Käfer-Kunst (Sonntagszeitung, 2.6.2002)
Käfer-Kunst
Computerviren regen die Fantasie an. Künstler holen sie jetzt aus den Tiefen der Programme
Sonntagszeitung, 2.6.2002
Mehr als 14 Milliarden Franken Schaden hat das «I love you»-Virus im Jahr 2000 weltweit verursacht. Im vergangenen Mai wurde der Quelltext des «I love you»-Virus beim Netzkultur-Festival Dina in Bologna wie ein Gedicht öffentlich rezitiert. Viren einmal nicht als Schreckgespenst, sondern als Kunst.
Diese Schnittstelle beleuchten momentan zwei Ausstellungen: Im Frankfurter «Museum für angewandte Kunst» ist «I love you – computer_viren_hacker» zu sehen, im New Yorker «New Museum of Contemporary Art» die Ausstellung «Open_Source_Art_Hack». Die grundlegende These bei beiden: Ein Virus kann mehr als ein Schädling, kann Poesie oder Kunst sein, Hacken sogar als «extreme Kunstpraxis» gelten.
Viren werden am stärksten beachtet, sind aber Teil eines viel grösseren Phänomens – dem kreativen Umgang mit Technologie. Unter diesem Begriff zeigen die Museen bestimmte Aspekte von Viren, Hacker-Projekten, Poesie in Programmiersprachen, der «Open Source»-Bewegung und Software-Kunst.
Hacker haben zwar fast nie etwas mit der Verbreitung von Viren zu tun und Künstler keine Rechtfertigung von Virenschäden im Kopf. Dennoch macht der Ansatz der Ausstellung Sinn. Er erweitert den Blick und holt die Viren aus dem dunklen Computerinnern ans Tageslicht. «Wir möchten der Öffentlichkeit die weit gehend unbekannte und extrem vielschichtige Realität hinter dem Phänomen der Computerviren aufzeigen», sagt Ausstellungsmacherin Francesca Nori.
Viren scheren sich nicht um die Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Das Sircam-Virus beispielsweise verwischte diese Grenze, indem er Dokumente von infizierten Festplatten an alle E- Mail-Adressen im Adressbuch verschickte. Diese Verwischung thematisiert die italienische Künstlergruppe 0100101110101101.org in ihrem Projekt «Vopos», das in Frankfurt zu sehen ist. Seit Anfang des Jahres hat das Künstlerduo ständig ein GPS-Gerät dabei. Dieses sendet die Koordinaten der Italiener an deren Website, wo die Daten auf Stadtkarten visualisiert werden. Jeder kann so den aktuellen Aufenthaltsort der Künstler verfolgen. «Vopos» ist Teil des grösser angelegten Projekts «Glasnost». Darin machten die Italiener bereits früher den gesamten Inhalt ihrer Computer der Öffentlichkeit auf ihrer Website zugänglich.
Computerviren regen die Fantasie der Menschen an. Anfang der Achtzigerjahre forschten Informatiker noch begeistert an sich selbst fortpflanzenden Programmen. Sie beschrieben die Gemeinsamkeiten dieser Software mit Lebewesen und den Gesetzmässigkeiten der Natur. Doch bereits 1982 infizierten Viren die ersten Heimcomputer: «Elk Cloner» war noch relativ harmlos und gab lediglich ab und an ein Gedicht am Bildschirm aus. Drei Jahre später jedoch löschte das Virus «EGABTR» den gesamten Inhalt infizierter Festplatten.
Kunst und Virus trafen im Februar 1988 zum ersten Mal aufeinander. Damals befiel in den Vereinigten Staaten das «MacMag»-Virus Apple-Rechner. Am 2. März 1988 zeigte das Programm die Botschaft an: «RICHARD BRANDOW, Autor des MacMag, und seine gesamte Belegschaft möchten diese Gelegenheit ergreifen, um ihre UMFASSENDE FRIEDENSBOTSCHAFT an alle Macintosh-User zu verbreiten.» Danach löschte sich das Programm.
