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Kostenlos-Webcomic: Dilbert stolpert ins Mitmach-Netz (Spiegel Online, 23.4.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Kostenlos-Webcomic

Dilbert stolpert ins Mitmach-Netz

Schlimmer als Windows Vista! Nerds schimpfen über die Web-Neuauflage der Nerd-Ikone Dilbert – zu viel Flash, zu wenig Linux. Sie übersehen: Das halbe Dilbert-Archiv ist auf einmal kostenlos im Web. Dilbert-Zeichner Scott Adams gelobt Besserung und verspricht noch mehr kostenlose Comics.

Spiegel Online, 23.4.2008

Ingenieur Dilbert hat einen Elektrotechnik-Abschluss vom Massachusetts Institute of Technology, eine Knubbelbrille und immer Kugelschreiber in der Tasche seines (kurzärmligen) Hemds.

Er liebt Technik und leidet unter seinem Boss, der wenig versteht, außer sich gut zu verkaufen und Untergebene wie Dilbert zu quälen. Kurz: Dilbert ist der typische Nerd (zum Begriff siehe Kasten unten) in Diensten einer Hightech-Firma. Seit 19 Jahren frustriert ihn sein Arbeitsleben, in Comicstrips, die weltweit in etwa 2000 Medien erscheinen – und seit 1995 im Web.

Was würde Dilbert wohl zur Neugestaltung der Seite Dilbert.com sagen?

Vielleicht: "Glückwunsch, Windows Vista führt nicht mehr im Wettbewerb um das schlechteste Upgrade der IT-Branche." So kommentiert ein Autor im Progammiererforum Slashdot (mehr…), wo die echten Dilberts "News for Nerds" diskutieren wie die, dass seit dem Wochenende die Neuauflage von dilbert.com online ist.

Der Fauxpas: Aus der ruhigen, braven, vielleicht etwas angestaubten Dilbert-Seite ist plötzlich ein sehr stark auf dem Flash-Format basierendes Mitmach-Portal geworden, mit Widgets, Mashups aber schlechter Darstellung auf Linux-Rechnern. Die Slashdot-Leser zürnen:

  • Man muss sich registrieren, um zu kommentieren, aber viele registrieren sich, um das neue Design zu verreißen. Ich kenne einige Bosse, die den plötzlichen Anmeldungsboom als positive Entwicklung werten würden."
  • "Nur Scott Adams kann solch eine großartige Parodie schaffen. So bringt man seinen Cartoon ins Gespräch – man ruiniert ihn in einer Art, wie Bosse es lieben würden. So kommt man auf die Titelseite von Slashdot."
  • "Ich dachte, die Seite sei kaputt. Keine Comics, nur ein paar Bilder."
  • "Viele Menschen werden zu dem, wogegen sie am meisten kämpfen."

Ein Slashdot-Kommentator verteidigt die Neuerung und amüsiert sich über die Negativ-Kommentare: " Hier ist die HTML-Version, ihr Web-2.0-Verweigerer. Entschuldigt mich, während ich mich dem neuen Flash-Interface hingebe und ins 21. (vielleicht 22.) Jahrhundert eintauche und euch als Gefangene des Web 1.0 zurücklasse."

Recht hat er.

Wut, Häme und Spott hätte Dilbert.com verdient, wenn da unter großem technischem Aufwand ein neues Angebot entstanden wäre, das Fans mehr Technik-Ärger, aber genauso viel Comic wie zuvor bieten würde. Aber die Flash-Version von Dilbert, die nun im Netz steht, hat außer technischen Startschwierigkeiten ein paar echte Neuerungen zu bieten. Zum Beispiel:

