Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss: Das Traumpaar (bücher Magazin, 06/2006)
Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss
Das Traumpaar
Zwei große Romane, zwei Starautoren, eine Liebe: Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss
bücher Magazin , 06/2006, (mit Birthe Rosenau)
Er ist der weltweit bestbezahlte Autor unter 30. Sie hat den anrührendsten Roman der Saison geschrieben. Jonathan Safran Foer (28) und Nicole Krauss (31) sind das schönste Schriftstellerpaar Amerikas. Eigentlich geben sie nie zusammen Interviews. Doch bücher hat mit beiden gesprochen. Getrennt, aber aufschlussreich.
»Nicole, meinem Inbegriff von Schönheit «, widmet Jonathan Safran Foer seinen neuen Roman. Nicole, das ist die Autorin Nicole Krauss. In ihrem neuen Roman steht »Für Jonathan, mein Leben«. Solche Geschichten schreibt die Liebe . . . Die beiden hat 2001 ihr gemeinsamer niederländischer Verleger zusammengebracht. Er wusste, dass sie denselben Kunstgeschmack haben. Heute sind sie verheiratet, wohnen im edel-beschaulichen New Yorker Stadtteil Park Slope. Beide sind Starautoren in Amerika, beide haben diesen Erfolg mit erstaunlich anspruchsvollen, komplexen, großartig geschriebenen Büchern: Foer erzählt in »Extrem laut und unglaublich nah«, wie der 9-jährige Oskar Schell weiterlebt, seine Familiengeschichte erforscht, nachdem Terroristen seinen Vater im World Trade Center ermordet haben. Auch Krauss schreibt in »Die Geschichte der Liebe« das Leben des Juden Leo Gursky auf. Der Zweite Weltkrieg hat ihm seine Liebe und seinen großen Roman genommen. Jahrzehnte später trifft er als alter Mann in New York ein 15- jähriges Mädchen, das den Namen seiner Romanheldin trägt und ihm ein Stück seiner Lebensgeschichte wiedergeben kann. Verluste, Traumata, junge Hauptfiguren – wie viel haben die beiden gemeinsam? Nicht so viel, wie mancher Kritiker glaubt, verraten sie in Interviews mit bücher.
bücher: Wenn Sie an Ihre Jugend denken, was fällt Ihnen als Erstes ein?
Foer: Ich bin mitten in Washington D.C. aufgewachsen. Wir hatten einen winzigen Park in der Nachbarschaft. Auf der einen Seite war eine Steigung, die nannten wir den »großen Hügel«. Wir rasten ihn mit unseren Fahrrädern herunter. Wir standen oben, taten so, als hätten wir große Angst, um zu überspielen, dass wir Angst hatten. Vor einigen Tagen war ich dort. Und ich entdeckte: Der »große Hügel« war nicht einmal ein Hügel. Wie viel man erfindet, wenn man ein Kind ist … Man macht alles so spannend, groß und laut, wie es nur sein kann. Je älter man wird, desto kleiner, leiser werden die Dinge.
Krauss: Dass ich froh bin, nicht mehr dort zu sein. Jugend wird von Leuten überschätzt, die nicht mehr jung sind. Bei den gewaltigen Mühen, sich zu definieren, leiden junge Menschen eine Menge. Sicher, es ist eine außerordentliche Zeit, voll emotionaler Kraft, Verlangen und Offenbarungen. Und ich bin froh, das durchlebt zu haben. Aber ich bin auch froh, auf der anderen Seite zu stehen, diese Zeit sentimentalisieren zu können, wenn ich es denn will. So auf das Leben zurückzublicken, ist ein enormes Privileg. Ich beanspruche es, ungefähr seit ich zehn bin.
Haben Sie damals viel gelesen?
Foer: Nein, ich habe erst spät angefangen. Bücher haben mich lange Zeit nicht interessiert. Ich war lieber in der Nachbarschaft unterwegs, habe was mit meinem Bruder unternommen. Das erste Buch, das ich selbst gelesen habe, könnte »Der Fänger im Roggen« gewesen sein. Ich habe es in der Schule gelesen, sehr, sehr früh, in der fünften Klasse oder so. Ich muss also davor etwas gelesen haben, aber sonst sticht nichts heraus.
