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Kunden-Zugang: Wie die Verlage im Web erblinden (Spiegel Online, 12.6.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Kunden-Zugang

Wie die Verlage im Web erblinden

Die Verlage stehen vor einem Problem: Im Druckgeschäft kennen sie ihre Kunden gut und haben direkten Kontakt zu den Lesern. In der Online-Welt schalten sich Web-Riesen als Zwischenhändler ein: Apple wickelt Zahlungen ab und Facebook und Google kennen Nutzer inzwischen besser als die Verlage selbst.

Spiegel Online, 12.6.2010

{jumi [*3]}

Lange bevor es Facebook gab, haben Verleger den analogen “Gefällt-mir”-Button erfunden. Wer eine gedruckte Zeitung oder ein Magazin abonniert hat, bekommt den ab und an zugeschickt oder als Werbekarte ins Medium geklebt: Man soll seinen Freunden erzählen, wie toll das Heft ist, warum sich ein Abo lohnt. Und wenn die Freunde dann den analogen “Gefällt-mir-Button” drücken, also eine Abobestellung abschicken, spendiert der Verlag dem Werber Geld oder mehr oder minder schöne Produkte als Dankeschön.

{jumi [*4]}

Die Freundschafts-Werbung ist eines von vielen Instrumenten, die Verlage in der analogen Welt nutzen, um neue Kunden zu finden oder alten Kunden neue Produkte zu verkaufen. Sie haben den direkten Kontakt zu ihren Lesern. Und sie wissen auf Basis und Marktforschung ganz gut, wer ihre Stammkunden sind – nicht personenbezogen, sondern anonym. So kann zum Beispiel der SPIEGEL Anzeigenkunden auf Basis der Media-Analyse nachweisen, dass 32 Prozent der SPIEGEL-Leser über ein persönliches Nettoeinkommen von mehr als 2000 Euro verfügen. Dabei geht es nicht um die einzelnen Individuen. Sie sind Anzeigenkunden auch egal. Sie wollen wissen, wie viele Menschen aus bestimmten soziodemografischen Gruppen eine Anzeige im SPIEGEL sehen, nicht wie sie im einzelnen heißen.

Web-Riesen übernehmen die Kunden-Kontakte

So funktioniert das Geschäft analog. Digital drohen die Verlage zu erblinden. Im Werbegeschäft und bei Markplätzen für Digitales drängen neue Zwischenhändler die Verlage beiseite. Facebook zum Beispiel kennt jederzeit den aktuellen Wohnort, das Alter, oft auch den Arbeitgeber und Studienort fast aller Mitglieder.

Immerhin können Verlage bei Facebook derzeit noch nachschauen, aus welchen Altersgruppen und Städten die Fans ihrer Seiten kommen und wie oft sie was tun in dem Angebot. Das kann Facebook aber jederzeit ändern. In Deutschland ist derzeit nur ein Zehntel der Bevölkerung bei Facebook registriert. Sind es einmal 43 Prozent wie in Schweden, wird der Datenberg Facebook wertvoller, die Marktmacht der Firma drückender und die Abhängigkeit der Verlage höher sein.

Facebook und anderen mächtige Zwischenhändler graben den Verlagen den Zugang zum Kunden im Netz ab. Die neuen Mittler übernehmen die für den Vertrieb von Bezahlinhalten wichtigen Kundenkontakte und sammeln das für Werbekunden so wichtige Wissen über die Nutzer auf ihren extrem stark genutzten Seiten.

Wenn die Entwicklung anhält, dürften die Verlage in wenigen Jahren beim Verkauf von Anzeigen und Medienprodukten abhängig von den Web-Riesen sein.

Google, Apple, Facebook, Amazon – die Strategien der neuen Torwächter im Netz.

Google spinnt das Weltwerbenetz

Der Werbekonzern Google setzt alles daran, so viele Nutzer wie möglich an Orten im Netz zu erreichen, wo sie gern auf relevante Anzeigen klicken. Begonnen hat das bei Suchanfragen: Google zeigt Menschen Anzeigen, die sie oft als interessant empfinden, weil sie zumindest ihren Suchinteressen nah sind. Der Konzern arbeitet seit Jahren daran, andere Anzeigeformen ähnlich relevant und allgegenwärtig zu machen wie seine Suchergebnis-Vermarktung.

