Jugendschutz: Bundesgerichtshof prüft den Online-Altersnachweis (Spiegel Online, 18.10.2007)
Jugendschutz
Bundesgerichtshof prüft den Online-Altersnachweis
Personalausweisnummer oder persönlicher Kontakt? Der Jugendschutz verlangt bei Online-Pornos eine strenge Altersprüfung. Wie die aussehen soll, verrät das Gesetz aber nicht. Die meisten Anbieter sitzen ohnehin im Ausland – was für die übrigen gilt, entscheidet der BGH.
Spiegel Online, 18.10.2007
Tabulos-Forum, Erotik1, Sex unterm Solarium – 180.000 solcher Porno-Seiten aus Deutschland versorgt der Mainzer Unternehmer Tobias Huch mit einem Jugendschutzsystem. Jahrelang funktionierte die Altersprüfung recht einfach: Die Pornokunden mussten die Nummer ihres Personalausweises eintippen. Zu einfach, fanden die Wettbewerber von Huchs "Resisto IT". Deutsche Jugendschutz-Gesetze verlangen ihrer Meinung nach deutlich höhere Hürden.
Wie eine Online-Altersprüfung aber auszusehen hat, steht nicht im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) von 2003. Deshalb beschäftigt die Frage seit Jahren deutsche Gerichte, die Anbieter klagen sich von Instanz zu Instanz hoch – 1,5 Millionen Euro hat Huch nach eigenen Angaben bisher für entsprechende Prozesse ausgegeben. Heute verhandelt der Bundesgerichtshof seinen Fall. Frage: Genügt die Personalausweisnummer?
Geklagt hat die Düsseldorfer Coolspot AG. Die Firma hat sofort, als der neue JMStV in 2003 in Kraft tat, die Prüfung der Perso-Nummer durch ein aufwendiges, teures Verfahren zur Altersprüfung abgelöst: Im ersten Schritt beweisen die Kunden per Post-Ident-Verfahren oder Schufa-Abfrage samt eigenhändigem Einschreiben, dass sie volljährig sind. Um dann auf geschützte Porno-Seiten zuzugreifen, müssen sie eine spezielle Software mit Pin-Abfrage laufen lassen. Das Verfahren kostet den Anbieter etwa 10 Euro pro Kunden. Hinzu kommen mindestens zwei Tage Wartezeit.
Lasche Altersprüfung als Wettbewerbsvorteil
Niemand nimmt diese Mühen auf sich, wenn er mit einer Perso-Nummer sofort auf Porno-Seiten kommt. Deshalb hat Coolspot immer wieder gegen Huchs "Resisto IT" geklagt. Der Vorwurf: Wettbewerbsvorteil durch Rechtsbruch. Vor zwei Jahren gab das Oberlandesgericht Düsseldorf Coolspot recht. Personalausweisnummern könnten Minderjährige im Internet finden, von Ausweisen Volljähriger abschreiben oder sogar mit illegalen Programmen generieren.
Huchs Firma muss seitdem das Alter ähnlich aufwendig wie Coolspot per Post-Ident prüfen. Diese Entscheidung will der Unternehmer vor dem BGH kippen. Er sieht die "Altersverifikation mittels Medienbruch als eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung von Erwachsenen".
Einig sind sich beide Unternehmen in einem Punkt: Sie wollen Rechtssicherheit. Roland Bongartz, Coolspot-Vorstandsvorsitzender: "Unser Altersverifiktionssystem ist aufwendiger und dementsprechend teuer. Und zwar, weil wir glauben, dass man nur so den Jugendschutz-Anforderungen gerecht wird. Das wollen wir geklärt haben."
Anbieter rätseln, was das Gesetz verlangt
Ursache für den Streit ist ein schwammiger Absatz im JMStV. Der stellt lapidar fest, dass Unternehmer einfache Pornografie, indizierte und schwer jugendgefährdende Inhalte verbreiten dürfen, wenn "sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden (geschlossene Benutzergruppe)".
Darüber, was das bedeutet, rätseln seit 2003 nicht nur Anbieter von Online-Pornos, sondern auch Online-DVD-Verleiher und Webshops, die Filme und Computerspiele verschicken. All diese Dienste fallen unter den Begriff Telemedien – und hier regeln die Bundesländer per Staatsvertrag den Jugendschutz.
Wirtschaft klagt über Rechtsunsicherheit
Branchenvertreter sprechen von einer "massiven Planungs- und Rechtsunsicherheit". So beurteilt zum Beispiel der Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) das Gesetz. Justiziar Gerd M. Fuchs: "Der Staatsvertrag ist sehr vage formuliert. Hätte man die Anforderungen an die Altersverifikationssysteme näher definiert, käme es womöglich nicht zu solchen Prozessen." Hinzu kommt, dass der Staatsvertrag nicht klar eine zuständige Stelle benennt, die Systeme zur Alterprüfung begutachtet.
