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Kampagne gegen Google: Facebooks bigotte Argumente (Spiegel Online, 13.5.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Kampagne gegen Google

Facebooks bigotte Argumente

Das ging nach hinten los: Facebook hat Google in einer PR-Kampagne vorgeworfen, ohne Zustimmung Informationen von Profilseiten auszuwerten. Doch die Kritik ist reine Heuchelei. Denn die Daten stehen ohnehin frei im Web – vor allem, weil Facebook Nutzer seit Jahren zur Selbstentblößung drängt.

Spiegel Online, 13.5.2011

{jumi [*3]}

Hamburg – Das ist doch einmal eine gute Nachricht: Facebook sorgt sich um den Datenschutz. Facebook sorgt sich so sehr, dass das Unternehmen sogar eine PR-Agentur dafür bezahlt hat, den Konkurrenten Google wegen angeblicher Verstöße gegen Datenschutzgesetze bei Medien anzuschwärzen. So begründet Facebook seine Undercover-Kampagne gegen Google. Dumm nur: Der verdeckte Auftrag flog auf, für Facebook und die Agentur Burson-Marsteller wird die Schmieren-Kampagne zum PR-Desaster.

Ein Facebook-Sprecher rechtfertigt die verdeckte Kampagne:

“Wir wollten, dass Dritte nachvollziehen, dass Menschen nicht der Sammlung und Nutzung ihrer Daten aus Konten bei Facebook und anderen Diensten durch Google Social Circle zugestimmt haben – ebenso wenig wie Facebook dieser Nutzung und Sammlung zugestimmt hat.”

Diese Ausführung unterstellt, dass Google etwas falsch gemacht hat. Der Vorwurf, Google habe ohne Zustimmung der Nutzer gehandelt, lässt nur zwei Möglichkeiten zu:

  • Entweder hat Google öffentlich zugängliche Daten ausgewertet – dann ist Facebooks Vorwurf falsch.
  • Oder aber Google hat tatsächlich in irgendeiner Form durch Facebook geschützte Daten aus den Datenbanken des Netzwerks ohne Zustimmung ausgelesen – das wäre mit Sicherheit ein Verstoß gegen gesetzliche Auflagen.

Eine Analyse der bei Google einlaufenden Daten aus Facebook-Profilen legt nahe, dass Variante eins stimmt. Die Daten sind öffentlich und Facebook empfiehlt seinen Nutzern sogar, sie zu veröffentlichen. So sehen es Facebooks Standardeinstellungen im Datenschutzbereich vor. Einen Vorwurf kann man da am ehesten Facebook machen: Das Unternehmen verleitet seine Nutzer dazu, möglichst viele Details über ihre Web-Nutzung öffentlich zu machen. Und erst jetzt, wo Google diese Details nutzt, sieht Facebook dies als Problem an.

Google analysiert öffentliche Quellen und Google-Adressbücher

Der Streit dreht sich um Googles Dienst Social Circle. Er ermöglicht es Nutzern mit einem Google-Konto, ihre eigenen Profilseiten bei Facebook, Flickr, Twitter und anderen Netzwerken anzugeben. Google wertet die Informationen aus diesen Profilen nicht standardmäßig aus – die Nutzer müssen die Konten erst bewusst Google mitteilen. Man tippt dazu die Web-Adressen der eigenen Profile bei Google ein. Danach prüft Google automatisch die öffentlich einsehbaren Freundschaftsverbindungen und kann dem Nutzer in den Suchergebnissen dann Treffer präsentieren, die eine Person aus ihrem Umfeld in irgendeiner Form öffentlich als interessant deklariert hat.

Die entscheidende Frage ist nun: Woher weiß Google, mit wem ich bei Facebook befreundet bin und was diese Personen dort an Links und Seitenempfehlungen veröffentlichen?

Google zeigt in den Kontaktlisten des Dienstes Social Circle sehr transparent für jede einzelne Verbindung an, woher die Informationen stammen. Eine typische Verbindung sieht zum Beispiel so aus:

  • Google nimmt an, dass ich Herrn P. kenne, weil seine E-Mail-Adresse in meinem Google-Adressbuch steht und weil ich Herrn P. beim Google-Dienst Buzz folge.
  • Herr P. hat ein Google-Profil angelegt und dort seine Profilseiten bei Facebook, und Twitter verlinkt.
  • Deshalb zeigt Google in meinen Suchergebnissen unter anderem bevorzugt Seiten, auf die Herr P. schon einmal bei Facebook oder Twitter verwiesen hat.

Aber woher weiß Google, welche Web-Adressen Herr P. auf seiner Facebook-Seite irgendwann einmal veröffentlicht hat?

Google wertet öffentliche Einträge auf Facebook-Profilen aus

Die Antwort ist sehr einfach: Facebook empfiehlt Nutzern in seinen Datenschutz-Standardeinstellungen diese Option. Standardmäßig sind “Beiträge, einschließlich Statusmeldungen und Fotos” laut Einstellungen für “Alle” sichtbar. Alle bedeutet hier allerdings nicht nur alle Facebook-Mitglieder. Es bedeutet: jedermann, auch ohne Facebook-Konto. Diese wichtige Präzisierung findet man allerdings nicht in dem Menü, sondern in Facebooks Datenschutzhinweisen.

