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Kein Wort, nirgends (Süddeutsche Zeitung, 11.8.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Kein Wort, nirgends

Sprechen kann er noch immer nicht: Vor 20 Jahren kam in New York der PC auf die Welt, und bis heute verdankt er seinen enormen Erfolg seinem schlichten Innenleben

Süddeutsche Zeitung, 11.8.2001

Ein technisches Wunderwerk war der Kasten nie – aber genau das ist der Grund für seinen Erfolg. Denn der PC, der heute ein Synonym für den technischen Fortschritt darstellt, war schon immer ein anti-modernes Gerät. Als IBM am 12. August 1981 in New York den sogenannten „PC-5150“ der Fachwelt vorstellte, da bestaunten die Computerexperten nicht die Geschwindigkeit oder die brillante Konstruktion des neuen Rechners, sondern eher die Einfachheit der verwendeten Bausteine. Der PC hätte technisch „schon 1965 niemanden begeistert“, sagte jüngst Computerveteran Alan Kay, der das renommierte „Palo Alto Research Center“ mitgründete. Aber gerade weil sie niemanden vom Hocker gehauen haben, stehen die PCs heute überall.

Der PC war nie Avantgarde, anders als Apple vermieden die Hersteller jede elitäre Gefühlsproduktion. Im Gegenteil: es haftet etwas vormodernes dem PC an. Lee Felsenstein, der einen der ersten aufgelieferten IBM-PCs bei einem Treffen des legendären „Homebrew Computer Club“ aufschraubte, hat sein Gefühl dabei einmal so beschrieben: „Es waren keine Chips darin, die ich nicht erkannte. Bisher hatten mich meine Erfahrungen mit IBM gelehrt, dass man selbst zufällig im Müll gefundene IBM-Bauteile schnell wieder vergaß, weil sie alle kleine Sonderanfertigungen waren, über die nirgends Material zu finden war. IBM existierte in einer eigenen Welt. Aber in diesem Fall hatten sie mit Bauteilen gearbeitet, die auch Sterbliche erstehen konnten.“

Der PC ist ein anti-elitäres Projekt, Unvollendetheit ist sein wesentlicher Charakterzug. Zwar lieferte IBM schon seine ersten PCs als komplettes Paket mit Monitor und Tastatur – was sicher ein Grund für den Erfolg war – doch die Bauelemente, welche Felsenstein erkannte, verrieten die Nähe des PCs zu einem gänzlich anderen Produkt. Schon vor dem IBM gab es Heimcomputer mit Intel-Prozessoren. Der Bekannteste ist 1975 erschienen – als Bausatz. Der MITS Altair 8800 wurde in den Vereinigten Staaten von einem Kleinunternehmer für 397 Dollar verschickt. Die Käufer mussten sich den Computer dann selbst zusammenschrauben. Programme wurden in der Maschinensprache des Prozessors geschrieben, und zwar über Schalter an der Vorderseite des Rechners. Jeder umgestellte Schalter repräsentierte eine binäre Zahl. Die so entstandenen Programme konnten nicht viel mehr tun, als Lichter an der Vorderseite blinken zu lassen. Eines der ersten Programme soll ein Spiel gewesen sein, das die Lichter in einer bestimmten Reihenfolge blinken ließ, die der Spieler dann mit Hilfe der Schalter nachahmen sollte.

Bei IBMs PC war das nicht nötig. Zu dem Komplettpaket gehörte auch die von Microsoft vorinstallierte Programmiersprache „Basic“, die das Programmieren wesentlich einfacher machte. Und doch hatte IBMs PC bei all dieser Innovation mit dem Altair weit mehr gemeinsam als bloß einige Chips. In einer Zeit, als im Fernsehen Captain Kirk schon seit einigen Jahren seinen Computer per Sprache bediente, lieferte IBM ein Eingabegerät, dessen Layout Schreibmaschinen nachempfunden war. Die Tastatur war schon ein gewaltiger Fortschritt gegenüber den Schaltern des Altair. Und doch war sie zugleich das Plastik gewordene Versprechen, der Nutzer habe es hier nicht mit einer hypermodernen Technologie zu tun, sondern eher mit einem Stück altvertrauter Gebrauchselektronik.

Bloß nicht zu modern wirken, diese Lektion hat die Computer-Industrie von IBMs PC gelernt. Wenn der PC aber technologisch kein meilenweiter Wurf war – was ist der Grund für seinen Erfolg?

Das Geheimnis hat Bill Gates am 25. Juni 1986 in einer Memo an die damaligen Apple-Chefs John Scully und Jean-Louis Gassée formuliert: „Apple muss den Macintosh zum Standard machen. Aber kein PC-Hersteller, nicht einmal IBM, kann einen Standard ohne unabhängige Hilfe etablieren.“ Am Ende schrieb er noch: „Ironischerweise wird IBM als technologisch innovativ angesehen. Nämlich weil Hersteller Angst davor haben, zu innovativ zu sein und sich zu weit vom Standard zu entfernen.“

Der PC wurde zum Standard, weil er nicht Avantgarde war, sondern aus so herkömmlichen Bauteilen bestand, dass jedermann ihn nachbauen konnte. Das einzige proprietäre Element an IBMs PC war das sogenannte Bios, das „basic input output system“, welches beim Start eines Computers die Hardware testet und das Betriebsystem zum Laufen bringt. Der Code des IBM-Bios war nicht öffentlich, bis 1981 einige Techniker bei Compaq die einzelnen Schritte des Programms verfolgten und dann einfach ein eigenes Bios schrieben, das exakt dasselbe tat. IBM klagte und verlor. Andere Firmen stellten eigene Versionen des IBM-Bios her, lizenzierten diese an Computerhersteller und so war sehr bald das einzige Geheimnis das IBM-PCs gelüftet.

