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Kürbis-Specials ins Internet! (telepolis, 16.10.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Kürbis-Specials ins Internet!

Internet und Fernsehen werden zusammenwachsen, glaubt tm3. Der Winzsender will an der Spitze der vermeintlichen Bewegung stehen – fraglich ist, ob es die überhaupt gibt.

telepolis, 16.10.2000

Über das Programm seines Senders will tm3-Geschäftsführer Marco Deutsch nicht reden. Weder über das heutige noch das künftige. Es ist ja eigentlich auch selbsterklärend.

Ursprünglich als anspruchsvolles Frauenfernsehen gestartet, mutierte der Kleinstsender mangels Erfolg Anfang des Jahren dank der Senderechte des Mitinhabers und Medientycoons Rupert Murdoch zum Fußballfernsehen. Inzwischen gehört der Sender Murdoch allein und die Fußballrechte gingen an Krichsender und RTL. Wenn tm3 nicht gerade von den Medienanstalten für einen Transvestiten, der zu Kirchenmusik strippt gerügt wird, kann man sich an „Leben und Wohnen“, „Wrestling: SmackDown!“, der „Vorher-Nachher-Show“ und gar „Luft und Liebe“ erfreuen. Das traurige daran ist, dass hier Trash als etwas anderes verkauft wird. RTL 2 pflegt das Gossenimage, während bei tm3 schon der Globus als Senderlogo vor Werbepausen die weite Welt verspricht – die dann nicht liefert wird.

Verständlich, das man über so was lieber schweigt. Vor allem, wenn man es damit gerade auf 1,5 Prozent Marktanteil bringt.

Aber warum sagt Deutsch nichts zur Zukunft, der glorreichen Zukunft, die dereinst für tm3 anbrechen soll? Nun ja, vielleicht, weil sie nicht so viel besser aussieht. Zunächst hielt sich lange das Gerücht, Rupert Murdoch wolle aus tm3 einen Fitnesskanal machen. Ein solcher bringt ihm in den USA bereits Gewinne, aber offenbar hat Deutschland Sport doch nicht so nötig wie Amerikaner – die Idee ist gestorben.

Ende Juli dann beschrieb Deutsch der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien in einem Brief das neue Programm. Ab 11. November sollte tm3 demnach „an der Spitze“ beim Zusammenwachsen von Internet und Fernsehen stehen. Das Programm werde gar „optisch wie eine Internetseite anmuten“ schrieb Deutsch. Aha. Und natürlich stehen an der Spitze der Spitze „Single-Shows“ und andere Spiele, die „dem Zeitgeist stärker angepasst sind“. Das schrieb Deutsch auch. Irgendwie sollen diese Shows dann internetkompatibel sein.

Ob tm3 aber an der Spitze eines zeitgeistigen Zusammenwachsens von Internet und TV stehen kann, ist fraglich. Da steht bisher Nischensender NBC Giga und das gar nicht schlecht. Werktags sendet er fünf Stunden lang eine Mischung aus Talk, Musikfernsehen und Show. Das ganze ist nicht nur für unter 29jährige konzipiert, sondern wird von denen auch gesehen. Die Chaträume der Show und die Mails an Moderatoren spielen dabei eine ebenso große Rolle wie das Programm selbst. Eigentlich machen sie einen Großteil des Programms aus.

Über die neue Internetstrategie will tm3 nichts sagen, aber was bekannt ist lässt an ein aufs Fernsehen übertragenes Webportal mit Internetzugang denken. Und das ist nicht unbedingt erfolgversprechend.

