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Krüppel-iPhone: Apple vergrätzt seine größten Fans (Spiegel Online, 29.9.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Krüppel-iPhone

Apple vergrätzt seine größten Fans

Die Stimmung kippt: Apple-Fans in den USA fühlen sich gegängelt und getäuscht. Denn Apple sperrt auf dem iPhone Software unabhängiger Programmierer. Dem Handy fehlen auf einmal nützliche Funktionen. Das harte Urteil mancher Ex-Bewunderer: Kauft das Krüppel-iPhone nicht.

Spiegel Online, 29.9.2007

Traurig sieht dieses iPhone aus: zugekniffene Augen, grimmiger Mund. So illustriert das einflussreiche Technik-Blog Gizmodo sein neuestes Testurteil über Apples Wunderhandy. Fazit: "Kauft das iPhone nicht!" Monatelang hatte Gizmodo den Hype ums iPhone befeuert, jetzt ist der Redakteur Brian Lam enttäuscht: "Ich bin fertig mit diesem Gerät, bis darauf wieder Programme von Drittanbietern laufen."

Hintergrund: Apples neueste iPhone-Software macht nicht nur geknackte Geräte unbrauchbar. Sie sperrt auch all die nützlichen Anwendungen aus, die das iPhone um schmerzlich vermisste Fähigkeiten ergänzt hatten: Instant Messaging, Positionsbestimmung, Diktiergerät, eBook-Darstellung. Diese Funktionen fehlten Apples Ursprungsgerät. Unabhängige Programmierer waren in die Bresche gesprungen, hatten entsprechende Software für das iPhone geschrieben. Diese Helfer sperrt das neue Apple-Update aus.
Offensichtlich ist dieser Effekt ein Kollateralschaden: Die neue Software sollte vor allem verhindern, dass jemand sein iPhone in einem anderen Mobilfunknetz laufen lässt. Apple bietet das iPhone nur mit ausgewählten Mobilfunkpartnern und speziellen iPhone-Tarifen an. Hacker hatten die iPhone-Software so geknackt, dass das Gerät auch in anderen Mobilfunknetzen läuft. Das will Apple unterbinden.

Knallhart verteidigt der Konzern seine Linie: In Apples Ladengeschäfte in den Vereinigten Staaten stellen Mitarbeiter Warnschilder auf. Zehn-Zeilen-Drohungen, schwarz auf weiß. Tenor: "Viele der nicht-autorisierten iPhone-Entsperrer im Internet können die iPhone-Software irreparabel beschädigen." Apple-Boss Steve Jobs sagte bei seiner iPhone-Show in London: "Leute versuchen, das Gerät aufzubrechen. Unser Job ist es, sie zu stoppen."

Rabiater Apple-Kurs enttäuscht Fans

Dieses rabiate Vorgehen des Mac-Konzerns erzürnt Technik-Freaks wie Brian Lam von Gizmodo. Er ist enttäuscht, dass Apple nützliche iPhone-Anwendungen einfach so aussperrt, anstatt selbst diese Lücken zu schließen. Sein enttäuschtes Fazit: "Es scheint derzeit, als würde Apple das Gerät nicht groß weiterentwickeln, da viele Mängel auf unserer Liste noch immer nicht behoben sind."

Erbost sind nicht nur Gadget-Fans wie Lam. "Wired", "Macworld", "New York Times" – die großen, zuvor Apple-freundlichen Fach- und Massenmedien schimpfen einhellig darüber, wie sehr Apple das iPhone jetzt verkrüppelt hat. Und in ihren Foren zürnen viele Leser mit. In einem "Nachruf auf unabhängige iPhone-Anwendungen" beschreibt "Macworld"-Redakteur Chris Breen, wie gegängelt er sich von Apple fühlt. Auf seinem Mac-Rechner könne er bestimmen, was das Gerät leiste und wie es arbeite.

Apple fegt das iPhone leer

Apple lasse auf seinen Rechnern doch auch anstandslos Programme von unabhängigen Programmierern laufen, ohne über etwaige Probleme zu klagen. Lam fragt: "Warum kann derselbe Grundsatz nicht auch für mein iPhone gelten?"

Seine Leser treten in bissigen Kommentaren nach: Es wäre doch wunderbar, wenn Apple die Zeit finden würde, die seit Monaten verlangten Ergänzungen der iPhone-Software nachzuliefern. Wer die Software umschreiben könne, um die Einnahmen aus exklusiven Mobilfunkverträgen zu sichern, sollte doch auch Zeit finden, "zahlende Kunden mit neuen Programmen glücklich" zu machen.

Die Schwächen des von Apple leergefegten iPhones dokumentiert "Wired" in einer hübschen, übersichtlichen Tabelle:

Einhelliges Fazit der Experten: Die gehackten, von unabhängigen Programmierern bestückten Geräte leisten viel mehr als Apples Originalversion: Positionsbestimmung mittels GSM-Kreuzpeilung, Fotos zu Flickr hochladen, alte Nintendo-Spiele emulieren, Instant Messaging – ohne Apple-Gängelung können iPhones das alles.

Per Update verkrüppelt

Diese Vielfalt begeistert den Technikguru der "New York Times", David Pogue. In einem Video stellt er die besten iPhone-Programme unabhängiger Entwickler vor. Sein trauriges Fazit: "Obwohl das hier ein leistungsstarker, vernetzter Computer ist, will Apple nicht, dass wir Software installieren, die nicht von Apple geschrieben worden ist." Den Beitrag hat Pogue gefilmt, bevor Apple das iPhone per Update verkrüppelte. Als Nachtrag steht nun im Video die Warnung: "Installieren sie keinen der hier vorgestellten Hacks."

Die rabiate iPhone-Verkrüppelung schadet offenbar Apples Image. Im Apple-Fanblatt "Macworld" nennt Fachautor Dan Moren das nun zurechtgestutzte iPhone ein Apple-untypisches Gerät. Die Firma sei "innovativ", "cool" und mache "großartige" Produkte. Nur sei das Großartige an Macs, dass man so viel mit ihnen machen könne. Anders als mit dem iPhone. Moren: "Heute kann mein iPhone weniger als gestern." Und das sehen offenbar viele Apple-Fans ganz ähnlich.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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