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Kreative Absturzberichte "Photoshop benimmt sich wie ein Psychopath" (20.5.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Kreative Absturzberichte

“Photoshop benimmt sich wie ein Psychopath”

Wenn die Software zum siebten Mal am Tag abstürzt, prügeln manche Computer-Arbeiter auf ihren Schreibtisch ein. Ein Entwickler aus New York schreibt stattdessen kleine Geschichten in den automatischen Absturzmelder: Wie war das, als die Erde als Scheibe galt? Und wie wäre Photoshop als Büronachbar?

Spiegel Online, 20.5.2010

{jumi [*3]}

Wenn Garret Murray an seinem Ikea-Schreibtisch in Brooklyn sitzt, sieht die Welt schön ordentlich aus: In der Mitte steht der 24-Zoll-Monitor, links dahinter das Macbook Pro in einem Ständer, rechts das iPhone und das iPad in eigenen Halterungen. Und dann arbeitet der Designer und Programmierer an Web-Anwendungen, spielt etwas mit Photoshop herum – und das Chaos setzt ein: Das Programm stürzt ab.

{jumi [*4]}

Das ist Murray in diesem Frühjahr ein wenig zu häufig passiert. Immer wieder las er diesen Satz “Adobe hat erkannt, dass die Anwendung Photoshop CS4 unerwartet geschlossen wurde. Ein Absturzbericht wurde erstellt. Mit Hilfe des Absturzberichts kann Adobe eine gezielte Lösung für diesen Fehler finden.” Und darunter wartete ein leeres weißes Kästchen auf seinen “Problembericht”. Ende März tippte Murray aus schlechter Laune heraus diese Botschaft in das Kommentarfenster:

“Es stürzt immer ab, warum also dieser Dialog? Ich bin mir sicher, dass das an eine E-Mail-Adresse geht, die Sie nie abrufen oder Sie haben einen Hund oder ein Äffchen dafür, weil die nicht so gut lesen können. Egal, ich weiß nicht, warum ich mich darum kümmern sollte.”

Nachdem er immer “lange, ausschweifende Beschwerden” eingetippt hatte, versuchte Murray es fortan mit etwas Humor. Und weil er bis heute nicht weiß, ob bei Adobe nun ein Äffchen oder jemand mit Humor die Absturz-Prosa liest, veröffentlicht der Designer seine Crash-Miniaturen im Web.

“Übrigens, Photoshop ist abgestürzt.”

Seine Fehlermeldungen beginnen zum Beispiel so: “Erinnern Sie sich daran, als alle Menschen dachten, die Erde sei flach? Was für Idioten.” Dann kommt eine lange Geschichte darüber, wie Seefahrer sich beim Aufbruch immer daran erinnerten, nicht zu nah an den Rand der Erde zu fahren. “Pass unterwegs auf, John, fall nicht runter am Rand der Erde!” Jahrhundertelang dieselbe Konversation. Und dann fällt dem Autor wieder ein, was er da schreibt: “Übrigens, Photoshop ist abgestürzt, weil ich eine Ebene dupliziert habe.”

Murray schlüpft in verschiedene Rollen. Mal gibt er den Rentner, der im Photoshop-Problembeschreibungsdialog gesteht, dass er seine Frau nie heiraten wollte, aber es nun zu spät für die Scheidung sei. Mal tippt Murray als aufgeputschter Werbedesigner Sätze in Versalien wie “DIESEN NACHMITTAG HABE ICH 12 DOSEN RED BULL GETRUNKEN!”

Murrays Meisterwerk der Absturz-Prosa ist die Geschichte vom Büropsychopathen namens Photoshop:

“Wieder beim Beenden abgestürzt. Das verwirrt mich. Warum stürzt Photoshop so oft beim Beenden ab? Das erinnert mich an jemanden, der von neun bis fünf im Büro arbeitet und jeden Tag um 16 Uhr 59 wütend aufspringt und Stühle herumschleudert und die Fenster einschlägt. Und dann nach Hause geht und am nächsten Tag wiederkommt, als sei nichts gewesen. Nur ein Psychopath würde so handeln. (…) Verdammt, ich gebe später mehr Details durch, es ist schon 16 Uhr 58 und ich muss mich fertigmachen, um meinen Stuhl durch das Fenster zu werfen.”

Mehr Absturz-Prosa findet man mittlerweile auf futurestack.com. Die Gestalter der Seite schreiben seit 2009 Absturztexte, manchmal längere Stücke, manchmal Zweizeiler wie “Dummer Sterblicher, versuchte zu speichern. Die Hybris!”

Die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihm Berichte in populären Tech-Blogs wie Gizmodo oder Boing Boing bescherten, haben inzwischen dazu geführt, dass sogar Adobe die skurrilen Absturzberichte von Garret Murray wahrnimmt. So schwer das zu glauben ist: Er bekam eine Rückmeldung von Adobe.

“Jemand von Adobe”, erzählt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, “hat mich neulich kontaktiert und mich gefragt, ob ich ihm Fehlerberichte direkt zusenden könne. Das habe ich nun vor: So viel Spaß mir das Schreiben dieser lächerlichen Berichte macht, wäre ich doch glücklich, wenn sich Photoshop stattdessen einfach benehmen würde.”

Der indirekte Weg über Blogs und Medien scheint also als Abkürzung zu funktionieren, die den Weg ins digitale Nirwana umfährt, den solche Fehlermeldungen an Hersteller offenbar sonst nehmen. Nur das persönliche Anschreiben eines Adobe-Mitarbeiters gewährleistet eine noch sichere Kommunikation der Software-Probleme. Murray: “Er sagte mir, dass er meine früheren Fehlerberichte nicht finden könne. Ich finde das seltsam.”

Wir auch: Wenn nicht im Adobe-Postfach, findet man sie doch zumindest im Web.

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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