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Jugendschutz: Arcor blockiert Zugang zu Youporn (Spiegel Online, 23.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Jugendschutz

Arcor blockiert Zugang zu Youporn

Der Internet-Provider Arcor sperrt seine 2,4 Millionen DSL-Kunden beim US-Porno-Portal Youporn aus. Wer die Seite aufruft, erhält seit Dienstagmittag eine Fehlermeldung. Das Landgericht Frankfurt hat Arcor per Beschluss zur Blockade verpflichtet

Spiegel Online, 23.10.2007

Vormittags ging bei Arcors Anwalt die erwartete einstweilige Verfügung ein, jetzt ist sie umgesetzt: Arcor filtert ab sofort den Web-Zugang für seine Kunden, wie das Landgericht Frankfurt beschlossen hat. Durchgesetzt hat das die Firma Kirchberg Logistik – Betreiber des jugendschutzkonformen Pornofilm-Portals Sexyfilms. Gesperrt wird die US-Seite Youporn ab heute Mittag, wie Arcor SPIEGEL ONLINE bestätigte.

Youporn steht in Deutschland seit März auf dem Index, weil dort ohne jede Altersprüfung selbst harte Pornographie zu sehen ist. Jugendschützer konnten durchsetzen, dass deutsche Suchmaschinen die Seite nicht mehr verlinken. Doch Internet-Provider folgten nicht den Bitten um freiwillige Zensur.

Jetzt hat Kirchberg Logistik den Jugendschützern vor Gericht mit einer bestechenden Argumentation geholfen: Youporn verletzt Jugendschutzrecht, das Kirchberg befolgt, verschafft sich so einen Wettbewerbvorteil per Rechtsbruch und Arcor helfe dabei. Das Landgericht Frankfurt überzeugte die Argumentation.

Arcor kann nun in den kommenden vier Wochen Widerspruch einlegen. Tut das Unternehmen das, wird das Landgericht den Beschluss noch einmal beraten und ein Urteil fällen. Es ist aber unklar, ob Arcor diesen Weg geht. Firmensprecher Peter zu SPIEGEL ONLINE: "Wir prüfen derzeit, ob wir Widerspruch einlegen." Arcor würde mit einem Widerspruch einen Präzedenzfall schaffen – mit allen Risiken eines Scheiterns. Denn die rechtliche Situation ist unklar (siehe Kasten unten).

RECHT: DIE BESONDERHEITEN DER VERFÜGUNG GEGEN ARCOR

Zivilrecht
Außergewöhnlich an dem Sperrversuch ist, dass hier nicht der Staat, sondern ein Unternehmen ausländische Seiten wegen unzureichenden Jugendschutzes blockieren lassen will. Staatliche Stellen sind mit ähnlichen Ansinnen bislang gescheitert, wie Jörg Heidrich, Justiziar des Heise-Verlags (dieser verlegt Computer-Fachmagazine) bestätigt. Bei diesen Prozessen ging es immer um Straf- oder Verwaltungsrecht, weil Behörden die Sperrung betrieben haben.

Unterlassungsansprüche gegen Provider möglich
Der Bundesgerichtshof in zwei Urteilen 2004 und 2007 das Online-Auktionshaus eBay für Rolex-Fälschungen haftbar gemacht, die Dritte per Auktion verkauft hatten. Diesen Fall kann man mit der Situation eines Internet-Providers vergleichen: Der BGH entschied, dass Rolex von eBay zwar keinen Schadensersatz, aber sehr wohl eine Unterlassungserklärung verlangen kann. Diese Urteile könne man grundsätzlich mit der Konstellation Arcor-Youporn-Kirchberg vergleichen, erläutert der Münchner Anwalt für IT- und Wettbewerbsrecht Ulrich Fülbier. Die Frankfurter Entscheidung gegen Arcor stehe in "der Tradition der BGH-Rechtsprechung aus den letzten Jahren". Fülbier: "Diese Ausdehnung geben die Rolex-Entscheidung durchaus her. Daher ist der Fall auch sicher nicht als einmalige Entscheidung zu werten. Jedenfalls bei Unterlassungsansprüchen werden die Gerichte so entscheiden."

Gesetz schützt Provider nur vor Schadensersatz
Solche Urteile gegen Internet-Provider sollte das deutsche Telemediengesetz eigentlich ausschließen. Darin ist ausdrücklich formuliert, dass Diensteanbieter für "fremde Informationen", die sie übermitteln oder zu denen sie den Zugang vermitteln, "nicht verantwortlich" sind. Bedingung: Die Provider leiten die Inhalte lediglich durch, ohne sie zu beeinflussen. Das Problem an diesem Paragraf ist die Formulierung "verantwortlich". Wären die Diensteanbieter wie eBay laut Gesetz nicht "haftbar" wäre die Sache klar. Aber Verantwortlichkeit lässt sich anders interpretieren, erklärt Arne Trautmann, Münchner Anwalt für IT-Recht. Verantwortlichkeit schließt zwar Schadensersatz aus, nicht aber Unterlassungsansprüche, so die BGH-Auslegung. 

Bei der Filtertechnik wählt Arcor die laut Experten einfachste Methode, eine Name-Server-Sperre. Dieser Filter beruht darauf, dass jede als Buchstaben-Folge im Browser eingetippten Web-Adresse (URL) in eine bestimmte Zahlenfolge, die sogenannte IP-Adresse umgewandelt werden muss.

Nur so können entsprechende Inhalte über das Internet abgerufen werden. Welche IP-Adresse aktuell zu einer URL gehört, speichern sogenannten Name-Server. Das sind IP-Adressverzeichnisse, vergleichbar mit einem Telefonbuch. In der Regel hat jeder Internet-Provider eigene Name-Server für seine Kunden. Hier löscht Arcor nun einfach die zu Youporn gehörende IP-Adresse.

"Diese Sperre ist sehr einfach zu umgehen", sagt der Informatiker Stefan Köpsell, Entwickler des Anonymisierungsdienstes JAP. Denn die Nutzer können selbst einstellen, welche Name-Server ihr Computer nutzt. Außerdem gibt es kostenlose Web-Angebote, die eine URL in eine IP-Adresse umwandeln. Andere Filter-Methoden wären deutlich aufwendiger.

Az. 2-06 O 477/07

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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