Krauss: Ja, immer, schon als ich sehr, sehr jung war. Ich habe die Bücher noch immer, die ich als sehr kleines Kind gelesen habe. Wenn man jung ist, vor allem wenn man auf dem Land lebt, wie ich damals, sind Bücher eine Art der Reise, eine Erfahrung, die alles übertrifft, was einem sonst möglich ist.
Ihre gefährlichste Jugendsünde?
Foer: Ich wollte einen Führerschein mit falschem Geburtsdatum haben. Denn ich wollte trinken, das ging erst mit 21. Ich bin mit der Geburtsurkunde und dem Sozialversicherungsausweis meines älteren Bruders zur Stadtverwaltung gegangen, habe gesagt, dass ich meinen Führerschein verloren hätte und einen neuen bräuchte. Und ich habe ihn bekommen. Sie waren so misstrauisch. Ich war 16 oder 17 und sah aus wie sechs. Da hatte ich wirklich Angst. Mit dem Ausweis habe ich dann viele, viele Drinks bekommen.
Krauss: Ich glaube nicht, dass ich dazu eine interessante Antwort habe.
Ein Buch, das Sie immer wieder lesen?
Foer: Gerade versuche ich es mit »Liebe in den Zeiten der Cholera«. Ich habe es früher gelesen, mit 18 oder 19, es hat mich damals sehr bewegt. Und jetzt ist es schrecklich. Aber daran ist nicht das Buch schuld. Es ist großartig. Aber manchmal werden die Assoziationen so stark, der Geruch, die Zeit, die man mit einem Buch verbindet. Wenn man das Buch davon trennt, kann es nicht überleben. Ich war damals in Prag, begann gerade zu schreiben. Ein Buch, das ich ohne diese Erfahrung wieder und wieder lesen kann, ist das Alte Testament. Ich lese es nicht aus religiösen Gründen, die Geschichten lassen dem Leser so viel Raum. Ähnlich geht es mir mit Kafka, Ovid.
Krauss: Über meinem Schreibtisch ist ein kleines Regal, wo meine Lieblingsbücher stehen, jene, die mein Leben wirklich auf irgendeine Art verändert haben. Ich nehme oft das eine oder andere und lese einige Seiten. Becketts »Molloy« steht dort, Zbigniew Herberts Gedichte, Bruno Schulz. Die Gedichte und Essays von Joseph Brodsky. »Die Ausgewanderten« von W.G. Sebald, um einige zu nennen.
Auf Ihrem Nachttisch liegt …
Foer: Ein Buch, das ich gerade beendet habe: »Dominion«, ein Band über Tierquälerei. Ich habe viel darüber gelesen, vielleicht werde ich etwas darüber schreiben. Jetzt lese ich »Sweet’N’- Low«, die Geschichte eines Herstellers von Zuckerersatz. Ich lese meist nur ein Buch auf einmal, sonst ist die Versuchung zu groß, es nicht zu beenden. Zu Hause habe ich tausende nicht fertig gelesener Bücher. Es sind viel mehr als die ganz gelesenen.
Krauss: »Dominion« von Matthew Scully, ein Buch über das Leid von Tieren in den Händen von Menschen. Ein Thema, das mir sehr nahe geht.
Wann zum ersten Mal als Schriftsteller gefühlt?
Foer: Ehrlich gesagt: Den Augenblick gab es nicht. Wie oft sage ich zu meiner Frau Nicole: Ich weiß nicht, ob ich es noch einmal mache. Nicht, dass ich es nicht will …
Krauss: Dass ich eine Schriftstellerin sein will, wusste ich mit ungefähr 15 Jahren. Natürlich hatte ich keine Ahnung, ob es klappen würde. Hätte ich wetten müssen, hätte ich wohl gesagt, dass nichts daraus wird. Aber je mehr Zeit verstrich, desto weniger Interesse hatte ich daran, etwas anderes zu tun.
Alternativen?
