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Kinect-Steuerung: Der Fernseher hört zu (Spiegel Online, 6.6.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Kinect-Steuerung

Der Fernseher hört zu

Google, Apple, Microsoft: Die Netzgiganten drängen ins Wohnzimmer, wollen Fernsehsendungen, Pay-TV und Filmdownloads über ihre Netzwerke vertreiben. Microsoft will in diesem Jahr das Videoangebot für die Xbox verzehnfachen – und verspricht das Ende der Fernbedienung.

Spiegel Online, 6.6.2011

{jumi [*3]}

“Die Technologie soll verschwinden.” Dieser paradoxe Satz fällt öfter bei der Vorstellung der neuen Erweiterungen von Microsofts Spielkonsole Xbox 360. Wobei Spielkonsole vielleicht nicht mehr der richtige Ausdruck ist. Denn, wie Microsoft-Manager Don Mattrick betont: Die Technologie soll verschwinden, damit man zum Beispiel auch “einfacher” fernsehen kann. Und das geht so: Man sagt der Konsole, was man sehen, hören oder spielen will.

Bei der kurzen Demonstration auf der Bühne funktioniert das ganz gut: Die Vorführerin spricht mit der Konsole, ruft so die verschiedenen Menüpunkte der Konsole auf – Spiele, Musik, Videos. Das überrascht niemanden, der mit der Sprachsteuerung seines Mobiltelefons arbeitet. Dann wird es interessanter: Microsoft ergänzt die Konsole in diesem Jahr um eine Schmalspur-Ausgabe seiner Suchmaschine Bing. Die durchforstet auf der Xbox alle verfügbaren Video-, Musik-, und Spieltitel aufs Wort. “Lego”, sagt man, und die Xbox zeigt alle verfügbaren Lego-Spiele.

So eine Suchmaschine wird man wohl auch brauchen, wenn das Unterhaltungsangebot für die Xbox so stark wächst, wie die Manager versprechen. Für 2011 kündigt Microsoft “zehnmal so viele” Partnerfirmen an, die Fernsehen, Videos und andere Inhalte zuliefern. Welche das in Deutschland sein werden, ist derzeit nicht bekannt. Microsoft betonte aber, dass die Fernseh-Offensive im Herbst international sein wird, aufgezählt wurden dann aber nur Fernsehsender in Australien und Großbritannien. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE verhandelt Microsoft auch in Europa mit diversen TV-Anbietern – und das schon seit Monaten.

Microsoft will Nintendo überholen

Microsoft setzt verstärkt auf die Steuerung durch Körperbewegungen. Das Kinect genannte System überzeugt offenkundig viele Menschen, sich die Konsole zuzulegen. Seit November 2010 verkauft Microsoft seine Kinect-Steuerung für die Xbox 360, im Mai meldete das Unternehmen 10 Millionen verkaufte Sensoren. Die neue Technik hat auch den Konsolenverkauf angekurbelt. Im ersten Quartal 2011 wurden 2,7 Millionen Stück verkauft – so viele wie in keinem Quartal zuvor.

Microsoft-Manager Don Mattrick gab für 2011 diese Vorgabe aus: Man wolle die Xbox 360 weltweit zu bestverkauften Konsole machen. Bislang ist Microsoft weltweit Nummer zwei. Seit 2005 die Xbox 360 und 2006 die Wii und die Playstation 3 erschienen sind, haben sich die Verhältnisse klar entwickelt:

  • Nintendo ist mit der Wii weltweit Marktführer, gut 86 Millionen Exemplare hatte die Firma Ende März 2011 verkauft, das entspricht einem globalen Marktanteil von gut 45 Prozent nach ausgelieferten Konsolen.
  • Microsofts Xbox 360 liegt knapp auf Platz zwei. 55 Millionen verkaufte Konsolen meldete der Konzern bis Ende Mai 2011 – das entspricht einem Marktanteil von gut 28 Prozent. In den Vereinigten Staaten liegt die Xbox 360 weit vor Sony, in Japan mit deutlichem Abstand auf Platz drei, in Europa nun knapp.
  • Sonys meldete Ende März, man habe 50 Millionen Exemplare der Playstation 3 an den Handel ausgeliefert – das entspricht einem Marktanteil von gut 26 Prozent.

