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Konto-Affäre: Wer Deutschlands größte Datensammler sind (Spiegel Online, 19.8.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Konto-Affäre

Wer Deutschlands größte Datensammler sind

Sie horten Angaben zu Millionen Konten. Sammeln Details zu Kaufgewohnheiten und Wohngegend. Registrieren Zahlungsprobleme, Schwarzfahrer und Autounfälle – SPIEGEL ONLINE zeigt, welche Unternehmen Deutschlands Bürger erfassen. Kaum ein Lebensbereich bleibt unregistriert.

Spiegel Online, 19.8.2008

"Fast alles, was wir tun, wird irgendwo erfasst", erklärt der Leiter
des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein,
Thilo Weichert, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Es gibt heute kaum
einen Lebensbereich, in dem nicht irgendein Unternehmen
personenbezogene Daten sammelt: Autounfälle, Internet-Bestellungen,
Einkäufe im Supermarkt, Leasing-Abschlüsse, Kredite, Handy-Verträge,
Umzüge – zu fast allem steht in irgendeiner Datenbank etwas.


Firmen dürfen diese Sammlungen laut Datenschutzgesetz pflegen,
solange sie ein "berechtigtes Interesse" daran haben und diesem kein
sogenanntes "schutzwürdiges Betroffeneninteresse" entgegensteht.
Sprich: Wenn Firmen sich gegen säumige Zahler und Kreditausfälle
schützen wollen, ist das ein berechtigtes Interesse. Allerdings dürfen
sie in solchen Schuldner-Datenbanken nicht alles speichern – so sind
zum Beispiel Details zu Religion, politischer Überzeugung und
Sexualverhalten generell tabu, da qua Gesetz "schutzwürdig".

Abgesehen von solchen wenigen klaren Details ist die Abwägung
zwischen den Interessen der Datensammler und denen der erfassten Bürger
oft arg "interpretationsbedürftig", wie Datenschützer Weichert es
ausdrückt. Sprich: Die Grenzen sind fließend und im Streitfall müssen
Gerichte entscheiden.

Auskunfteien – Schufa, Creditreform, Infoscore

Wer bezahlt pünktlich, wer braucht erst ein paar Mahnungen, mit wem
haben Firmen richtig Ärger wegen ausstehender Zahlungen? Solche
Informationen über das Zahlungsverhalten von Bürgern sammeln sogenannte
Auskunfteien. Unternehmen schließen sich als Vertragspartner an, teilen
ihre Informationen und dürfen sich aus den Datenbanken der Auskunfteien
über ihre potentiellen Neukunden informieren. Einige Unternehmen
errechnen aus den Datenbeständen einen persönlichen Score, eine Art
Note für das Zahlungsverhalten.

Wie viele Daten haben die Unternehmen?

 

  • Die älteste deutsche Auskunftei Schufa
    (Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung) hat Informationen
    über 64 Millionen in Deutschland lebende Menschen.
  • Die Auskunftei Creditreform Consumer wirbt in einer
    aktuellen Darstellung
    der Geschäftsentwicklung 2007 damit, den Kunden 17 Millionen
    "Privatpersonenauskünfte" erteilt zu haben, aus einem Datenbestand mit
    "60 Millionen personenbezogenen Informationen zu fast 22 Millionen
    Bundesbürgern".
  • Das zu Bertelsmann gehörende Unternehmen
    Infoscore verwaltet eine Datenbank mit etwa 40 Millionen sogenannten
    "Negativmerkmalen" zu 7,7 Millionen Menschen.

Was wissen sie? 