  • Mobilwerbung: Hier setzt Google alles daran, sich eine ähnliche Dominanz wie beim Suchmarkt zu erkämpfen. Denn räumliche Nähe ist bei manchen Werbekunden ein wichtiges Relevanzkriterium.
  • Webseiten von Drittanbietern: Google vermarktet Werbeflächen auf Partnerseiten – dadurch ist das Weltwerbenetz fast allgegenwärtig. Das “Google Content Network” erreicht nach eigenen Angaben 80 Prozent der Internetnutzer weltweit. Diese von Google vermarkteten Anzeigen versuchen, Relevanz über Textanalysen zu erreichen: Die Google-Software prüft, worum es im Textangebot neben einer Google-Werbefläche geht und liefert dann auf Fotoseiten automatisch Fotowerbung aus, zum Beispiel neben Reiseberichten Tourismusanzeigen, neben Autoartikeln Reifenwerbung.
  • Verhaltens- und Interessensbasierte Werbung: Die enorme Ausdehnung im Web ermöglicht Google völlig neue Werbeformen. Seit kurzem bietet Google Werbekunden Anzeigen an, die den Nutzern folgen. Dank Cookies weiß Google, dass irgendwer von einem bestimmten Rechner aus zum Beispiel auf der Produktseite eines Snowboard-Versands war, aber da nichts gekauft hat. Surft nun jemand an diesem Rechner mit demselben Browser weiter im Web, tauchen auf den von Google vermarkteten Werbeplätzen Anzeigen für ebendieses Snowboard auf.

Gerade die Werbung auf Basis von Interessenprofilen, die an bestimmte Rechner und Browser, nicht an Personen gebunden sind, zeigt den Vorteil eines Web-Riesen wie Google: Nur wer zig Millionen Kundenkontakte hat, weiß genug über ausreichend viele Internet-Nutzer, um diese Profile zu vermarkten.

Google bietet in seinem Mobil-Betriebssystem Android auch Bezahlmöglichkeiten für Anwendungen an. Derzeit scheint dem Konzern aber die Werbevermarktung wichtiger zu sein als die Abwicklung von Kioskgeschäften.

Apples i-Einkaufszentrum

iPad, iPhone, iAd – Apple baut ein Online-Paralleluniversum, das nur von Apple-Geräten aus zugänglich ist und in dem Apple die Regeln diktiert. Der Vorteil dieses geschlossenen Netzes für Verlage: Weltweit hat Apple derzeit 150 Millionen aktive Kundenkonten mit Kreditkarteninformationen im App Store, in iTunes und dem iBookstore. 150 Millionen Menschen, die mit einem Fingertippen bezahlen können.

Der Preis dafür: Bei den über Apples Bezahlsystem abgewickelten Transaktionen hat der Entwickler keine Zugriff auf die Kundendaten und er bezahlt 30 Prozent der Umsätze an Apple. Derzeit erlaubt Apple, dass die Anbieter in ihren Programmen andere Bezahlverfahren anbieten, zum Beispiel für Abos. Werden die direkt zwischen Kunde und Anbieter abgewickelt, bekommt Apple keinen Schnitt der Einnahmen und der Anbieter weiß, wer seine Inhalte kauft.

Das kann sich allerdings jederzeit ändern. Apple bestimmt, wer was zu welchen Konditionen im iNetz verkauft. Apple gibt den Anwendern recht wenig Informationen darüber, wie ihre Anwendungen genutzt werden. Über iTunes Connect können sie zumindest erfahren, wo wie oft ihre Programme gekauft werden, wie die Bewertungen ausfallen und wie hoch die Umsätze sind. Welche Nutzergruppen aber wie oft und wie lange welche Inhalte nutzen, verrät Apple nicht – da helfen Analysedienste von Drittanbietern wie Flurry und Pinch Analytics. Vor kurzem hat Apple die Nutzung dieser Dienste in einer neuen Fassung seiner Geschäftsbedingungen für Entwickler erheblich eingeschränkt, bestimmte Analysen sind nur noch nach schriftlicher Erlaubnis von Apple zulässig.