Dort ist “Alle” so definiert:

“Informationen, die du mit ‘Allen’ teilst – sowie dein Name, Profilbild, Geschlecht, Nutzername und deine Netzwerke – können von jedem Internetnutzer gesehen werden. Bitte beachte, dass diese Informationen für alle Personen, die dein Profil aufrufen sowie Anwendungen und Webseiten, die du und deine Freunde verwenden, verfügbar sind.”

Seit Jahren erklärt Facebook immer mehr Daten als “öffentlich”

Facebook weitet seit Jahren seine Standardvorgaben immer weiter aus, heute gilt viel mehr per Standard als öffentlich oder für “Alle” freigegeben als noch vor drei Jahren. Einige der Nutzerdaten behandelt Facebook seit 2009 als “öffentlich zugängliche Informationen”. Seitdem kann man Anwendungen von Drittanbietern, Facebook-Mitgliedern und Websites, auf denen man sich mit dem Facebook-Log-in anmeldet, gar nicht mehr untersagen, diese Informationen zu verwenden. Konkret sind das: Name, Profilbild, Geschlecht, Wohnort, Zugehörigkeit zu Netzwerken und Fan-Seiten.

Bei anderen Details überlässt Facebook den Nutzern die Wahl – empfiehlt als Standardeinstellung aber einen sehr freizügigen Umgang. Zum Beispiel:

  • Statusmitteilungen und im Facebook-Profil veröffentlichte Einträge sind standardmäßig für alle Internetnutzer zugänglich.
  • Die Freundesliste ist standardmäßig zur Ansicht für “Alle” freigegeben. Facebook weist selbst vage darauf hin, was das bedeutet: “Die Verbindungen mit deinen Freunden können unter Umständen an anderer Stelle ebenfalls sichtbar sein.”
  • Angaben zu Wohnort, Heimatstadt, Vorlieben, Aktivitäten und andere Verbindungen sind standardmäßig für “Alle” öffentlich.

Spricht man Facebook-Mitarbeiter darauf an, dass das doch sehr weitreichende Standardeinstellungen sind, kommt immer das Argument, man überlasse doch den Nutzern die Wahl. Wer will, kann die Einstellungen ändern. Stimmt – allerdings hat Facebook da ein sehr idealisiertes Bild seiner Nutzer. Sie handeln immer reflektiert, sind intellektuell imstande, lange Anleitungen zur Feinabstimmung der Datenschutz-Einstellungen zu lesen und umzusetzen.

Die meisten Menschen folgen blind den Standardvorgaben

Dass dieses Ideal nicht der Wirklichkeit entspricht, zeigen viele Untersuchungen von Verhaltensforschern. Der Psychologie-Professor Dan Ariely von der Duke University erklärt, dass die Mehrheit der Menschen den Standardvorgaben folgt. Egal ob es um Pizzabelag, Abo-Angebote oder Organspende geht – wenn eine von mehreren Optionen als Standard empfohlen wird, folgt die Mehrheit dieser Vorgabe.

Die Zustimmung zur Organspende führt Ariely als ein Beispiel auf: In Staaten, wo die Zustimmung als Standard gilt und man aktiv widersprechen muss (in Belgien, Polen und Frankreich etwa), sind gut 99 Prozent der Bürger Organspender. In Staaten, wo man aktiv seine Zustimmung zur Organspende per Ausweis deklarieren muss, liegt der Anteil an Organspendern bei fünf bis 27 Prozent.

Die Standardvorgaben formen das Verhalten der Nutzer, so dürfte es auch bei Facebook sein. Man muss nur einmal mit Diensten wieYouropenbook nach peinlichen Äußerungen suchen oder mit demFacebook-API-Scanner die freigegebenen Informationen von Nutzern durchforsten – man stößt immer auf Äußerungen, bei denen fraglich erscheint, ob das die Betroffen wirklich aller Welt mitteilen wollten.

Facebooks bigotte Datenschutz-Argumentation

Angesichts der Tatsache, dass Facebook seit Jahren per Standardvorgaben und Änderungen seiner Nutzungsbedingungen das Verhalten der Nutzer derart formt, ist es scheinheilig, dass die Firma ausgerechnet jetzt die aktive Zustimmung der Nutzer zu jeder Form von Nutzung als Ideal entdeckt. Facebook verlangt, dass Google eine ausdrückliche Zustimmung einholt, um im Web öffentlich zugängliche Informationen aus Profilen auszuwerten. Ein Großteil dieser Informationen aus Facebook-Profilen ist öffentlich, weil Facebook bei seinen Nutzern nicht eine aktive Zustimmung einholt, sondern standardmäßig Statusmeldungen und Beiträge ins Netz stellt.

Anders gesagt: Wenn Facebook das tut, ist es okay. Wenn ein Wettbewerber von Facebook diese Daten nutzt, ist es für Facebook anstößig. Für so viel Bigotterie muss das Unternehmen nun heftige Kritik einstecken. Die Fachwelt findet deutliche Worte für die Affäre: anstößig, unehrlich, feige, dumm und peinlich.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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