Kindle Fire HD: Das kann das neue Amazon-Tablet (Spiegel Online, 26.10.2012)
Kindle Fire HD
Das kann das neue Amazon-Tablet
Strahlendes Display mit hoher Auflösung: Amazon verkauft sein Tablet Fire HD zum Schnäppchenpreis. 199 Euro kostet die günstigste Version, Amazon-Dienste sind prominent vorinstalliert. Der Test verrät, ob die Hardware die enge Bindung an Amazon rechtfertigt.
Spiegel Online, 26.10.2012
Amazon macht mit seinem neuen Tablet Fire HD den Großen Konkurrenz: Der Bildschirm hat eine höhere Auflösung als der des neuen iPad Mini, doch das Amazon-Tablet kostet viel weniger. Amazons Fire HD hat 16 Gigabyte Speicherplatz, doppelt so viel wie das ebenfalls 199 Euro teure Google-Tablet Nexus 7. Es wirkt so, als habe Amazon bei den technischen Details genau darauf geachtet, jedes Konkurrenzprodukt mit einem technischen Detail zu übertrumpfen.
Aber wie gut funktioniert diese Technik im Alltag, wie sehr hat Amazon sein Tablet auf die eigenen Angebote zugeschnitten? Der Test beantwortet die wichtigsten Fragen zum Kindle-Tablet.
Das gefällt: guter Bildschirm, schnelles System
Display: Der Bildschirm des Kindle Fire HD sieht beeindruckend gut aus – satte Farben, auch bei reiner Textdarstellung – etwa in der Lese-App – sind keine pixeligen Kanten zu erkennen. Bei unserem Testgerät wirkten die Farben sehr warm, weiße Flächen haben einen leichten Stich ins Orange. Im Vergleich zu Samsungs 7-Zoll-Tablet Galaxy Tab 2 7.0 ist der Unterschied deutlich sichtbar, die 1,02 Megapixel des Fire HD sehen besser aus als die 0,6 des Samsung-Tablets. Allerdings spiegelt das Fire-Display stark; richtig gut sieht das nur in geschlossenen Räumen aus.
Geschwindigkeit: Eigentlich ist das Fire HD ein Android-Tablet, doch Amazon hat das Google-Betriebssystem stark überarbeitet, das Aussehen verändert, viel Software ergänzt. Das hat gute und schlechte Folgen. Gut ist die Reaktionsgeschwindigkeit, Tastatureingaben erscheinen sofort, Apps starten ohne spürbare Verzögerung. Und der von Amazon entwickelte Silk-Browser des Tablets zeigt Websites etwas schneller an als beispielsweise Chrome auf dem Samsung Galaxy Tab. Wir haben im selben W-Lan dieselben Seiten auf SPIEGEL ONLINE aufgerufen, jedes Mal hatte das Fire HD die Darstellung etwas schneller komplett aufgebaut. Es geht dabei nur um Augenblicke, das Galaxy Tab für sich fühlt sich gar nicht langsam an – doch im direkten Vergleich ist das Fire HD schneller.
Software: Die Benutzerführung des Fire HD ist darauf ausgelegt, möglichst einfach und schnell an Musik, Filme und E-Books aus dem Amazon-Angebot zu kommen. Worum es Amazon geht, zeigt schon die Abfolge der Menüpunkte der auf dem Startbildschirm oben eingeblendeten Leiste: Einkaufen / Spiele / Apps / Bücher / Musik. Irgendwo weiter hinten kommen noch der Menüpunkt “Web” und die selbst erstellten oder hochgeladenen Dokumente des Nutzers. Das Kindle soll das Kaufen und Konsumieren anfachen. Unter dieser Maßgabe ist die Software gut gelungen. Ein E-Mail-Programm gibt es auch, es funktioniert gut, auch mit Exchange-Konten. Eine gute Idee zur Nutzerführung ist das Karussell der zuletzt aufgerufenen Dokumente, Anwendungen und Medien.
Nicht so gut: Bedienung, App-Angebot
Gehäuse: Das Fire HD hat einen dicken, schwarzen Rand, er ist mehr als 2,2 Zentimeter breit, dadurch wirkt das Fire HD weit ausladender als viele Sieben-Zoll-Tablets. Menschen mit dicken Fingern werden das schätzen, schön ist dieses Gehäuse jedoch nicht. Neben solchen Geschmacksfragen gibt es auch Gestaltungsfehler. Der Einschalter und die Lautstärke-Wippe beispielsweise sind minimal versenkte Schalter am Gehäuserand. Sie sind mattschwarz wie der Rest des Rahmens und fühlen sich fast genauso an. Das hat zur Folge, dass man selbst bei guter Beleuchtung den Einschalter nicht sofort findet. Im Halbdunkeln fährt man mit dem Finger vorsichtig tastend am Rand entlang. Da sind die deutlich hervortretenden Schalter der Tablets von Apple und Samsung klar überlegen.
Bedienung: Amazons Betriebssystem hat einige verwirrende Besonderheiten. In jeder Anwendung springt man über ein kleines Häuschen-Symbol zurück zum Startschirm oder über einen nach links weisenden Pfeil zum zuletzt angezeigten Schirm. Die beiden Symbole hat Amazon allerdings gewöhnungsbedürftig platziert: Der nach links weisende Pfeil ist in der Mitte, der Home-Schalter ganz links positioniert.
App-Auswahl: Amazon erlaubt nur den Zugang zu Android-Programmen aus dem eigenen Download-Angebot. Das Angebot hat Lücken, es fehlen zum Beispiel viele Apps, mit denen man Zugriff auf digitale Medienangebote von Amazons Konkurrenten hätte: Die Android-Apps von Kobo und Txtr (E-Books), Skoobe und der Onleihe (E-Book-Leihe) und Zinio (Digital-Zeitschriften) gibt es derzeit nicht, aber immerhin schon Apps der Musikdienste Rdio und Spotify. Man kann mit etwas Mühe solche Programme auch auf dem Kindle Fire HD installieren. Voraussetzungen: Man hat sie gekauft, auf einem Android-Gerät installiert, mit dem Android-SDK auf einen Rechner kopiert und dann auf den Fire übertragen (hier eine ausführliche Anleitung).
Fazit: Gute Hardware, Amazon-Monokultur
Amazon versucht, das Geschäftsmodell seiner Kindle-Lesegeräte auf Tablets zu übertragen. Gute Hardware gibt es vergleichweise günstig, dafür ist man an Amazons Einkaufswelt gebunden. Bei Lesegeräten wie dem Kindle Paperwhite ist die Hardware tatsächlich der Konkurrenz so weit überlegen, dass man versucht ist, diesen Pakt einzugehen.
Beim Fire HD hingegen sind die Vorzüge der Amazon-Hardware gegenüber anderen Tablets in derselben Preisklasse nicht überragend. Das Display des Fire HD ist gut, doch Googles Nexus 7 bietet dieselbe Auflösung. Das Samsung Galaxy 7 2.0 ist leichter, schlanker und offener, man kann den Speicher mit Micro-SD-Karten erweitern. Wer Filme, E-Books und Musik nur bei Amazon kaufen will, ist mit dem Fire HD zufrieden – empfehlenswert ist eine solche Monokultur aber nicht, ganz gleich, wie gut der Bildschirm ist.