  • Kostenloses Archiv: Derzeit sind die seit 2001 erschienenen Dilbert-Comicstrips online kostenlos verfügbar – zuvor konnte man nur die Strips der vorigen vier Wochen sehen. In absehbarer Zeit soll das komplette Dilbert-Comicarchiv (19 Jahre!) online zu sehen sein. Witzige Suchfunktionen: Das neue Archiv lässt sich nach einzelnen Charakteren durchsuchen. Man kann alle Comicstrips mit Catbert und Asok, alle mit Asok allein und so weiter aufrufen.
  • Extras: Neu ist eine tägliche animierte Dilbert-Folge – kostenlos.
  • Widget: Alle Dilbert-Comicstrips lassen sich in Blogs und auf Seiten bei Facebook, MySpace und so weiter einbinden. Warum man das tun sollte? Weil man selbst Dilbert-Dialoge schreiben kann zum Beispiel (siehe unten).
  • Mashups: Für den Anfang können Dilbert-Fans das letzte von den drei Bildern eines typischen Dilbert-Comicstrips selbst betexten und Leser über ihre Gags abstimmen lassen. Bald kommen Ketten-Dilbert-Strips dazu: Drei Bilder, drei Leute, jeder betextet ein Bild.

Das könnte gut funktionieren, betrachtet man die ersten Pointen von Dilbert-Fans auf der Seite. Scott Adams hat diese Bildfolge zum Pointen-Erfinden online gestellt:

  • Bild 1: Praktikant Asok sitzt am Telefon. Der Anrufer sagt: "Asok, du musst zum indischen Technik-Institut zurückkehren, um deinen illegalen Telekinese-Einsatz zu erklären."
  • Bild 2: Man liest ein "Plopp" und sieht nur noch Asoks leeren Anzug auf dem Stuhl neben dem Telefon liegen.
  • Bild 3: Praktikant Asok steht ohne Kleidung vor einem Gremium des eben erwähnten Instituts.

Die besten Pointen schieben die Dilbert-Fans in diesem Bild dem Telekinese-Gremium in den Mund. Beispiele:

  • Sieht so aus, als hätte der Spam-Filter seine Unterwäsche entfernt."
  • "Es ist schlimmer, als wir dachten. Er ist ein Nudist."
  • "Komische Kleidungsordnung in seiner Firma." "Da muss Casual Friday sein."

Das alles sieht für den Anfang gut aus. Dilbert ist spät im Mitmach-Web angekommen – merkwürdig eigentlich, da Comic und Zeichner durch eine der innovativen Vertriebsformen im Print-Zeitalter groß wurden: Syndication, der Verkauf von Comics über eine Agentur an mehrere (derzeit bei Dilbert etwa 2000) Medien. Die Analogie zum Einbinden der Dilbert-Comics auf Webseiten liegt nahe, geht aber derzeit nicht ganz auf: Bezahlt wird hier nur per Aufmerksamkeit, wer in einem Blog einen eingebetteten Dilbert-Comic sieht, besucht vielleicht Dilbert.com, klickt vielleicht auf eine Anzeige dort.

Viele vielleicht.

Aber ein guter Anfang. Trotz der technischen Probleme hat sich der Besucherandrang inzwischen fast verdoppelt, schreibt Dilbert-Erfinder Scott Adams in seinem Blog. Er entschuldigt sich für die Flash-Fehler und erzählt die Geschichte eines pink angestrichenen Restaurants in seiner Nachbarschaft: Wochenlang haben sich darüber die Anwohner aufgeregt, die Stadtverwaltung debattierte, die Zeitungen schrieben, alle stritten. Dann musste der Besitzer es in einem neutralen Ton anstreichen – aber alle kannten den Laden. Eine Analogie? Adams zu den Gestaltungsfehlern auf Dilbert.com: "Wir wollen all das in den kommenden Wochen beheben."

Immerhin sind schon jetzt selbst einige der dämlichsten Gestaltungsfehler auf Dilbert.com unterhaltsam. Zum Beispiel: Man erreicht unter der jahrelang gültigen Webadresse der Übersicht aller Dilbert-Figuren derzeit nur eine 404-Fehlermeldung.

Die versüßt aber dieser Dilbert-Dialog:

  • Boss: "Was bedeutet es, wenn ich eine Internetseite sehe, die 404 sagt?"
  • Programmierer Wally: "Ihr Internet ist voll."
  • Boss: "Was mache ich da?"

Im letzten Bild sieht man den Boss das Kabel seines Monitors in einen Eimer halten. Er fragt sich: "Sollte ich etwas sehen, während es abfließt?

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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