Auch bei der Werbevermarktung in Anwendungen tritt Apple nun als Zwischenhändler auf. Über das eben erst gestartete Apple-eigene Anzeigensystem iAd hat das Unternehmen für den Rest des Jahres schon Buchungen über 60 Millionen Dollar. Gleichzeitig schränkt Apple in den Nutzungsbedingungen für Entwickler das Einbinden anderer Werbeplattformen ein: Nicht zulässig sind Werbevermarkter, die zu Unternehmen gehören, die Betriebssysteme für Mobilgeräte oder Mobiltelefone anbieten.

Facebook – der Menschenkenner

Facebook hat ein geniales Gegenstück zu Google interessensbasiertem Werbesystem entwickelt: Das Netzwerk sammelt im eigenen Angebot (400 Millionen Mitglieder sind hier durchschnittlich 45 Minuten am Tag aktiv) und überall im Web, wo Anbieter die Facebook-Dienste einbinden, die Meinungsäußerungen und Vorlieben der Nutzer ein.

Facebook weiß, wie alt Nutzer sind, wo sie wohnen, welche Sprache sie sprechen – der Anreiz, die Daten wahrheitsgemäß bei Facebook anzugeben, ist für Mitglieder groß, da sonst die Nutzbarkeit leidet.

Jede Selbstauskunft der Nutzer vertieft Facebooks Wissen und die Werbe-Infrastruktur des Unternehmens. Welche Seiten sind besonders beliebt? Welche Artikel werden gerade am häufigsten empfohlen? Google weiß, welche Seite im Web wohin verlinkt und wie oft Menschen Suchergebnisse anklicken. Facebook weiß, wer gerade was gut findet, was er früher einmal gut gefunden hat und könnte daraus einmal vielleicht ableiten, wofür es sich bei diesen Menschen zu werben lohnt.

Für Verlage ist Facebook deshalb vor allem ein Konkurrent bei neuen Werbeformen. Je mehr Menschen aber den Dienst nutzen, umso wichtiger könnte Facebook als digitales Gegenstück zur analogen Marktforschung werden. Welche Nutzergruppen mögen welche Beiträge? Wer verbringt wie viel Zeit auf welchen Seiten? Heute schon bietet Facebook Analysewerkzeuge für externe Webseiten an, die Facebook-Code integrieren. Da können die Betreiber nicht nur sehen, wie oft welche Angebote aufgerufen werden, sondern auch von welchen Nutzergruppen (sortiert nach Alter, Geschlecht, Wohnort und Sprache).

Parallel zum Werbenetz entwickelt Facebook auch ein eigenes Bezahlsystem. Seit Februar können diese sogenannten Facebook Credits auch in Anwendungen von Drittanbietern ausgegeben werden. Noch läuft dieses Projekt auf Sparflamme bei Facebook – es könnte aber schnell zu einem großen Zahlungsabwickler werden. Wie schnell sich die Regeln ändern können, zeigt das Beispiel Zynga. Facebook diktierte der Spielefirma im Mai neue Bedingungen: Wenn das Unternehmen weiter bei Facebook virtuelle Güter verkaufen will, muss es Facebooks eigene Währung nutzen und Prozente zahlen statt direkt zu kassieren.

Amazon – die Leseecke im Netz

Amazon hat weltweit 114 Millionen aktive Kundenkonten samt Name, Adresse, Bankverbindung oder Kreditkartennummer. Bei digitalen Inhalten ist Amazon sehr eng auf Bücher, Magazine und Zeitungen als Bezahlinhalte festgelegt. Amazon weitet seine Vertriebsplattform seit Monaten mit Hochdruck auf alle erdenklichen digitalen Endgeräte aus: Amazons Digitalbücher kann man dank spezieller Software am PC, auf dem iPhone und den Kindle-Lesegeräten des Herstellers lesen und kaufen. Noch bietet Amazon das eigene Bezahlsystem nicht weltweit zum Einbinden in den Webseiten und Anwendungen Dritter an.

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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