  • Die Schufa-Datenbank erfasst Namen,
    Geburtsdatum, aktuelle und frühere Meldeadressen, Informationen über
    die Anzahl von Girokonten, Kreditkarten und Angaben zu Handy-,
    Telefon-, Leasing- und Kreditverträgen. Außerdem speichert die Schufa –
    sofern vorhanden – Erkenntnisse aus Privatinsolvenzen, eidesstattliche
    Versicherungen und Haftbefehle im Zusammenhang mit Insolvenzen. Nicht
    gespeichert werden Details zu Einkommen und Vermögen.
  • Creditreform wirbt mit personenbezogenen
    Daten, laut Informationen aus "Kreditabwicklungen und Lieferungen, aber
    auch aus Schuldnerlisten, Insolvenzregistern sowie eigenen Mahn- und
    Inkasso-Verfahren".
  • Die Bertelsmann-Tochter Infoscore wertet nach
    eigenen Angaben
    "Negativmerkmale aus öffentlichen Schuldnerverzeichnissen", "laufenden
    und abgeschlossenen Inkassovorgängen" der Vertragspartner und "Daten zu
    (Verbraucher-)Insolvenzverfahren" aus. Dazu kommen wohl auch
    Kundendaten von vielen Unternehmen, für die Infoscore das Inkasso
    übernimmt – wie die Deutsche Bahn und städtische Nahverkehrsbetriebe.
    Auf entsprechende Anfrage des SPIEGEL
    im April dementierte Infoscore-Geschäftsführer Wolfgang Hübner diese
    Verwendung von Daten nicht, betonte aber, dass "Prozesse bei Arvato
    Infoscore den gesetzlichen, insbesondere auch den
    datenschutzrechtlichen Vorschriften" entsprechen. Das gelte auch, "wenn
    Daten aus Unternehmen des Bertelsmann-Konzerns verwendet werden".

Wofür nutzen sie die Informationen?

Unternehmen schätzen anhand der Bewertungen von Menschen ein, wie
sie mögliche Neukunden behandeln – Lieferung nur nach Vorkasse?
Kreditwürdig und falls ja, zu welchen Konditionen und mit welchem
Risikoaufschlag?

Die Schufa bietet Vertragspartnern allerdings auch Dienstleistungen
wie die Recherche neuer Anschriften und Telefonnummern an. Außerdem im
Paket: "Schufa-Adressabgleich", die "effiziente Neukundenansprache". Auszug aus dem Werbetext:
"Bei potentiellen Neukunden hilft unser Adressabgleich, bei dem wir
große Adressbestände nach vorab definierten Kriterien mit unseren
Informationen zur Bonität von Kunden abgleichen."

Was halten Datenschützer davon?

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisierte im Juni in
der "Zeit", es sei ein Skandal, dass "hinter dem Rücken der Betroffenen
Daten massiv zusammengeführt und Schlüsse gezogen werden". Thilo
Weichert sagte, dass sich seinen Erfahrungen nach "die Branche
notorisch unwillig zeigt, Kritik und Anregungen anzunehmen".

Adresshändler – Global Group, AZ Direct, Schober

In der Umgangssprache heißen sie immer noch Adresshändler, dabei
bieten Firmen wie die Global Group oder AZ Direct ihren Kunden heute
viel mehr: Wer Werbepost verschicken will, kann bei den
Direktmarketingexperten nicht nur Adressdaten nutzen, sondern die
Empfänger auch nach Kriterien wie "Pkw-Bestand" oder "Mode für große
Größen" filtern.

Wie viele Daten haben die Unternehmen?

  • Die
    Global Group wirbt so: "In unserer GD Consumer Marketing-Database führen wir rund 65 Millionen Personeneinträge mit mehr als 200 Merkmalen."
  • Die
    Bertelsmann-Tochter AZ Direct
    hat nach eigenen Angaben Details zu "mehr als 70 Millionen Personen, 37
    Millionen Haushalten, 20 Millionen Gebäuden, zu nahezu jeder Straße,
    allen Gemeinden und PLZ-Gebieten" gespeichert. Außerdem im
    Direktmarketingangebot: "1900 Adresslisten, davon 130 exklusiv" und "40
    Millionen Negativmerkmale zu 7,7 Millionen Konsumenten".
  • Die
    Schober Informations Group
    verwaltet in ihrer "Consumer MarketBase" nach eigenen Angaben "50
    Millionen Privatadressen aus Deutschland" mit "10 Milliarden
    Zusatzinformationen – für jeden Anlass die richtige Zielgruppe".

Was wissen sie?

