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Klick, klick - und weg ist der Job (SPIEGEL online, 30.10.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Klick, klick – und weg ist der Job

In welchem Ausmaß dürfen Unternehmen E-Mail- und Internetnutzung ihrer Mitarbeiter überwachen? Die Briten preschen mit einem Schnüffelgesetz vor – und auch in Deutschland ist die Diskussion noch nicht ausgestanden.

SPIEGEL online, 30.10.2000

Jeden Monat hatten die Angestellten des US-Netzwerkfirma Cabletron eine Rangliste der online verbrachten Zeit aller Mitarbeiter im E-Mail-Fach. Gewürzt wurde das Ranking mit der peniblen Auflistung individueller Lieblingsseiten, kategorisiert unter Stichworten wie "Sex" oder "Einkaufen".

Während Mitte dieses Jahres der neue Cabletron- Geschäftführer die rigorose Überwachung abschaffte, führen sie immer mehr US-Unternehmen ein. Einer Studie der American Management Association (AMA) zufolge überwachten 1997 nur 14,9 Prozent der Firmen die E-Mails, 1999 waren es 27 Prozent, in diesem Jahr soll der Anteil auf 38,2 Prozent steigen.

Die Entwicklung ist auch dem deutschen Bundesarbeitsministerium nicht verborgen geblieben. Mitte Oktober stellte der Referatsleiter Hans Peter Viethen in einer juristischen Fachzeitschrift Überlegungen zu einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz an. Die Inhaltskontrolle privater E-Mails und der Internetnutzung am Arbeitsplatz solle dem Arbeitgeber grundsätzlich verwehrt bleiben.

Der Vorschlag wurde heftig kritisiert. Von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände war zu hören, ein gesetzliches Nutzungsrecht für private Zwecke sei ein verfassungswidriger Eingriff in die unternehmerische Gestaltungsfreiheit. Das Ministerium distanziert sich nun von den "privaten" Überlegungen Viethens, der Inhaltskontrollen nur bei "schwer wiegendem Verdacht" als legitim anerkennen will.

Die Dünnhäutigkeit lässt Sorge vor einem wirtschaftsfeindlichen Image vermuten. Ziel eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes werde keinesfalls eine "kostenlose, unkontrollierte, private Nutzung" des Netzzugangs in Firmen sein, betont Ministeriumssprecher Klaus Vater. Ansonsten aber gebe es keine konkreten Planungen, kein Eckpunktepapier, keinen Gesetzentwurf – allein die Absicht, so etwas wie ein "Arbeitsnehmerdatenschutzgesetz" zu schaffen.

Ihre Lobbymacht beim betriebsinternen Datenschutz hat die Wirtschaft bereit in Großbritannien bewiesen. In der vergangenen Woche trat ein Gesetz in Kraft, das Arbeitgebern weitgehende Überwachungs- und Kontrollrechte einräumt. Die vom Department of Trade and Industry erarbeitete Bestimmung erlaubt etwa die Überwachung "zur Verhinderung des Missbrauchs der Computersysteme durch die Mitarbeiter" – ein wahrer "Gummi-Paragraph".

Das Gesetz fordert auch eine generelle Information der Mitarbeiter zu Überwachungsmaßnahmen, was die Überwachungsmöglichkeiten aber keinesfalls einschränkt. Von der britischen Datenschutzkommission war zu hören, die Einschränkungen seien auf Grund von Druck aus der Wirtschaft "enorm aufgeweicht" worden.

Die Datenschützer fordern für Arbeitnehmer hingegen das Recht auf einen Vertrauensvorschuss. Ironischerweise bezeugt der Sprecher des deutschen Arbeitsministeriums Vater ähnliches für die Arbeitgeber: Keinesfalls gebe es "Misstrauen gegenüber den Arbeitgebern".