Microsoft etwa hat in den USA gerade einmal eine popelige Million Abonnenten für seinen Dienst WebTV gewonnen. Geschäftkonzept: Internetzugang über den Fernseher. Inzwischen werden bei Sonderaktionen die eigentlich 200 Dollar kostenden Empfangsgeräte verschenkt. Das IT- Beratungsunternehmen Meta Group hat dafür eine einfache Erklärung: Bei der Auflösung heutiger Fernseher kann man vielleicht ein Bild in voller Größe erkennen, aber nie eine Internetseite mit Text, Grafiken und allerlei sonstigem Kram lesen. Man muss sich nur anschauen, wie viel Information eine Videotextseite fasst und wie viel auf einer durchschnittlichen Internetseite zu sehen ist.

Abgesehen davon hat der potentielle Internetnutzer sehr wahrscheinlich bereits einen PC zu Hause stehen. Menschen, die sich keinen anschaffen ziehen unkomplizierte Technik wie die Fernbedienung für den großen RTL-TV-Roman und das Telefon für ein Schwätzchen dem Suchen nach Internetseiten und Tippen einer eMail vor. Das klassische Netz ist vielen Menschen zu anstrengend, deshalb ist AOL ja auch so erfolgreich.

Microsofts WebTV Engagement bewerten die Analysten von Meta Group folglich auch eher als eine strategische Investition. Fernsehen und Internet werden nie zusammenwachsen. Aber das heutige Fernsehen wird sich zum digitalen, interaktiven entwickeln – und dann will Microsoft bereits einen sicher Marktanteil als Ausgangspunkt haben.

Ob tm3 für so weitreichende Ziele Gelt verbraten kann und will, ist fraglich. Man will endlich Kohle machen. Ende August kündigte der Sender für 2001 an, durch den Relaunch Werbeumsätze von 60 Millionen Mark zu erreichen. Das Internet kann hier die Phantasie nähren, hat doch Mitte des Jahres das Prognos- Institut bis 2010 eine Beinahe-Verfünffachung der Ausgaben für online-Werbung prognostiziert. Schade nur, das dieser Markt bereits heute heftigst umkämpft ist. Wird tm3 tatsächlich mit Top-Internetangeboten wie Spiegel online oder Yahoo! konkurrieren können?

Wohl eher nicht. Die Mutation zur Spitze des Zusammenwachsens ist denn auch vom 11. November auf irgendwann Anfang nächsten Jahres verschoben worden. Warum, will tm3 nicht sagen. Muss es ja auch nicht: Im Juli war bekannt geworden, dass die Kirch Gruppe über einen Einstieg prüft. Sie prüft und verhandelt wohl noch immer. Klar ist: Rupert Murdoch hat den Winzsender nicht mehr nötig, und er ist Kirchs Partner bei Premiere World. Und ebenso klar ist, dass Kirch ins Internetgeschäft investieren will und muss. Denn hier wird in wenigen Jahren die Übertragung bewegter Bilder in Fernsehqualität Standard sein. 500 Millionen Mark darf Kirch New Media allein in diesem Jahr ausgeben, um eins der zehn stärksten Portale in Deutschland aufzubauen. In Kirchs drei Milliarden Bundesliga Deal sind die Internetrechte bereits jetzt drin. Die Frage ist nun, wie Krich die im Netz verwertet und wie er Internetbenutzer gewinnbringend an sich bindet. Hat die d-box – der Premiere World Decoder – erst mal einen Internetzugang, werden sich Kirch New Media und Premiere World um die Verantwortung kloppen. Da käme Kirch New Media tm3 als eigene Internet-Fernseh-Plattform gelegen. Eine strategische Investition wie die Microsofts bei WebTV also.

Was man sich von tm3 dann an Interaktivität versprechen kann? Einen kleinen Vorgeschmack bieten vielleicht heute schon die sogenannten Infomercials. Da darf man am Ende anrufen und einen Titanbohrschrauberaufsatz mit 200 anderen Teilen bestellen. Und bei „Leben und Wohnen“ kann man sich beim Kürbis- Special sogar das Rezept per Faxabruf besorgen, während ein Kürbis gequält wird. In Zukunft geht das dann wohl auch im Netz.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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