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Künstler Kenneth Tin-Kin Hung: Das Geheimnis der Maorilyn Maoroe (Spiegel Online, 20.06.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Künstler Kenneth Tin-Kin Hung

Das Geheimnis der Maorilyn Maoroe

Kraftausdrücke, Pornografie, Regimekritik – Chinas Machthaber filtern alles Anstößige aus dem Web. Die Nutzer haben kreative Wortspiele erdacht, um die Software-Filter auszutricksen. Die schönsten Sprachschöpfungen hat der Künstler Kenneth Tin-Kin Hung in farbenprächtigen Bildern verewigt.

Spiegel Online, 20.6.2011

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Um diese Bilder wirklich zu verstehen, müssen die Besucher der New Yorker Postmaster Gallery eine Menge lesen. Da sieht man zum Beispiel Marilyn Monroe auf einem Alpaka sitzen. Beziehungsweise: Monroes Körper mit Maos Kopf darauf – Maorilyn Maoroe. Und das Alpaka ist kein normales Alpaka – im chinesischen Web sind diese Tiere als “Gras-Schlamm-Pferde” bekannt, sie sind ein Symbol für den kreativen Widerstand gegen die Internetzensur.

Das Wortspiel mit dem Gras-Schlamm-Pferd entstand irgendwann 2009, nachdem die Machthaber eine Verschärfung der Online-Zensur durchsetzten. Behörden gingen auch gegen sogenannte vulgäre Inhalte vor – allzu üble Schimpfworte sollen die Provider herausfiltern. Eines dieser Schimpfworte wird Cao Ni Ma ausgesprochen. Schreiben kann man diese Lautfolge sehr unterschiedlich. Eine Variante heißt übersetzt “Gras-Schlamm-Pferd” – die andere ist eine deutliche Aufforderung, mit der eigenen Mutter zu verkehren. Weil Filter-Software nicht automatisch alle erdenklichen Schreibvarianten einer Lautfolge filtert, dürften kreativ umformulierte Beleidigungen wie das Gras-Schlamm-Pferd den meisten Filterprogrammen erst einmal durchrutschen.

Die “Tal-Taube” steht für Google

Auf dem Kopf des Maoroe-Alpakas sitzt die “Tal-Taube”, ausgesprochen Gu Ge, was genauso klingt wie die Aussprache von Google. Vor dem Gras-Schlamm-Pferd laufen einige Maoroe-Fans, der erste ganz links hält eine chinesische Flagge in die Höhe, auf der die Zeichen des Flusskrebses stehen. Der Flusskrebs ist ein weiteres der chinesischen Web-Fabelwesen: Die Schriftzeichen für Flusskrebs werden ähnlich ausgesprochen wie jene für Harmonie, was eine Anspielung auf die Filterung von Web-Inhalten ist. Die Machthaber wünschen sich ja eine “harmonische Gesellschaft”.

Zu jedem der Bilder des Künstlers Kenneth Tin-Kin Hung in der Postmaster Gallery müsste man einen langen Artikel schreiben, um alle Details zu erklären. Der 34-jährige Hung kannte selbst nicht alle Details, bevor er sich an die Arbeit machte. Die Ausdrücke NiuBi und MLGB zum Beispiel – Tarnausdrücke für Geschlechtsorgane – verstand er nicht, weil sie sich aus einem nordchinesischen Slang ableiten.

Und das, obwohl Hung täglich im chinesischen Web surft. Er ruft jeden Tudou auf (das chinesische YouTube, es heißt übersetzt so viel wie Kartoffel-Netz), die Suchmaschine Baidu, das Ebay-Gegenstück TaoBao (“nur um mir Mist anzuschauen”, sagt Hung) und die Kunst-Site Randian-online. Hung, der seine Geburtsstadt Hongkong mit 18 Jahren verlassen hat und seitdem in den Vereinigten Staaten lebt, beobachtet das chinesische Web aus einer interessanten Perspektive: Er steht außerhalb, versteht aber doch weit mehr als andere Beobachter im Ausland.

Seine Einschätzung: “Die chinesische Internetkultur erinnert mich sehr an die in den Vereinigten Staaten – mit der Ausnahmen, dass Pornografie und bestimmte Informationen kaum verfügbar sind. Aber wenn etwas verboten wird, wollen die Leute mehr davon.” Als Beispiel führt Hung die Reaktion chinesischer Web-Nutzer auf die Blockade des Twitter-Accounts der japanischen Pornodarstellerin Sora Aoi in China an: “Die Fans haben Software verteilt, mit der sich die Web-Zensur umgehen ließ”.

Hungs Website ist in China bereits gesperrt

Kenneth Tin-Kin Hung ist mit seinen Eltern 1995 ausgewandert, vor der Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik. Viele seiner Vorfahren waren vom Festland in die britische Kolonie geflohen, viele Verwandte haben China verlassen, andere leben dort und sind “loyale Mitglieder der kommunistischen Partei”, wie Hung sagt.

Er reist regelmäßig nach Hongkong und hat noch Freunde dort. Und so weiß Hung, wie sich die Repression in den Alltag jedes Bürgers einschleicht. Selbst in Hongkong und Macau üben Bekannte sich aus Angst in Selbstzensur, erwähnen in E-Mails und online den 4. Juni – den Tag des Tiananmen-Massakers – nur noch mit Umschreibungen wie 35. Mai oder XIIX, aus Angst, dass sie sonst den Behörden auffallen.

Hungs Websites sind heute schon in Festland-China blockiert. Ursprünglich wollte er digitale Kopien seiner Bilder Zug um Zug im chinesischen Web streuen, doch die schnelle Reaktion der Behörden hat ihn überrascht: “Hoffentlich werden die Arbeiten durch eine Hintertür in der großen chinesischen Brandmauer ins Land gelangen. Mit diesem Projekt begehe ich in China künstlerischen Selbstmord. Ich hatte nicht erwartet, so schnell zu sterben.”

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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