst zu.

John McCarthy hat diese Zukunft erlebt, er nutzte zum Beispiel für seinen E-Mail-Verkehr Google Mail. McCarthy ist im Alter von 84 Jahren gestorben, wie die Stanford Universität mitteilt.

McCarthy kam am 4. September 1927 in Boston zur Welt. Sein Vater war aus Irland eingewandert, seine Mutter aus Litauen. McCarthy studierte Mathematik, schloss 1951 eine Doktorarbeit in Princeton ab. Er lehrte zuerst in Princeton, dann in Stanford Mathematik, 1962 wurde er Informatik-Professor in Stanford. Seine akademische Karriere und die aus seiner Sicht wichtigsten Erfolge hat McCarthy auf seiner Homepage aufgeführt.

McCarthy legte die Grundlagen für künstliche Intelligenz

McCarthy legte die Homepage an, weil ihn das ständige Ausfüllen von Formularen zur eigenen Laufbahn nervte. Als Idealzustand schwebte ihm vor, in Zukunft einfach die Web-Adresse des einmal verfassten Lebenslaufs in solche Formulare zu schreiben. Vielleicht könnten in Zukunft Programme die Informationen automatisch von solchen Seiten abgreifen. Es sollte ein neues Bürgerrecht geben, schrieb McCarthy wohl nur halb im Scherz, demnach Universitäten, staatliche Organisationen und Firmen Menschen nie mehr abverlangen dürften, in einem Standard-Lebenslauf veröffentlichte Informationen erneut in Formularen einzutragen.

Folgt man McCarthys knapper Autobiografie, sah er die Arbeit auf dem Gebiet künstlicher Intelligenz, die Entwicklung der Programmiersprache LISP und die Vorläufer-Konzepte fürs Cloud-Computing als seine größten Erfolge.

Seit 1948 forschte McCarthy an künstlicher Intelligenz. Den Begriff verwendete er 1955 in einem mit den legendären Informatikern Claude Shannon, Marvin Minsky und Nathaniel Rochester verfassten Forschungsantrag. Die Grundannahme der Wissenschaftler: “Jeder Aspekt des Lernens und andere Eigenschaften von Intelligenz können im Prinzip so präzise beschrieben werden, dass eine Maschine sie simulieren kann.” Von 1965 bis 1980 leitete McCarthy das Artificial Intelligence Laboratory an der Stanford University.

Lisp – die unsterbliche Programmiersprache

1958 hat McCarthy die Programmiersprache Lisp entwickelt – der Name ist ein Akronym für List Processing, er bezieht sich auf die Struktur des Quellcodes von in Lisp geschriebenen Programmen, der im Wesentlichen aus Listen besteht. Joseph Weizenbaum programmierte sein legendäres Programm Eliza in Lisp. Die Software beantwortete schriftliche Fragen in natürlicher Sprache – ein Meilenstein in der computergestützten Verarbeitung von Sprache. Der Mathematiker Brian Hayes schrieb 2006 im “American Scientist” eine Hymne auf Lisp: Wenige Programmiersprachen – vor allem Fortran und Lisp – scheinen unsterblich zu sein, der Rest kommt wie die Wellen am Strand, die im Sand versickern.”

Nach seiner Pensionierung 2001 schreib McCarthy weiterhin in Usenet-Gruppen Kommentare zu Weltpolitik und Umweltschutz, einige dieser Debattenbeiträge veröffentlichte er auf seiner Homepage. Er verfasste eine Science-Fiction-Kurzgeschichte und hielt Vorträge.

McCarthy ist auch der Autor vieler Aphorismen. Die seiner Ansicht nach besten hat er im Web veröffentlicht. Zum Beispiel diese:

  • “Persönliche Unehrlichkeit ist gar nicht notwendig, um einen unehrlichen Geschäftsplan oder wissenschaftlichen Aufsatz zu schaffen. Wunschdenken genügt.”
  • “Einen Abschnitt über ‘zukünftige Forschung’ in einen wissenschaftlichen Aufsatz zu schreiben erinnert an einem Hund, der die Grenzen seines Reviers markiert, indem er an Bäumen das Bein hebt.”
  • “Menschen trauern, wenn eine Person stirbt, aber niemand bedauert die Milliarden von Darmbakterien, die sein Sterben auch zum Tod verdammt. Das nenne ich Speziesismus.”

Am 23. Oktober ist John McCarthy zu Hause gestorben. Die letzten Sätze auf seiner persönlichen Homepage beschäftigen sich mit der Frage, ob Gott existiert. McCarthy schrieb: “Ich bin Atheist. Um Atheist zu sein, muss man nicht einen Beweis für die Nicht-Existenz Gottes beanspruchen. Man muss nur denken, dass die Beweislage in der Gottesfrage in etwa der in der Frage ähnelt, ob es Werwölfe gibt.”

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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