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Kritik nach Zugunglück Chinas Zensoren lassen das Web schimpfen (Spiegel Online, 30.7.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Kritik nach Zugunglück

Chinas Zensoren lassen das Web schimpfen

Chinesische Internetnutzer erregen sich über Korruption, angebliche Vertuschungsversuche und arrogante Beamte: Nach dem Zugunglück von Wenzhou lassen die Web-Zensoren kritische Kommentare erstaunlicherweise durchgehen. Doch die Führung könnte den Unmut für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Spiegel Online, 30.7.2011 mit Kathrin Dorscheid

{jumi [*3]}

Diesmal halten sich die chinesischen Zensoren zurück: Das verheerende Zugunglück von Wenzhou, bei dem 40 Menschen starben und etwa 190 verletzt wurden, ist in chinesischen Onlinediensten das große Thema. Bei Weibo, einem chinesischen Mikrobloggingportal, führt das Schlagwort “Bahnministerium” auf den ersten Platz in der Rangliste der meistdiskutierten Themen des Tages.

Über einen Klick auf das Schlagwort lassen sich auch alle dazugehörigen Nachrichten abrufen. Das war Anfang Juli anders, als auf Weibo Gerüchte über den Tod des ehemaligen Staatschefs Jiang Zemins kursierten. Damals war der Suchbegriff Jiang – was sowohl Fluss als auch Jiang Zemins Nachnamen bezeichnen kann – in Weibos Rangliste blockiert. Die Nutzer sahen nach dem Klick nur eine leere Seite mit dem Hinweis, die Suchergebnisse könnten aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht angezeigt werden.
Solche plumpe Zensur kann man nach dem Zugunglück nicht beobachten. Der Großteil des Protests spielte sich auf dem Mikrobloggingdienst Weibo ab, so etwas wie das Twitter Chinas. Über 140 Millionen Chinesen nutzen Weibo, die meisten von ihnen gehören zur wachsenden, gebildeten und propagandaskeptischen Mittelschicht.

Auch bei der Suchmaschine Baidu sind die Suchanfragen zum Zugunglück die ganze Woche über unter den am häufigsten eingegebenen. Am Donnerstag interessierte die meisten Baidu-Nutzer eine Enthüllungsgeschichte des Magazins “Southern Weekly” über die Fehler, die zum Unglück geführt haben könnten, in den Tagen davor waren es Medienberichte über einen Polizisten, dem angeblich Disziplinarmaßnahmen drohen, weil er zu lange nach Überlebenden suchte – durchaus kritische Meldungen also. Wobei die Geschichten über heroische Einzelkämpfer durchaus im Sinne der Machthaber sein können – Fundamentalkritik ist etwas anderes.

Bahnministerium erhöht die Entschädigungssumme

Weibo zeigt auch sehr wütende Kommentare der Nutzer an. Schon kurz nach dem Unglück mutmaßten Weibo-Nutzer öffentlich, dass Arbeiter den betroffenen Zug an der Unfallstelle schnell vergraben hätten, um wichtige Beweise verschwinden zu lassen. Schnell hatten sich die Zweifel der Netzgemeinde an der offiziellen Darstellung gemehrt, ein Blitz habe den Unfall verursacht. Inzwischen haben die Behörden auf den Netzprotest reagiert – und nach Informationen der “New York Times” das Zugwrack für weitere Untersuchungen wieder ausgegraben.

Auch sollen Funktionäre am Wochenende zunächst Anwälte aus Wenzhou angewiesen haben, keine Fälle von Opfern des Zugunglücks oder deren Familien anzunehmen, wie die ” New York Times” berichtet. Nachdem Blogger sich auf Weibo darüber erzürnt hatten, zogen die Beamten die Anordnung wieder zurück – und entschuldigten sich sogar dafür.

“Kann alles mit Geld geregelt werden?”

Besonders negative Reaktionen provozierte am Freitag Vormittag eine von einer Zeitung auch bei Weibo veröffentlichte Meldung: Das Bahnministerium habe die Angehörigen der Toten aufgefordert, bis zum Samstag Dokumente zu unterschreiben, um ihre Ansprüche auf Entschädigungszahlungen zu sichern. Eine Weibo-Nutzerin aus der Region Sichuan vermutet einen Vertuschungsversuch hinter diesem Drängen auf schnelle Unterschriften: “Die Bahn will Geld nutzen, um die Wahrheit zu unterdrücken? Kann alles mit Geld geregelt werden?”

Inzwischen wurde die Entschädigungssumme pro Getötetem sogar auf 915.000 Yuan (fast 100.000 Euro) verdoppelt, berichtet AP. Es scheint, dass die Machthaber die Wut mit gezielter Offenheit besänftigen wollen.

Der Ärger der Weibo-Nutzer richtet sich vor allem gegen das Bahnministerium, nicht so sehr gegen den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao. Über dessen Besuch bei Familien der Toten berichtet Weibo groß, die Nachricht läuft begleitet von Fotos des erschüttert wirkenden Ministerpräsenten über den Weibo-Kanal für wichtige Nachrichten. Wen Jiabao wird mit bewegten Worten zitiert, sehr traurig sei er, er fühle mit der Familie.

Die Nutzer kommentieren diese Nachricht zurückhaltender. Einige kritisierten, dass er – angeblich aufgrund einer Erkrankung – so lange gebraucht hatte, um persönlich den Unfallort zu besuchen. Andere loben den Ministerpräsidenten: Er wirke ganz anders als die Bahnbeamten, oft ist von “Großvater Wen” die Rede.
“Dieser Unfall kommt nicht überraschend”

Doch viele Nutzer kommentieren auch diese Nachricht mit grundsätzlicher Kritik: “Die Korruption nimmt zu, dieser Unfall kommt nicht überraschend.” Oder, wieder auf die erhöhten Entschädigungszahlungen bezogen: “Ihr handelt mit menschlichem Leben als wäre es Gemüse. So ist es, wenn Geld allmächtig ist.”

“Ich nenne es eine Mikroblogging-Revolution”, kommentierte der Pekinger Professor Zhang Jiang gegenüber der “New York Times” die Ereignisse. Denkbar ist aber auch, dass es ganz im Interesse der Machthaber liegt, wenn sich die Wut der Weibo-Nutzer auf angeblich korrupte Beamte beschränken lässt, gegen die dann die starke Regierung hart durchgreift. So eine Entwicklung dürfte die Macht der Partei nicht fundamental in Frage stellen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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