Die Nutzung der Kinect-Steuerung für Unterhaltungsangebote könnte Microsoft einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz von Google und Apple verschaffen. Die Konzerne drängen alle ins Unterhaltungsgeschäft, mit Zusatzgeräten für Fernseher wie “Google TV” und “Apple TV”.

Jubel für wortreiche Gestensteuerung

Spracherkennung und neue Ideen für die Bewegungssteuerung waren auch das große Thema bei den Spielevorstellungen. Einige Beispiele:

  • Electronic Arts wird in diesem Jahr Sportspiele mit Kinect-Steuerung vorstellen. Dabei geht es nicht nur um Bewegungen – zum Beispiel das Schwingen des Golfschlägers -, sondern auch Absprachen auf dem Spielfeld per Spracherkennung.
  • In einem Ausblick auf das Science-Fiction-Spiel “Mass Effect 3” zeigten die Macher, wie man sich mit Figuren im Spiel unterhält. Der Spieler kann zwischen mehreren Sätzen wählen, die seine Figur sagen kann, indem er sie einfach ausspricht.
  • Großen Jubel löste die Präsentation der Bewegungssteuerung im Spiel “Ghost Recon: Future Soldier” aus. Wie Tom Cruise in dem Film “Minority Report” mit seinen Armen Daten durchstöbert, bauen die Spieler in dem “Gunsmith” genannte Modul des Spiels Waffen zusammen. Die Arme auseinanderziehen – die Waffe wird auseinandergebaut. Sagt man “optimiere auf Nahkampf”, gehorcht die Konsole aufs Wort. Und dann kann man die selbst konstruierten Waffen im Schießstand ausprobieren – ohne Controller. Die Kinect-Kamera erkennt, wenn der rechte Zeigefinger abdrückt.
  • In Spiele wie “Star Wars Kinect” und “Fable – The Journey” fügt sich die Gestensteuerung sehr stimmig ein, wenn es um die Macht oder Magie geht. Ob man nun als Jedi-Ritter Raumschiffe durch die Luft schweben lässt oder in “Fable” als Magier Feuerbälle wirft – da wirken Gesten viel natürlicher als bestimmte Tastenkombinationen am Controller. Einen Feuerball wirft man im neuen “Fable” zum Beispiel so: Erst die Hände reiben, um Energie aufzubauen, dann mit beiden Händen den Feuerball in eine bestimmte Richtung schleudern.
Nicht nur die großen Studios wissen mit der Kinect-Steuerung umzugehen. Es ist interessant zu beobachten, wie Microsoft die überwiegend unabhängigen Kinect-Hacker umgarnt. Das Unternehmen will allen Xbox-Nutzern eine Auswahl von Anwendungen präsentieren, die sich die Entwickler ausgedacht haben. Zur “Kinect Fun Labs” getauften Auswahl wird zum Beispiel der Körperscanner “Kinect Me” gehören. Man stellt sich vor die Kinect-Kamera, die Software erkennt Gesichts- und Körperform, Frisur, Kleidung, und errechnet einen Avatar, der dem gescannten Input sehr ähnlich sieht.

Von denselben Entwicklern stammt auch das Programm “Googly Eyes”, das mit Hilfe der Kinect-Kamera Gegenstände einscannt und aus den Daten ein dreidimensionales Modell errechnet. Wenn es so gut funktioniert wie bei der Vorführung, kann man vielleicht irgendwann mit einem digitalen Gegenstück des eigenen Skateboards herumfahren.

Microsoft versucht mit aller Macht, die Xbox für Gelegenheitsspieler attrakiv zu machen. Für echte Fans gab es aber auch eine spannende Ankündgiung: 2012 erscheint der vierte Teil der legendären Reihe “Halo”.

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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