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Krawall-Komik: Pac-Man stürmt Supermarkt (Spiegel Online, 20.4.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Krawall-Komik

Pac-Man stürmt Supermarkt

Rémi Gaillard ist in Frankreich mit Web-Videos zum Star geworden: Er frisst als Pac-Man Supermärkte leer, trauert im Hühner-Kostüm um Fast Food, stellt Polizisten Knöllchen aus und jagt als Hai verkleidet Strandurlauber mit Rasierschaum.

Spiegel Online, 20.4.2009

Die alte Dame mit dem Einkaufstrolley bleibt ungläubig im Supermarkteingang stehen: Ein Wesen in gelben Leggings und Smiley-Kostüm mit weit aufgerissenem Mund rennt ihr entgegen, hetzt an der Backtheke vorbei, stürmt in den Supermarkt – gejagt von vier Geistern in Pink, Blau, Rot und Orange. Wer sich in der Videospiel-Geschichte etwas auskennt, erkennt die fünf Gestalten, die einen Supermarkt im französischen Mittelmeerstädtchen Montpellier stürmen, als Figuren aus dem Spiel Pac-Man.

In den Gängen dieses Supermarktes spielen die fünf kostümierten Franzosen dann vor laufender Kamera und ahnungslosem Publikum Pac-Man nach – zu sehen in einem YouTube-Video. Der gelbe Allesfresser schnappt sich unterwegs, was er an herumliegendem Krempel kriegen kann, weicht den Geistern aus und jagt sie, sobald er eine Superkräfte verleihende Erdbeere erwischt hat.

Den Pac-Man spielt in dem Video der Komiker Rémi Gaillard. In Frankreich ist der 34-Jährige mit Web-Videos ein Star geworden. Seine kurzen Filme funktionieren allesamt so wie der Pac-Man-Clip: Versteckte Kamera filmt absurde Gags vor ahnungslosen Menschen. Gaillard stürmt als Pac-Man nicht nur durch den Supermarkt. Er rennt auch in ein Billard-Bistro und klaut Kugeln. Und er läuft über einen Golfplatz, wo er sich einen Ball schnappt – daraufhin prügelt ihn ein Golfer mit seinem Schläger.

Das Pac-Man-Video endet, als Gaillard zum dritten Mal hinfällt. Nach der Logik des Computerspiels hat er damit sein drittes Leben verloren, im Film wird er von den Sicherheitsbeamten des Supermarkts eingefangen. Ein großartiges Bild: Einem uniformierten Wächter gelingt es nur mit Mühe, Gaillard in seinem dicken, gelben Pac-Man-Kostüm zu umfassen – um dann die grinsende, gelbe Kugel in Richtung Ausgang zu schleifen.

Mit solch intelligenter Krawall-Komik ist Gaillard berühmt geworden, in Frankreich zumindest. Basis für Gaillards Ruhm ist nicht eine Fernsehshow, sondern das Web: Mehr als hundert Clips hat er bei Dailymotion und YouTube veröffentlicht, eine Übersicht findet man auf seiner Website Nimportequi.com und inzwischen hat er auch eine Facebook-Fanseite. Die betreibt er seit 2001. Seitdem haben laut Gaillards Rechnung Zuschauer die Filme mehr als 280 Millionen Mal angesehen.

Der Name seiner Seite ist Teil von Gaillards Slogan, der am Ende jedes Clips steht: “C’est en faisant n’importe quoi qu’on devient n’importe qui” – auf Deutsch heißt das sinngemäß: “Wenn du irgendwas machst, wirst du irgendwer.” Das hat denselben schnodderig negativ-überhöhenden Beiklang wie der flachere deutsche Spruch “Wer nichts wird, wird Wirt”.

Astronaut ärgert Golfer

Geworden ist aus Gaillard durchaus etwas: Er verdient inzwischen auch mit Werbefilmen Geld, die er für Firmen wie Orangina und Nike dreht. Die Unternehmen zahlen für den Gaillard-Stil – und von Stil kann man sehr wohl sprechen. Gaillard ist kein simpler Klamauk-und-Krawall-Komiker, seine Gags und Clips folgen ganz eigenen visuellen und strukturellen Gesetzen.

Da gibt es die einfachen Einschleich-Tricks. Gaillard zieht sich ein Kostüm an (er trägt fast immer Verkleidungen) und kommt je nach Ort und Anzug als Volleyballer, Fußballspieler oder Tennisprofi aufs Feld, um dann das Publikum zu verstören, weil er sich so ganz anders verhält als man es von Menschen in Sport-Uniform auf dem Platz erwartet.

In anderen Clips ist die Komik subtiler: Gaillard trägt eine Verkleidung, die nur im gefilmten Bild zum Ort passt. Wenn er im Astronauten-Anzug in einem Caddy über den Golfplatz fährt, um sich mit langsamen, federnden Schritten eine Fahne zu schnappen, sieht das mit dem entsprechendem Klang im Film nach Mondlandung aus. Die Golfer verstehen die visuelle Logik nicht, sie sehen nur einen Störenfried im Schutzanzug, der ihnen das Spielgerät klaut – umso witziger!

Es gibt sehr laute Gaillard-Clips (er hüpft im Känguru-Kostüm herum und tritt einen Golfer ins Wasser, greift in Hai-Verkleidung Urlauber an), aber auch ganz stille, die wunderbar absurd, aber eben kein Schenkelklopfer sind: Da kriecht Gaillard als Schnecke auf einer Straße vor einer hupenden Autokolonne her, legt als Huhn an einer Händl-Braterei Blumen nieder oder wird neben Passanten als Banane verkleidet von einem Mitspieler im Gorilla-Kostüm erschlagen und fortgeschleift.

So brillant viele dieser Clips sind, so wenig Aufhebens macht Gaillard im Interview darum. Seine Version seiner Lebensgeschichte klingt so: Er begann mit der Filmerei, als und weil er 1999 seinen Job als Schuhverkäufer verlor. Dem deutschen Auslandsfernsehen DW-World erzählte Gaillard: “Ich mache die Filme nur, damit ich mein eigener Chef sein kann. Wenn ich morgens aufstehe, entscheide ich selbst, was ich machen will. Ich mache, was ich will, und ich habe Spaß dabei.”

Seinen ersten Clip drehte er in einer Autowaschanlage: Gaillard duschte sich dort, ein Freund filmte die Reaktion der Kunden. Landesweit bekannt wurde Gaillard 2002, als er nach dem Endspiel um den französischen Fußballpokal im Trikot des Gewinnerteams Lorient auf den Rasen lief, mitfeierte und vom damaligen Präsidenten Jacques Chirac beglückwünscht wurde. Als feiernder Lorient-Spieler gab Gaillard damals Autogramme, Interviews und erschien im Fernsehen, in Zeitungen und angeblich auch auf einem Foto im Jahrbuch des französischen Fußballverbands.

 


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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