  • Die Global Group erklärt, dass man
    Unternehmen anhand "mikrogeografischer Daten" und Details zum
    Konsumverhalten Kundentypen nach ihrem konkreten Freizeitverhalten
    aufschlüsseln könnte. Freizeitvariabeln
    sind zum Beispiel: "Erotik", "Rätsel", "Per-Post-Käufer", "Mode für
    große Größen". Ortsbezogen per Datenbank GeoBaseTM informiert die
    Global Group zum Beispiel über: "Anteil Ausländer", "Anteil
    Osteuropäer", "Anteil Russen", "Anteil Türken".
  • Bertelsmann-Tochter AZ Direct verspricht von ihrer
    Haushaltsdatenbank
    "maximale Selektionsmöglichkeiten" anhand von "Konsumschwerpunkten,
    soziodemografischen, psychografischen und geografischen Merkmalen".
  • "Ertragssteigerung durch mehr Informationen zu jedem einzelnen Kunden" verspricht die
    Schober Information Group.
    In den Datenbanken der Firma stehen "fünf Millionen Konsumenten mit
    konkreten Interessen und Kaufabsichten – attraktive Zielgruppen, wie
    zum Beispiel Neuwagen-/Urlaubs-Interessierte", außerdem "sieben
    Millionen private E-Mail- und Mobile-Adressen, tief selektierbar,
    permission-based" und Details zu "19 Millionen Gebäuden, Haus für Haus
    persönlich vor Ort bewertet".


Konzerne – wie zum Beispiel die Telekom Daten verwertet

Auch deutsche Konzerne sammeln Daten ihrer Kunden – von der Telekom
ist bekannt, wie sie weiterverwertet werden. Ein eigener
Inkasso-Tochterfirmenverbund namens Saf Solutions schlägt sich mit
säumigen Zahlern herum und bietet seine Dienste auch anderen Firmen an.

Wie viele Daten haben die Unternehmen?

Auf der eigenen Seite hält sich die SAF mit Angaben zum Datenbestand
zurück. Der SPIEGEL berichtet im April von einer
SAF-Werbeveranstaltung. In der Einladung wurde darauf hingewiesen, dass
SAF über eine "umfangreiche Informationsbasis mit Positiv- und
Negativdaten zu über 32 Millionen Haushalten in Deutschland" verfüge.

Das Unternehmen ist nach Eigendarstellung aber auch als
Adressermittler tätig. Die SAF-Tochter "accumio finance services" bietet entsprechende
Nachforschungen in diversen verknüpften "Datenpools"
an. Aussage: "In der Umzugsdatenbank der Deutschen Post Adress GmbH
sind circa 60 Prozent aller umzugsbedingten Adressänderungen
gespeichert. Auf diese Daten ermöglichen wir Ihnen den aktuellen
Zugriff."

Was wissen sie?

Vor den Kunden auf der vom SPIEGEL beschriebenen
SAF-Werbeveranstaltung präzisierten SAF-Vertreter, man habe Zugriff auf
den "relevanten Datenbestand der Deutschen Telekom AG", allein im
Festnetz und Mobilfunk seien das 55 Millionen Datensätze mit
"Adressinformationen, Zahlungsverhalten und soziodemografischen
Merkmalen".

Das sei ein Missverständnis, erklärte die SAF später auf Anfrage des
SPIEGEL: Hauptkunde sei die Deutsche Telekom, an externe Firmen würden
nach dem geltenden Recht ausschließlich eindeutige, nicht bestrittene
Inkassofälle weitergegeben, wie bei anderen Auskunfteien auch.

Versicherungen – das Hinweis- und Informationssystem (HIS)

Eine besondere Art des Auskunftei ist das Hinweis- und
Informationssystem (HIS) der Versicherungen. In diesen Datenbanken
speichern die beteiligten Unternehmen je nach Versicherungsart zum
Beispiel bei gemeldeten Kfz-Schäden Kennzeichen, Adressen und Namen der
beteiligten Versicherungsnehmer, Zeugen und Anspruchsteller, bei
Lebensversicherungen das Geburtsdatum und andere Details.

Laut einer
Analyse des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein
(ULD) lag die Zahl der Datensätze im vorigen Jahr bei 9,5 Millionen.
ULD-Chef Thilo Weichert kritisiert die Datenbank als
"hochproblematisch". Er weist aber darauf hin, dass die
Versicherungswirtschaft derzeit mit den Datenschützern an einem neuen
Auskunftssystem arbeite, das einen Kompromiss zwischen dem Interesse
der Versicherer an optimaler Betrugsprävention und dem der Kunden an
mehr Datenschutz schafft. 


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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