Welche Konsequenzen die betriebsinterne Überwachung des Datenverkehrs haben kann, zeigen Fälle aus den USA. Der Chemie-Riese Dow Chemical (40.000 Angestellte weltweit) feuerte Anfang August 50 Mitarbeiter und mahnte 200 weitere ab. Unter ihren E-Mails wurden Fotos von Unfallopfern, ein paar Badeanzug-Bildchen, Bilder nackter Frauen und Pornografie gefunden. Solche Inhalte toleriert das Unternehmen nicht. Das stehe in der allen Mitarbeitern zugänglichen "Unternehmenspolitik", betonte ein Sprecher.

Damit sind die Kündigungen rechtens, denn in den USA gilt der erste Verfassungszusatz über die Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz nur eingeschränkt, wie Kary Moss, Vertreterin der American Civil Liberties Union bestätigt. Firmen hätten das Recht zu entscheiden, was ihre Mitarbeiter übers Firmennetzwerk sehen, lesen und schreiben dürfen – sofern sie diese Regelungen klar in einer allen zugänglichen Form darlegen.

Kündigungen wegen der Nutzung von Einkaufs- oder Pornografieangeboten im Internet gab es in den USA auch bei der "New York Times", Xerox und dem Wertpapierhaus Edward Jones & Co. In Großbritannien wurden Mitte Oktober 15 Angestellte der Investmentbank Merrill Lynch wegen Pornografie im Postfach entlassen. Aus Deutschland sind solche Fälle nicht bekannt. Bei möglichen Betroffenen liegt die Schamgrenze hoch. Wer will sich schon vorm Arbeitsgericht über seinen Pornokonsum auslassen? "Da wird gewiss viel über Abfindungen geregelt", sagt der auf Multimediarecht spezialisierte Kölner Anwalt Jürgen Weinknecht.

Wie viele Unternehmen in Deutschland E-Mail-Verkehr und Internetnutzung ihrer Mitarbeiter kontrollieren, ist weder bekannt noch geschätzt. Grundsätzlich gilt aber, dass der Arbeitgeber nicht überwachen darf – so entschied bereits 1997 das Landgericht Braunschweig (Az.: 12 S 23/97).

Grundlage sind hier die Bildschirmarbeitsplatzverordnung, die eine Verhaltens- und Leistungskontrolle ohne Wissen des Mitarbeiters untersagt, sowie das Betriebsverfassungsgesetz, das die Verwendung von zur Kontrolle der Mitarbeiter geeigneter Technik ohne Zustimmung des Betriebsrates verbietet. Details – zum Beispiel wie oft überwacht wird – müssen in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden.

Erlaubt eine Firma eindeutig privates Surfen und Mailen, fällt die Nutzung unter das Fernmeldegeheimnis. Und das heißt, dass der Mitarbeiter dieselben Rechte hat wie gegenüber seinem Provider daheim. Das IT-Beratungsunternehmen CMG empfiehlt in jedem Fall klare Regelungen darüber, wofür der Internetzugang am Arbeitsplatz verwendet werden dürfe. Klar bedeute eindeutig mehr als vage Unschreibungen wie "unerwünscht", "anstößig" oder "den betrieblichen Fortlauf fördernd".

Gezielt darf der Arbeitgeber nach bestehender Gesetzeslage also private E-Mails nicht überwachen. "Wenn er aber bei der zulässigen Überwachung der geschäftlichen E-Mails auf einen Privatbrief stößt, kann dieser durchaus auch vor einem Arbeitsgericht verwendet werden", merkt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Tobias Strömer an. Verbietet der Arbeitgeber grundsätzlich die private Nutzung, seien alle E-Mails per definitionem geschäftlich und somit legal zu überwachen.

Die bestehenden Gesetze decken den Arbeitnehmerdatenschutz nicht in allen Bereichen ab, glaubt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob. Da stimmt auch der Sprecher des Arbeitsministeriums Vater zu. Wann aber Entwürfe des Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes vorlägen, vermag er so konkret gar nicht zu sagen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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