Foer: Ich dachte einmal daran, Arzt zu werden, Kinder auf die Welt zu bringen. An neun von zehn Tagen frage ich mich: Was habe ich heute geleistet? Hat es einen Wert? Ich glaube nicht, dass Ärzte, die Kinder auf die Welt bringen, sich das fragen. Es ist so offensichtlich gut und wichtig. Ich beneide sie.
Krauss: Professorin für Literatur und Kunstgeschichte zu werden. Aber ehrlich gesagt, wäre ich darin nicht besonders gut geworden. Denn Professoren müssen viel wissenschaftlich arbeiten. Und so sehr ich das liebte – meine wissenschaftlichen Arbeiten ließen immer irgendwann die Fakten zurück und verirrten sich in die Erfindung.
Was brauchen Sie zum Schreiben?
Foer: Beim Lesen brauche ich Ruhe. Beim Schreiben das Gegenteil: Normalerweise schreibe ich in Cafés, nehme meinen Laptop mit. Meist morgens. Jede Kleinigkeit, die einem am Tag passiert, fordert ihren Tribut. Jedes Telefonat, jedes Gespräch, jedes Treffen. Wenn man aufwacht, ist man einfach nur man selbst.
Krauss: Es ist nichts Besonderes dabei, keine Rituale. Ich bin ein fleißiger Arbeiter, aber ich bin da nicht tyrannisch. Ich gehe morgens nach oben und arbeite, mehr oder weniger jeden Tag. Manchmal komme ich in Fahrt, dann arbeite ich bis nachmittags. Manchmal klappt es nicht, dann verlasse ich das Schiff schon einmal gegen Mittag. Ich habe gelernt, meinen Kopf nicht gegen den Computer zu schlagen, wenn es nicht funktioniert.
Planen Sie Ihre Geschichten?
Foer: Nein. Ich schaue, wohin die Geschichte mich führt. Ich habe »Extrem laut und unheimlich nah« als ein ganz, ganz anderes Buch begonnen. Es erzählt von einem berühmten Mann, der verschwindet, dem zu Ehren ein Museum erbaut wird, der dann plötzlich wieder auftaucht. Es hat sich so sehr verändert, weil die Welt eine so andere geworden ist, weil ich mich verändert habe. Ich habe ein Buch geschrieben, das ich nicht erwartet habe, das ich nicht einmal gewählt hätte.
Krauss: Nein. Ich mache nie Notizen oder Grundrisse. Ich weiß nie, wohin die Geschichte geht, bis sie dort ankommt. Würde ich das tun, wäre ich bald gelangweilt. Und wenn der Autor sich langweilt – welche Hoffnung bleibt da dem Leser? Schreiben ist eine Reihe scheinbar endloser Entscheidungen. Aber mit jeder Entscheidung, schließt man unzählige Möglichkeiten aus. Am Ende einer Erzählung sind einem die Hände fast völlig gebunden.
Fragen Sie beim Schreiben jemanden um Rat?
Foer: Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte.
Krauss: Ich zeige niemandem meine Arbeit, während ich schreibe. Ich bin da sehr beschützend.
Etwas, das Sie in diesem Leben tun müssen?
Foer: Mehr Dinge machen, mehr Bücher schreiben. Eine Familie gründen. Eine positive Fortsetzung der Geschichte sein. Ich denke, jeder will, dass seine Kinder etwas mehr schaffen, dass die Enkel noch etwas mehr im Leben schaffen. Ich weiß, dass mein Großvater Schriftsteller werden wollte, aber dann in die Geschäftswelt musste, um seine Familie zu ernähren. Ich denke, es hätte ihn sehr stolz gemacht, dass einer seiner Nachkommen es geschafft hat. Ich hoffe, dass meine Nachkommen Dinge tun werden, die ich nicht kann. Das sind viele. Menschen heilen. Oder sechs Fuß (183 cm, Anm. d. Red.) hoch sein (lacht).
Krauss: Ich würde gerne zurückblickend sagen, dass ich etwas Wertvolles in meinem Leben getan habe, etwas Hilfreiches. Und wenn nicht hilfreich, dann zumindest … hoffnungsvoll.
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