Die Avantgarde stirbt schnell, zumindest die technologische. Das ist der Grund, warum uns heute PCs so wenig an Star Trek erinnern. Es geht uns da so ähnlich wie Captain Kirk, der im vierte Star Trek Film unerwartet vor einem der modernsten Computer des ausgehenden 20. Jahrhunderts steht. Er nimmt die Maus und statt sie zu bewegen ruft er hinein: „Computer, Hallo, Computer“. Aber der Computer antwortet nicht.

Inzwischen kann man mit einigem Aufwand an Soft- und Hardware seinem Computer auch rudimentäre Befehle per Sprache erteilen. Aber antworten wird er noch immer nicht. Denn eigentlich sieht der PC heute so aus wie damals schon vor 20 Jahren. Auch die graphischen Benutzoberflächen von Apple oder Microsoft funktionieren alle nach demselben Prinzip, das bereits vor mehreren Jahrzehnten am „Palo Alto Research Centre“ entwickelt wurde: Informationen werden räumlich strukturiert. Es gibt Laufwerke, darin Ordner, und darin wiederum Unterordner.

Es ist nicht so, dass Ideen oder gänzlich neue Konzepte fehlen. Nur ist der PC aufgrund seiner Anti-Modernität so erfolgreich. Seine Gestalt ist ein Standard, ein kleinster gemeinsamer Nenner, abseits dessen nur selten erfolgreiche Produkte entwickelt werden können. Das hat ja bereits 1986 Bill Gates beobachtet.

Versuche gab es genügend. Jean-Louis Gassée verkündete 1996, als sein Unternehmen Be startete: „Wenn man normale Computernutzer fragt, was sie wollen, heißt es: schneller, kleiner, billiger. Aber so erhält man keine Innovation.“ Gassée wollte mit seinem BeOS und der dazugehörenden BeBox Computer und Betriebssystem neu erfinden: „Betriebssysteme leiden mit der Zeit an Krebs. Sie werden alt und kompliziert und byzantinisch. 1980 kaufe Microsoft QDos, das zu Dos wurde und heute Windows, Windows 95 und Windows NT ist. Wenn man sechs solcher Schichte in einer Architektur hat, ist es schwierig das Fundament zu bewegen.“ BeOS fristet heute trotz technologischer Brillanz ein Schattendasein bei bestimmten multimedialen Anwendungen.

Wirklich schade ist es um das Konzept einer vollkommen neuen Benutzeroberfläche, die Informationen nicht in räumlichen sondern in zeitlichen Dimensionen ordnet. Der Informatiker David Gelernter präsentierte 1997 einen Prototypen des von ihm entwickelten Benutzerinterfaces „Lifestreams“. Die Idee ist eigentlich simpel: Das zuletzt bearbeitete Dokument eines Nutzers erscheint vorne auf dem Bildschirm, die weiter zurückliegenden dahinter. Mit der Maus kann man sie aus dem „Lebensstrom“ – der in Idealform bis zur Geburtsurkunde zurückreicht – herausziehen, vergrößern, betrachten und bearbeiten. Der größte Vorteil eines solchen Interfaces wäre die Möglichkeit, Informationen nach Kontexten zu suchen, also zum Beispiel eine wichtige E-Mail im Umfeld eines gebuchten Fluges, an den man sich erinnert. Die Einordnung nach Sachgebieten oder Objekttypen schließt das Konzept „Lifestream“ nicht aus: Es kann ja unterschiedliche Lebensströme für gelesene Bücher, erstelle Präsentationen oder empfangene E-Mails geben. All dies wäre von Nutzer skalierbar und selbstverständlich auch über ein Suchfunktion handhabbar. Wäre – denn die Idee ist nicht Produkt geworden.

Der PC ist heute ebenso wenig perfekt wie vor 20 Jahren. Doch er könnte es sein. Von dieser Idee getrieben basteln heute Menschen wie damals Lee Felsenstein in ihren Wohnungen an der perfekten Maschine, installieren Steckkarten und Speichersteine und genießen dabei das Gefühl, einer unperfekten Technologie etwas Perfektion zu verleihen, wie es schon die wenigen Besitzer eines Altair-Computers verspürt haben müssen.

Der PC funktioniert letztlich nach dem Lego-Prinzip: Nicht die Steine zählen, sondern das, was der Mensch mit ihnen macht, nachdem er die Bauanleitung wegschmissen hat. Jeder PC kann nur überleben, wenn sein Nutzer ihn mit neuen Bausteinen versorgt: Mehr Arbeitsspeicher, neue Grafikkarten, größere Festplatten. Wie die Fische im Aquarium ist er auf seinen Besitzer angewiesen, weil er in der Welt da draußen alleine nicht überleben kann.

Wegen dieses ungeheuer beruhigenden Gefühls der Kontrolle schrauben Menschen wohl ihre PCs auf und ergänzen sie auch um Bausteine, bei denen sich jede Frage nach dem Nutzen verbietet. Steckkarten, die per Funk die Uhrzeit von einer Atomuhr empfangen beispielsweise. Und das ist gut so.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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