Klammer und Sichel (Süddeutsche Zeitung , 6.10.2001)
Klammer und Sichel
Technologieunternehmen entdecken den sozialistischen Realismus für ihr Design
Süddeutsche Zeitung , 6.10.2001
Hacken ist nur selten eine physische Angelegenheit. Selbst in „Matrix“, diesem großen Film über die körperliche Bewegung, beginnt der Held und Hacker Neo seine eigentliche Reise sitzend, auf eine Computertastatur einhämmernd. Auf dem langen Marsch zu Wahrheit und Freiheit ist Neos Körper zumeist unbeweglich in einer Fruchtblase und dann in der schützenden Hülle eines Unterseebootes gefangen. Die von Neo geführte Revolution wird dabei nicht zuletzt von der Sehnsucht nach einer physischen Existenz angetrieben.
Einen ganz ähnlichen Wunsch nach Körperlichkeit und Bewegung drückt heute das Corporate Design vieler Informationstechnologie-Unternehmen aus. Sie bedienen sich dabei großzügig beim sozialistischen Realismus: Fahnen wehen, Arbeiter marschieren und Hämmer werden geschwungen. Hacken als das Einhämmern auf die Tastatur nimmt zum Beispiel die kanadische Softwarefirma Activestate wörtlich: Auf der Internetseite des Unternehmens aus Vancouver steht neben den üblichen Informationen über Management, Investoren, Aufsichtsrat ein Arbeiter in Latzhose und Schutzhandschuhen, der zum Schlag auf eine stilisierte Taste ausholt.
Die Geste erinnert an Motive vor allem aus sowjetischer Plakatkunst. Die Form der kantigen, schwarz-roten Activestate-Arbeiter zitiert den Konstruktivismus der frühen Jahre der Sowjetunion, während die Gestik des Gezeigten eher den sozialistischen Realismus späterer Jahre assoziiert.
Ähnlich eklektizistisch scheinen auch andere Unternehmen vorzugehen. Ein deutscher Spielehersteller zum Beispiel nennt sich „Spieleentwicklungskombinat Ost“ und wählt als Logo einen umflammten Arm, der einen Hammer gen Himmel streckt. Das Unternehmen Cisco hinterlegt die Darstellung seiner „Solutions for Your Network“ mit einem Krawattenträger, der die Ärmel proletarisch hochgekrempelt hat und über seinem Kopf mit heroisch emporgestreckten Armen zwei Kabel zusammensteckt. Mit diesem Helden einer vermeintlichen Arbeiterklasse wirbt ein Unternehmen, das mit Dingen wie Multiprotokoll-Routern, Ethernet-Switches und Dial-up Access Servern im Geschäftsjahr 2001 über 22 Milliarden Dollar Umsatz gemacht hat.
Wird hier Klassenbewusstsein produziert? Könnte ja sein, dass die IT- Arbeiter eine ähnliche Sehnsucht erfasst hat, wie Neo sie wohl verspürt, in seiner quadratischen, farblosen Programmierer-Zelle, aus der er dann auch aufbricht. Der Slogan von Activestate weist ungefähr in diese Richtung: „Programming for the People“.
Activestate stellt Software-Werkzeuge her, die das Programmieren in unterschiedlichen Sprachen vereinfachen. Diese Werkzeuge funktionieren so ähnlich wie Malen-nach-Zahlen; sie sind äußerst einfach zu bedienen und werden obendrein noch verschenkt. Geld verdient Activestate mit Serviceangeboten oder umfangreicheren Versionen. Hier wird also Macht großzügig geteilt – oder doch zumindest das Gefühl von Machtgewinn vermittelt.
Ron Roodenberg, der diese Bildsprache für Activestate entworfen hat, erklärt die Anleihe beim alten Systemfeind so: „Ein ganz normaler Mensch soll hier die Ermächtigung zum Programmierer spüren – jeder soll mitmachen und teilen, das hat schon eine sozialistische Wendung –, aber wir waren vorsichtig, dem Ganzen einen nicht zu starken kommunistischen Anstrich zu geben.“ Hier manifestiert sich keineswegs ein neues techno-proletarisches Bewusstsein. Deshalb sollte man keine allzu große ideologische Tiefe hinter diesen Bilder sehen – viel wichtiger sind die Gesten in ihnen und die Gefühle, auf die sie verweisen.
