Zum Inhalt springen

Kreative Vertipper im Web: Jugend froscht an der Lesegräte (Spiegel Online, 24.4.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Kreative Vertipper im Web

Jugend froscht an der Lesegräte

Christliches Hüfte-Hopfen, wissenschaftliche Froschung und die digitale Lesegräte – das Web gebiert wunderbare Wortschöpfungen und dokumentiert die lustigen Vertipper gnadenlos. SPIEGEL ONLINE zeigt die besten unfreiwilligen Worterfindungen.

Spiegel Online, 24.4.2009

Froschung: 2670 Treffer listet Google für diese wunderbare Wortschöpfung auf, der sogar das Satire-Wiki Kamelopedia einen eigenen Eintrag widmet. Froschung, heißt es dort, würde “oft falsch (Forschung) geschrieben, was aber eine völlig abwegige Art der Rechtschreibung ist.” Richtig schreibt es hingegen die Universität Klagenfurt in ihrem Vorlesungsverzeichnis, das auch eine Einführung in die “Methoden der sozialempirischen Froschung” verzeichnet. Die korrekte Froschungs-Schreibweise verwendet die “Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin” in ihrer Pressemitteilung, die eine “Stärkung der Klinischen Froschung in Deutschland” verlangt. Auch Amazon folgt der Frosch-Schreibweise, zumindest auf der Produktseite zu einem Sachbuch der deutschen Landesdenkmalpfleger-Vereinigung mit dem schönen Amazon-Titel: “Berichte zu Froschung und Praxis der Denkmalpflege in Deutschland”. Sogar einen Wettbewerb mit passendem Verb scheint es zu geben: “Jugend froscht”.

Pogramm: Das Auswärtige Amt hat ein “Kulturerhalt-Pogramm” ausgeschrieben, behauptet die Deutsche Botschaft in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen. Die Diplomaten sind da nicht allein,  auf 37.800 Seiten findet Google den Begriff “Pogramm”, unter anderem beim Onlinehändler Amazon, der das “30-Tage-Pogramm” zum Burnoutbesiegen verkauft.

Lesegräte: 438 Lesegräten findet Google auf deutschen Webseiten. Was eine Lesegräte ist, definiert der E-Commerce-Verband ECC sehr anschaulich: “E-Books, auch elektronische Lesegräte genannt, ermöglichen es Texte in elektronischer Form darzustellen.”

Einmal im Montag: In der Pfarrei Hartkirchen bei Linz gibt es Familiengottesdienste, das steht fest. Wann genau, ist eine Interpretationsfrage: “Die Familienmesse findet einmal im Montag und zwar am jeden ersten Sonntag um 9.30 Uhr statt.”

Flachbrettscanner : Flach wie ein Brett ist jeder Scanner, aber die korrekte Bezeichnung ist immer noch Flachbett-Scanner, weil der Schlitten des Geräts ja durch ein Bett gleitet wie ein Fluss. Aber weil Menschen so gern von Flachbrettscannern schreiben (7.230 Google-Treffer derzeit), haben die Händler ein Einsehen und schalten sogar Google-Anzeigen für den Begriff, der vor langer Zeit einmal als Vertipper entstand.

Fackbegriffe: Fachbegriffe? Fuckbegriffe! Oder, in deutscher, onomatopoetischer Schreibweise “Fackbegriffe”.

Castro-Transport: Buchstaben-Dreher im Eifer des Gefechts passieren jedem Redakteur unter Zeitdruck, natürlich auch auf SPIEGEL ONLINE. Das ist verständlich, ärgerlich und manchmal sehr witzig, wie hier, wo sich ein Kubaner in den Castor-Transport verirrte. (Den Fehler haben wir inzwischen korrigiert)

Majacura: Frucht oder Vorname? Majacura klingt besser als Maracuja, schmeckt aber wahrscheinlich genauso, wie diese Weinbeschreibung nahelegt: “ein prall gefüllter Korb exotischer Früchte: Lychees, Majacura, Aprikose”.

Hüfte-Hopfen : “Was ist christliches Hüfte-Hopfen?”, fragt diese Webseite und erklärt dann gleich, was Sache ist. “Christliches Hüftehopfen (ursprünglich Evangeliumpochen, alias heiliges Hüftehopfen oder Christ Hopfen) ist ein Formular von Hüftehopfenmusik, die christliche Themen verwendet, um den Glauben der songwriters auszudrücken.” Das sind keine Vertipper, sondern Arbeitsergebnisse debiler Übersetzungssoftware – aber Hüfte-Hopfen als deutsche Version von Hip-Hop hat es verdient, zu einem eigenen Begriff zu werden.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert