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Kampagne gegen Leistungsschutzrecht: Google ist nicht das Netz (27.11.2012)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Kampagne gegen Leistungsschutzrecht

Google ist nicht das Netz

Was Google hilft, nützt der Gesellschaft: Mit dieser Botschaft ruft der Konzern Bürger auf, Lobbyarbeit in Berlin für ihn zu machen und gegen das Leistungsschutzrecht zu rebellieren. Doch Google vertritt vor allem eigene Interessen – und die sind nicht zwangsläufig im Sinne aller Nutzer.

Spiegel Online, 27.11.2012

Es ist das gute Recht von Google, Lobbyarbeit zu machen. Unternehmen verfolgen immer eigene Interessen. Doch diese Kampagne ist beispiellos: Der Konzern will die deutschen Internetnutzer glauben machen, dass er für ihre Rechte, ihre Freiheit, das Gute in der Gesellschaft kämpft. Tatsächlich geht es um wirtschaftliche Interessen.

Auf der Startseite macht der Konzern Stimmung gegen das geplante Leistungsschutzrecht. Das Gesetz soll Presseverlagen ein neues Recht gegenüber Suchmaschinenbetreibern einräumen. Sinn und Form der Regelung sind fragwürdig, kein Zweifel. Das Gesetz gilt für “Suchmaschinen” und gewerbliche Anbieter von Diensten, “die Inhalte entsprechend aufbereiten”. Wer das ist, ist nicht definiert. Das könnte Gerichte jahrelang beschäftigen.

Mach’ mit: Verteidige Dein Netz“, ruft Google seine Nutzer zum Protest – und meint damit ein Internet, in dem Firmen möglichst wenig reguliert werden. So steht es in den “zehn Fakten zum Leistungsschutzrecht”, die Google auf seiner Kampagnenseite präsentiert. Da wird eine Studie zitiert (hier die PDF-Datei), der zufolge Deutschland “im Vergleich mit anderen Ländern internetpolitisch hinterherhinkt”. Google verweist auf eine Interpretation der Studie, in der es heißt, das liege vor allem an der als “belastend” eingestuften “Regulierung des Netzes”. Dass in der Studie tatsächlich andere Faktoren (Internetzugang in Schulen, Qualität der Informatikausbildung) stärker gewichtet werden, verschweigt diese Auslegung.

Wie Google seine Macht nutzt

Googles Botschaft ist einfach: Wer für Internetfreiheit ist, muss für Google kämpfen. Google fragt die Nutzer: “Willst Du auch in Zukunft finden, was Du suchst?” Doch wer das bejaht, ist nicht zwangsläufig auf Googles Seite. Denn der Konzern entscheidet in vielen Fällen eigenmächtig, welche Inhalte er unterdrückt und welche er bevorzugt zeigt, unabhängig vom Interesse der Nutzer. Beispiele:

  • Bei der Schnellsuche Google Instant sperrt der Konzern Hunderte von Begriffen. Das Hackermagazin “2600” hat eine Liste mit fast 500 von Google blockierten Ergänzungen veröffentlicht – darunter “lesbians”, “orgasm” und “Violet Blue” (der Name einer US-Sexualaufklärerin). Was stört Google an Lesben und Sexualaufklärung?
  • Im September 2012 entschied Google eigenmächtig, Nutzern in Libyen und Ägypten YouTube-Kopien des Films “The Innocence of Muslims” nicht mehr zu zeigen. Der Konzern legte verschiedene Grade von Meinungsfreiheit für verschiedene Regionen der Welt fest, ohne seine Entscheidung zu begründen.
  • Google stuft Websites mit vermeintlichen und tatsächlichen Verweisen auf Raubkopien herab.
  • Google verschafft bestimmten Themen und Diensten auf seiner Website mehr Aufmerksamkeit, als sie eigentlich bekommen würden. Die Werbung für die aktuelle Kampagne steht auf der Startseite, so wie zuvor schon Werbung für Googles soziales Netzwerk, Google-Smartphones, -Tablets und andere Dienste. Zudem platziert Google neben, manchmal zwischen Suchergebnissen Verweise auf die eigenen Dienste.

 

Diese Fälle zeigen, dass Google nicht für die Freiheit aller Internetnutzer kämpft, sondern für die Freiheit, sein Suchmaschinenmonopol möglichst ungestört von Regulierung zu monetarisieren. Der Konzern nutzt seine publizistische Macht aus. Die Entscheidungen über das Herabstufen oder Hervorheben bestimmter Inhalte folgen keinem nachvollziehbaren, transparenten Regelwerk. Google entscheidet von Fall zu Fall und es gibt wenig Anhaltspunkte dafür, wie die Entscheidung beim nächsten Mal ausfällt. Es gibt einige Internetfirmen, die gegen eine unfaire Behandlung durch Google klagen.

Man darf den Kampf für die Internetfreiheit nicht einem Konzern überlassen, der Lesben als anstößig bewertet und die Meinungsfreiheit von Menschen in Libyen und Ägypten manchmal geringer schätzt als die von US-Bürgern – wie bei dem “The Innocence of Muslims”-Video.

Google ist nicht das Internet

Google bietet nach seinen Regeln einen Dienst, den Millionen Menschen nutzen und schätzen. Und verdient damit Geld. In Deutschland hat der Konzern eine Monopolstellung – die er nutzt. Ob dies der Allgemeinheit dient, müssen Kartellbehörden prüfen. Gegen solche Kontrolle wehrt sich Google gerne mit dem Argument, man schaffe Jobs, man trage zum Gemeinwohl bei. “Bereits vier Millionen deutsche Arbeitsplätze hängen am Internet”, schreibt Google in seinen “Fakten gegen das Leistungsschutzrecht”.

So ähnlich argumentierte im vorigen Jahrhundert der US-Telefonmonopolist AT&T. Lasst uns unser Monopol, wir tun doch nur Gutes, wir spannen ein “universelles Informationsnetz” zu jedem US-Haushalt. Lange Zeit konnte AT&T mit der Gemeinwohlkarte Regulierung abwehren. Dann wurde AT&T von den Behörden doch zerschlagen.

Das Internet ist später trotzdem entstanden, AT&T war gar nicht “das Informationsnetz”. Genauso wenig ist Google “das Internet”. Und genauso wenig wie AT&T vertritt Google die Interessen aller Nutzer.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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