Zum Beispiel bei Macgurus.com. Der Händler für Apple-Bauteile sieht sich laut Eigenwerbung „im unbarmherzigen Kampf“ für den Mac. Rote Sterne und wehende Fahnen sind großzügig über die Internet-Seiten verteilt. Sie sagen uns: Dies ist kein Online-Shop, sondern eine Bewegung. Man zahlt zwar auch hier gutes Geld, aber nicht an einen Verkäufer, sondern an einen Genossen, der solche Sätze über sein Geschäft schreibt: „Wir wissen, zu was für einem Mac- Laden wir immer gehen wollten: Einem mit der besten Qualität, geleitet von wirklichen Drahtköpfen – Mac-Leuten wie uns, die die Hardware in- und auswendig kennen und die fanatisch an die Plattform und den Macintosh-Weg glauben.“ Oder, wie es in der von Eugène Pottier verfassten „Internationale“ heißt: „Uns aus dem Elend zu erlösen / können nur wir selber tun.“ Und wenn es nur das Elend der PC-Dominanz ist.
All diese Verweise auf eine Bewegung ohne die Konkretisierung ihrer Ziele und Überzeugungen haben durchaus einen ernst zu nehmenden Hintergrund – auch wenn dieser mit der heute nötigen Ironie angesprochen wird. Das Produktionsmittel Computer ist so billig, dass seine Kontrolle als Argument einer neomarxistischen Analyse wenig taugt. Doch es gibt heute ganz neue Formen von Besitz, zum Beispiel die „closed standards“, geheime Programmroutinen, die Unternehmen in Betriebssysteme einbauen, um sich Vorteile bei der Entwicklung eigener Software zu sichern. Gegen solche Praktiken, die im gewissen Sinn dem Programmierer seine Produktionsmittel rauben, wenden sich zahlreiche Initiativen.
Die so genannte „Open Source“-Bewegung legt den Quellcode ihrer Programme bewusst offen, um allen Interessierten und Fähigen eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Einige Aktivisten behaupten, dass „Open Source“-Software der „einzige Kommunismus ist, der funktioniert“. All das wird bisweilen sogar sehr ernsthaft in Netz-Foren auch im Kontext neuer Formen des Corporate Design diskutiert. Das aktuell Computerspiele „Red Faction“ gar ficht völlig unironisch den Klassenkampf auf dem Mars aus. Allerdings kommt man schnell zum Schluss, dass Theorien wie „Open Source“ keineswegs dem Konzept des Privateigentums widersprechen; sie richten sich vielmehr ganz im marktwirtschaftlichen Sinne gegen Monopole.
Die neuen Zeichen des Corporate Design funktionieren als Klammer der zitierten Varianten von Kommunismus und Kapitalismus: Sie mobilisieren. Die Rot-Schwarz-Kombinationen im Design von Activestate oder des amerikanischen Kommunikationsdienstleisters Speakeasy erinnern bewusst an den Propaganda-Stil der zwei Fünf-Jahres-Pläne Stalins, welche in einem ungeheuren Kraftakt in Abkehr von Lenins neuer ökonomischer Politik eine kommunistischen Wirtschaftsordnung statuierten und so die stalinistische Industriemacht schufen. Eine vergleichbare Mobilisierung ist die Botschaft heutiger Corporate Identities: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit / Brüder, zum Lichte empor“ – nur, dass Freiheit für diese neue Bewegung einer technologischen Elite eben die Freiheit von staatlicher Regulierung und alten Industriemonopolen bedeutet.
Sogar die derzeitige Wirtschaftskrise wird in der eklektizistischen Bildsprache von Activestate, Cisco und anderen verarbeitet. Die Bilder zitieren nicht nur den sozialistischen Realismus, sondern auch amerikanische Arbeiten, die vor allem in den dreißiger Jahren im Rahmen der so genannten „Works Progress Administration“ (WPA) in den Vereinigten Staaten entstanden. Im Rahmen des New Deal zeichneten und malten von der WPA bezahlte Künstler unter anderem Plakate in einem ganz ähnlichen Stil wie die Sowjet-Künstler das Leben der einfachen Arbeiter auf dem Land und in der Stadt. Heroische Gestalten, welche die Folgen der Weltwirtschaftkrise meisterten und unbeirrt voranschritten.
Diese Krise hat man überwunden, die Wirtschaft ist heute sogar weniger reglementiert als damals und die technologische Entwicklung kaum noch in Jahresdifferenzen zu messen. Von dieser Bewegung erzählen die wehenden Fahnen und hammerschwingenden Arbeiter des neuen Corporate Design. Das Voranschreiten hat hier kein vorgegebenes Ziel. Wie auch in „Matrix“ ist es weniger wichtig, wohin man sich bewegt, als dass überhaupt eigene Bewegung stattfindet.
„Wie die Zukunft aussehen wird, weiß ich nicht“, erklärt der Hacker Neo am Ende von „Matrix“. Diese Revolution braucht auch gar keine Endvision, ihre Gesten sind ihr genug. Die schönste hatte prototypisch schon 1960 N. K. Litvinov gemalt: Die rote Fahne über die Schulter geschwungen schreitet der Mensch ins All: „b Kocmoc!“