Zwar formuliert die Kommission für Jugendmedienschutz der Länder per Beschluss Mindestvorraussetzungen für Altersverifikationssysteme – doch der Staatsvertrag sagt dazu nichts. Folge aus Sicht der Wirtschaft: Rechtsunsicherheit, wie ein Gutachten des BVDW ausführt ( PDF-Dokument).
Das BGH-Urteil wird eine relative Rechtssicherheit bringen. Relativ, weil hier nur ein Anbieter gegen einen anderen klagt – Wettbewerbsrecht. Prüft ein Porno-Anbieter das Alter zu lasch, kann auch die Staatsanwaltschaft wegen Verbreitung pornographischer Darbietungen klagen – auf solche Verfahren dürfte das BGH-Urteil wenig Auswirkungen haben. Wie die Staatsanwaltschaft und wie ein Richter in einem Strafverfahren die Prüfsysteme beurteilen, wird die BGH-Entscheidung nicht zwangsläufig beeinflussen.
Scharfes Gesetz sichert Jugendschutz online kaum
Entscheidet das Gericht nun gegen die einfache Perso-Kontrolle als Altersprüf-System, bleibt alles beim Status quo: Das Post-Ident-Verfahren bleibt. Ob das aber dem Jugendschutz dient, ist fraglich. Denn die wenigsten Anbieter von Online-Pornos sitzen heute in Deutschland. Von einer "sehr überschaubaren Anzahl" spricht der Bundesverband digitale Wirtschaft. Justiziar Gerd M. Fuchs: "Viele Unternehmen sind ins EU-Ausland, etwa in die Niederlande abgewandert." Deutscher Jugendschutz sieht heute so aus: Scharfe Altersprüfung für eine Minderheit der Angebote, gar keine für die Mehrheit.
Und zwar als der Staatsvertrag mit den verschärften Anforderungen an die Altersprüfung 2003 in Kraft getreten ist. Huch spricht von einer "Flucht" der Anbieter ins Ausland, Coolspot-Chef Bongartz sagt: "Wir haben vor 2003 bessere Geschäfte gemacht als heute."
Klar: Ein Online-Pornoanbieter aus den Niederlanden muss die Besucher seiner Website nur versichern lassen, dass sie volljährig sind. Kein Perso, kein Post-Ident, keine Pin, keine Kosten, keine Wartezeit – dafür müssen Firmen nicht einmal in Porno-Paradies USA ziehen. Denn in der EU gilt Dienstleistungsfreiheit, Unternehmen dürfen grundsätzlich nicht behindert werden, müssen sich beim Jugendschutz nur an die nationalen Regelungen am Firmensitz halten. Und da sind die Anforderungen geringer als in Deutschland.
"Inländerdiskriminierung" nennt das ein Rechtsgutachten des Bundesverbandes digitale Wirtschaft. Der Verband kritisiert aber nicht das deutsche Jugendschutz-Niveau, sondern nur die Umsetzung. Justiziar Gerd M. Fuchs: "Es geht beim Jugendschutz ja um Schutz von wichtigen Grundrechten von Kindern und Jugendlichen, nicht um Standortpolitik."
Deutsche Anbieter kämpfen
So ähnlich äußern sich die meisten der noch in Deutschland verbliebenen Anbieter von Sexseiten. Einige versuchen, die ausländische Konkurrenz mit deutschem Recht zu schlagen. Die Firma Kirchberg Logistik zum Beispiel, in Deutschland ansässiger Betreiber eines streng jugendschutz-kontrollierten Porno-Portals, schaffte es im September, in Deutschland indizierte, aber per Netz problemlos erreichbare Webangebote vom Internet-Anbieter Arcor sperren zu lassen. Ein paar Tage lang waren die Seiten blockiert, dann stoppte Arcor den Porno-Filter wegen technischer Probleme. Ein aussichtsloser Kampf.
Tobias Huch geht einen anderen Weg. Er legt sich mit Deutschlands Jugendschützern an: Wenn der BGH die Perso-Kontrolle kassiert, will er vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Dort liegt schon seit 2004 eine Verfassungsbeschwerde Huchs gegen die Pornographie-Regelung in Deutschland vor. Die Beschwerde wurde angenommen, voraussichtlich im nächsten Jahr wird die Verhandlung beginnen. Huch: "Ich zweifele die Behauptung an, dass weiche Pornographie jugendgefährdend ist."
Az. I ZR 102/05 und I ZR 165/05
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