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Kaufgerüchte: Warum Google Twitter kaufen sollte (Spiegel Online, 4.4.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Kaufgerüchte

Warum Google Twitter kaufen sollte

Letzte Verhandlungsrunde oder doch nur Kooperation? Google und Twitter verhandeln, berichtet das IT-Blog Techcrunch: über eine Übernahme oder eine gemeinsame Suchmaschine. Ein Deal könnte sich für Google richtig lohnen.

Spiegel Online, 4.4.2009

Von Facebook wollte die Web-Schwatzbude Twitter sich nicht kaufen lassen – nun will angeblich Google sein Glück versuchen. Das US-Fachblog Techcrunch berichtet, Firmenvertreter würden über einen Verkauf verhandeln, zwei Quellen hätten das Techcrunch unabhängig voneinander bestätigt. Eine dritte Quelle habe behauptet, es gehe bei den Verhandlungen allein um ein gemeinsames Suchmaschinenprojekt. Völlig abwegig sind diese Spekulationen nicht (auch wenn die Status-Updates der Twitter-Chefs anders klingen). Twitter-Mitgründer Evan Williams hat ja schon einmal ein Unternehmen an Google verkauft, die Weblog-Plattform Blogger.

Und Twitter hat etwas, das Google für alle möglichen Geschäftsbereiche brauchen kann: Eine Menge sehr aktiver Mitglieder, die in Echtzeit Themen verlinken, Meinungen aufschreiben und Vorgänge kommentieren. All das zusammengenommen und mit einer cleveren Software nutzbar gemacht, könnte es Google in vielen Bereichen helfen. Hier einige Beispiele:

Twitter als Futter für die Suchmaschine

Die in Echtzeit ausgewertete Kommunikation in den Twitter-Mikroblogs könnte Googles Suchmaschine eine stärkere Gewichtung der Aktualität und Brisanz bestimmter Themen ermöglichen. Bei Twitter schreiben sehr viele Menschen in kurzen Sätzen, was gerade ihre Aufmerksamkeit erregt und bindet. Aus der Sicht einer Suchmaschine ist das eine Armee kostenloser, menschlicher Mitarbeiter, die freiwillig mitteilen, was sie gerade bewegt – digitalisiert und perfekt sortierbar nach Sprache, IP-Region, sogar nach Vernetzung und Relevanz der einzelnen Autoren (je mehr Follower ein Twitter-Autor hat, umso relevanter sind seine Beiträge).

Endlich eine Menschel-Maschine für Google

In Googles Portfolio fehlt ein in Nordamerika und Europa erfolgreicher Dienst, der Menschen bindet. Trotz Profilen ist die Google-Tochter YouTube eher eine Videoabspielplattform denn ein Menschel-Medium. Diese Lücke fällt heute umso mehr auf, da Google in vielen Bereichen längst davon abgerückt ist, ein Vermittler von Aufmerksamkeit zu sein, Menschen zu Inhalten zu leiten, Werbung als Dienstleister zu verwalten und dabei einen guten Schnitt zu machen. Google ist immer weniger Aggregator und immer mehr Produzent.

Google agiert heute in vielen Bereichen als Medienkonzern, bietet Nachrichten, Videos, digitale Bücher auf der eigenen Plattform. Wenn Google selbst Werbeumfelder gestaltet und betreibt, fehlt in dem Angebot ein soziales Netzwerk. Nur wenige Web-Angebote binden die Aufmerksamkeit von Menschen so gut und dauerhaft wie Dienste à la Facebook. Da Google mehr und mehr solcher Aufmerksamkeitsmagneten selbst verwaltet, wäre Twitter eine gute Ergänzung – wie bei Facebook verstärkt sich die Sogwirkung dieses Dienstes von selbst. Je mehr Menschen dort aktiv sind, umso interessanter wird das Angebot für sie und ihre Freunde.

Und: Wenn ständig etwas Neues passieren kann, ist der Drang groß, ständig die entsprechende Seite zu verfolgen. Das ist der Echtzeit-Trick bei Twitter: Die Nutzer haben das Gefühl, nahezu live zu verfolgen, was um sie herum im Web passiert.

Aus dieser Aufmerksamkeit Profit zu schlagen, ist Twitter bislang nicht geglückt. Das könnte Google schaffen.

Ein neuer Aufmerksamkeitsverteiler

Googles Suchmaschine ist heute der Aufmerksamkeitsverteiler schlechthin im Web: Wer gezielt Inhalte finden will, sucht und verlässt sich auf die Logik der Suchmaschinen. Aber Twitter und die neu gestaltete Facebook-Plattform zeigen, dass eine zweite Art der Web-Suche gerade Freunde gewinnt: Die Suchmaschine für Menschen, die gar nicht genau wissen, was sie suchen.

Wer bei LastFM Musik hört und in den Empfehlungen seiner Freunde stöbert, hat eine sehr abstrakte Suchanfrage im Kopf: Ich suche Musik, die mir gefallen könnte. Solche Suchanfragen kann Google nicht beantworten. Wer bei Facebook und Twitter in Echtzeit verfolgt, wer aus seinem Bekannten- und Freundeskreis gerade was denkt, kommentiert, im Web entdeckt, gekauft, gehört, gesehen hat, macht das mit einer ähnlich abstrakten Suchanfrage im Kopf: Ich will Dinge erfahren, die mich interessieren könnten.

Diese Antworten kann derzeit kein Suchmaschinen-Algorithmus zufriedenstellend beantworten. Auch Google nicht.

Neue Werbeformen

Google handelt mit Aufmerksamkeit und verkauft Werbeplätze. Das Geniale an Googles Geschäftsmodell ist das Parasiten-Prinzip beim Werbeplatz-Verkauf: Das Gros der Adsense-Werbeplätze, für die Google Geld kassiert, liegt auf Seiten, die Google nicht selbst betreibt. Das Unternehmen ist nur ein Mittler und kassiert dafür Provision.

Nur wollen Unternehmen irgendwann einmal den Menschen vielleicht nicht nur auf irgendwelchen Seiten Banner zum Draufklicken zeigen, sondern direkt mit ihnen in Kontakt treten. Facebook und Twitter haben das Potential, Werbeplätze für solche Direktkommunikation nach einem ähnlichen Parasiten-Prinzip zu verkaufen wie Google es heute mit Werbeflächen auf Websites tut.

Bei Facebook und Twitter kann heute jeder Nutzer Politiker, Firmen und Medien als Freunde hinzufügen und sich dann fortwährend anhören, was Barack Obama oder SPIEGEL ONLINE ihren Facebook-Freunden zu sagen haben. Bei Twitter läuft das genauso, dort hat sich Facebook diese Idee abgeschaut.

Für diese Dienste werden Facebook und Twitter mit Sicherheit einmal Geld verlangen können – Unternehmen bezahlen heute Geld dafür, dass Menschen auf ihre Banner klicken. Warum sollten sie dafür bezahlen, Zigtausende Fans um sich scharen zu dürfen, in einem Umfeld, wo diese Menschen auch mit ihren echten Freunden und Bekannten kommunizieren?

Wenn der Verkauf solcher Plätze in Menschel-Netzen zu einem Geschäft wird, kann Google daran mit seinem bisherigen Portfolio wenig verdienen. Das ist ärgerlich für einen Konzern, der dadurch groß geworden ist, aus den privaten Websites von Millionen von Amateuren und Nebenbei-Web-Gestaltern ein milliardenschweres Werbeumfeld zu machen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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