Jugendschutz: Landgericht zwingt Arcor zur Porno-Zensur (Spiegel Online, 19.10.2007)
Jugendschutz
Landgericht zwingt Arcor zur Porno-Zensur
Arcor muss seinen 2,4 Millionen DSL-Kunden den Zugang zum US-Porno-Portal Youporn sperren. Das hat das Landgericht Frankfurt per einstweiliger Verfügung beschlossen. Begründung: Youporn prüft das Alter nicht gemäß deutschen Jugendschutzauflagen.
Spiegel Online, 19.10.2007
Private Sexfilme, Ausschnitte aus Pornos, Werbefilme für Hardcore-Produktion – das Online-Angebot Youporn zeigt alles, was in Deutschland nur nach aufwendigen Alterskontrollen zu sehen sein dürfte. Beim US-Angebot gibt es all das mit deutscher Benutzerführung, kostenlos und ohne Altersprüfung. Die Zuschauer müssen nur per Mausklick attestieren, volljährig zu sein. Deshalb hat das Landgericht Frankfurt per einstweiliger Verfügung beschlossen, dass der Internetprovider Arcor das Angebot für seine 2,4 Millionen DSL-Kunden sperren muss.
Bemerkenswert an diesem Urteil: Ein deutscher Internet-Provider haftet für Inhalte auf ausländischen Seiten mit. Wenn dieser Beschluss Bestand hat, drohen deutschen Providern unangenehme Verfahren. Bislang ist nur Arcor betroffen – Kunden von T-Online, Freenet oder Alice können weiter Yourporn-Videos gucken. Beantragt hatte die Entscheidung gegen Arcor die Kirchberg Logistik GmbH, einer der wenigen in Deutschland ansässigen Porno-Anbieter. Die Firma aus dem niedersächsischen Seesen betreibt unter anderem das Angebot Sexyfilms.de – einschließlich aufwendiger, teurer Altersprüfung gemäß deutscher Jugendschutz-Gesetze.
Deshalb klagte Kirchberg Logistik in Frankfurt gegen unzulässigen Wettbewerb per Rechtsbruch. Mario Brunow, Geschäftsführer der Video Buster Gruppe, zu der neben 44 Familienvideotheken, den Online-DVD-Verleihern Netleih und Amovie auch Kirchberg Logistik gehört: "Der Wettbewerber Youporn verschafft sich mittels Rechtsbruch einen enormen Vorteil gegenüber uns. Und Arcor hilft dabei."
Das Landgericht folgte dieser Argumentation. Der SPIEGEL ONLINE vorliegende Beschluss (Az. 2-06 O 477/07) untersagt es Arcor, seinen Kunden Zugang zu Youporn.com zu ermöglichen, solange dort
- "pornographische Darbietungen ohne jegliche Zugangsbeschränkung verbreitet werden"
- solche Darbietungen ohne eine Altersverifikation mit "persönlicher Identifikation des Nutzer, etwa im Rahmen des Post-Ident-Verfahrens" zu sehen und
- tierpornographische Darbietungen verfügbar" sind.
Kommt Arcor dem nicht nach, kann das Gericht bei Verstößen in jedem Einzelfall ein Ordnungsgeld bis 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monate gegen die persönlich haftenden Gesellschafter verhängen.
Arcor bereitet sich auf Zwangssperrung vor
Arcor kennt die Gerichtsentscheidung und bereitet sich auf die Sperrung der Porno-Seite vor. Firmen-Sprecher Michael Peter will den Fall derzeit aber nicht weiter kommentieren: "Wir können uns erst dazu äußern, wenn die Verpflichtung zur Sperrung in Kraft getreten ist. Bisher wurde die entsprechende einstweilige Verfügung noch nicht zugestellt, wir bereiten uns darauf vor." Der Internet-Provider kann nun Widerspruch einlegen und verlangen, dass die Sache mündlich verhandelt und dann per Urteil entschieden wird.
Zumindest bis dahin muss Arcor Youporn.com blockieren.
Der Fall ist beispielhaft für die absurde Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit des deutschen Jugendschutzsystems bei Online-Angeboten. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich endgültig bestätigt, dass Anbieter von Online-Pornographie in Deutschland das Alter ihrer Nutzer aufwendig prüfen müssen. Nur wie man Anbieter, etwa aus den Vereinigten Staaten, dazu bringt, ist völlig unklar.
Seit März steht Youporn auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Trotzdem haben zwei Millionen Deutsche die Seite im vorigen Monat aufgerufen – so die Statistik von Nielsen Netratings. Youporn ist damit die zweiterfolgreichste Porno-Seite in Deutschland und eines der 100 meistbesuchten Webangebote überhaupt.
Youporn ist indiziert – und extrem erfolgreich
Der Anbieter von Youporn versteckt sich, so gut es geht: Die Internetadresse wird von einer Anonymisierungsfirma betrieben, die Nutzungsbedingungen beziehen sich ausdrücklich auf kalifornisches Recht. Als Kontakt ist lediglich eine Google-Mail-Adresse angegeben. So klagte im vorigen Jahr auch die Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien Elke Monssen-Engberding in der Zeitschrift Woman, der US-Betreiber sei "nicht zu ermitteln".
Weil die Jugendschützer so wenig gegen Youporn ausrichten, kämpft Kirchberg Logistik selbst gegen die kostenlose Laissez-faire-Konkurrenz. Geschäftsführer Brunow: "Es kann nicht sein, dass Deutschland auf dem Papier ein hohes Jugendschutz-Niveau hat, faktisch aber online kein Schutz besteht, obwohl etwas getan werden kann."
Gericht soll Provider-Verantwortung klären
Er verweist darauf, dass Suchmaschinen "schon lange ihrer Verantwortung" nachkämen, indem sie indizierte Angebote sperren würden. In der Tat: Inhalte von Youporn fehlen im deutschen Google-Index. Brunow sieht die Internet-Provider in der Pflicht: "Sie leiten alles durch und sehen sich nicht in der Verantwortung. Wir wollen klären, ob das dem Gesetz entspricht."
Der Streit um Arcor und Youporn könnte zu einem Präzedenzfall für Providerhaftung in Deutschland werden. Setzt sich die Linie des Frankfurter Landgerichts durch, sind für Provider unangenehme Folgen denkbar – zahlreiche Strafverfahren wegen der Verbreitung pornographischer Darbietungen über Teledienste etwa.
Kirchberg-Logistik plant nach eigenen Angaben nun keine Klagewelle: "Wir wollen eine Klärung, keinen Krieg", sagte Video-Buster-Geschäftsführer Mario Brunow.
Das Unternehmen setzt darauf, dass das Urteil des Frankfurter Landgerichts seine Wirkung entfalten wird: "Wir haben andere Provider von dem Beschluss in Kenntnis gesetzt", sagte Brunow zu SPIEGEL ONLINE.