Brandow war nicht nur Herausgeber der kanadischen Computerzeitschrift «MacMag», sondern auch Mitorganisator der so genannten Computer Graphics Conspiracy, eines Netzwerks der Anti- Kunst-Bewegung Neoismus. Die wohl bekannteste Aktion dieser oft spass-anarchistischen Strömung war 1994 die Verbrennung einer Million britischer Pfund durch die Musikgruppe KLF.
Heute ist der subversive Aktionismus Brandows bei vielen Künstlern zu beobachten, die sich mit Computern und dem Netz beschäftigen. Computerprogramme scheinen oft eher Werkzeug als zentrales Thema zu sein. Die Künstlergruppe ®™ark zum Beispiel schaffte es 1996 mit Hilfe eines Programmierers vor der Auslieferung des kommerziellen Spiels «SimCopter», Hintergrundgrafiken küssender Männer anstelle der üblichen leicht bekleideten Frauen einzufügen.
Für Programmierer gibt es Wettbewerbe für ästhetischen Code oder Poesie in Programmiersprachen wie etwa Perl. Diese Ästhetik nutzen auch Künstler in ihren Werken. Die italienische Gruppe 0100101110101101.org organisiert ihr Werk «Life-Sharing» zum Teil gemäss der Verzeichnisstruktur des Betriebssystems Linux und verstreut Protokollreihen über die Seiten. Die italienische Gruppe epidemiC präsentierte das Virus biennale.py als Beitrag zur 49. Biennale in Venedig. Die 37 Zeilen Quelltext wurden auf ein drei mal vier Meter grosses Transparent geschrieben und im slowenischen Pavillon aufgehängt, zudem auf zehn goldenen CD-ROMs an den Wänden und auf einem Computermonitor ausgestellt.
Diese Ästhetisierung des Codes macht eines deutlich – seine Existenz. Allzu oft wird übersehen, dass Programme von Menschen zu ganz bestimmten Zwecken geschrieben werden, die Nutzer nicht immer wahrnehmen. Trojanische Pferde sind ein bekanntes Beispiel, die Verschlüsselung von DVDs ein weniger augenfälliges. Wer etwa biennale.py sieht, aber mangels Programmsprachkenntnissen nicht versteht, erahnt vielleicht, wie viel machtvolles Wissen sich hinter den bunten Oberflächen der Programme versteckt.
Kunst stellt häufig – ähnlich wie ein Virus – die scheinbare Allmacht des Nutzers über seinen Computer in Frage. Während das Ergebnis dieser Verunsicherung bei Viren meist ökonomischer Schaden ist, belohnen einige Kunstwerke mit Erkenntnisgewinn.
Ein bekanntes Beispiel ist der «Digital Hijack» der Künstlergruppe etoy. Über E-Mails, Suchmaschineneinträge und viele andere Methoden wurden 1996 ahnungslose Internetnutzer, die zum Beispiel nach Informationen über Porsche-Autos suchten, auf die Internetseite von etoy gelockt. Dort visualisierten dann chaotische Datenberge den metaphorischen «digitalen Untergrund» jenseits der Oberflächen des World Wide Web. Die damit verbundene Entmachtung der Surfer durch etoy legte die vorangegangene Illusion von Allmacht und Allwissenheit offen.
Trotz dieser Annäherungen stossen Künstler bisweilen an dieselben Grenzen wie gewöhnliche Hacker: Mitte Mai hat das «New Museum of Contemporary Art» in New York die Internetinstallation «Minds of Concern» der an der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst lehrenden Künstlergruppe Knowbotic Research vom Netz genommen. Die Installation demonstrierte, wie verwundbar die Internetseiten von Globalisierungsgegnern sind – ohne Schaden anzurichten.
Für den Internetanbieter des Museums war dieser Umgang mit Technologie dann allerdings zu kreativ.