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Kunst aus dem Computer: Malen nach Zahlen (Spiegel Online, 4.9.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Kunst aus dem Computer

Malen nach Zahlen

Quellcode als Pinsel, Laptop als Leinwand: Künstler bringen Computern das Malen bei und benutzen dafür komplizierte Algorithmen. Die Betrachter können der Kunst bei Entstehen zuschauen – sie ändert sich ständig.

Spiegel Online, 4.9.2007

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Marius Watz hat ständig Angst. Die Sorge des Künstlers: Ein verschütteter Kaffee, ein Magnet oder ein schlichter Festplattendefekt könnte sein Lebenswerk vernichten. Der 34-jährige Norweger trägt seine Kunstwerke auf einem Notebook ständig bei sich, zu Ausstellungen in Austin, Wien, Oslo, Turin oder Reykjavik. Sicherheitshalber hat Watz immer auch zig externe Festplatten bei sich, nutzt zusätzlich ein Online-Archiv. Dort hat der Norweger all seine Werke gespeichert: Computerprogramme, die Bilder malen.

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Sehen kann man Fotos der Schöpfungen Watz’ im Netz. Doch das sind nur wenig befriedigende Momentaufnahmen – die Originale, wenn man sie so nennen kann – erleben Betrachter, die Watz’ Programmen bei der Arbeit zuschauen. Bei Ausstellungen werfen an Rechner angeschlossene Projektoren die abstrakten, sich ständig verändernden Bilder an die Wand.

Gezeichnet hat Watz keines davon. Diese Arbeit überlässt er dem Computer – er gibt den Rechnern die Regeln vor. "Ich denke, meine Unfähigkeit zu zeichnen, ist einer der Gründer dafür, dass ich begonnen habe zu programmieren", erzählt Watz SPIEGEL ONLINE.

Die Ururenkel der Konzeptkunst

Die Idee, dass Künstler Konzepte und Regeln schaffen, aus denen dann ohne ihr Zutun viele Werke entstehen, fasziniert Musiker und Maler schon seit Jahrhunderten. Wolfgang Amadeus Mozart komponierte zum Beispiel 176 Takte Musik, die jedermann per Würfel zu einem immer neuen Stück zusammensetzen kann. Ende der sechziger Jahre griffen bildende Künstler diese Idee auf. Manche der damaligen Werke des US-Künstlers Sol LeWitt zum Beispiel bestehen nur aus Anweisungen wie "10.000 zufällig gezogene, gerade Linien" oder "Linien nicht kurz, nicht gerade, sich kreuzend und berührend". Ausführen mussten diese Anweisungen andere.

Computer sind für solche Konzeptkunst ein spannendes Werkzeug: Denn sie verstehen komplexe, mathematische Regeln, können die in Echtzeit abarbeiten und lassen Betrachter so bei einem ständigen Entstehungsprozess zuschauen.

Algorithmen malen Landschaften

Doch die "generative Kunst" der Programmierer ist heute noch viel mehr ein Randphänomen als Konzeptkunst vor vier Jahrzehnten. Vielleicht, weil Laien nicht so genau verstehen, was die Künstler da eigentlich machen. Sie benutzen zum Beispiel Algorithmen, mit denen Mathematiker sonst berechnen, wie man Kreise am effizientesten auf einer Fläche unterbringt. Solche Formeln kann – anders als die Anweisungen LeWitts – nur jemand mit Programmierkenntnissen begreifen.

Marius Watz zum Beispiel hat mit elf Jahren begonnen zu programmieren. Damals, 1984, schenkte ihm sein Vater seinen ersten Computer, einen Radio Shack TRS-80. Natürlich studierte Watz später Informatik – aber nicht fertig. Programmcode langweilte ihn, Bilder faszinierten ihn. 1994 begann er, Software zu schreiben, die malen kann. Seit gut zehn Jahren ist er jetzt Stammgast auf den Medienkunst-Festivals der Welt – Los Angeles, Berlin, Linz und so weiter.

Ein mathematisches Modell für Millionen Farbtropfen

Wie Watz sind die meisten Code-Künstler Autodidakten, die nie eine Kunstakademie besucht haben. Der 51-jährige Kanadier mit dem Künstlernamen San Base zum Beispiel ist ein Programmierer wie Watz. Bevor er 1992 nach Kanada emigrierte, lebte er in Kiew, malte in seiner Freizeit. Weil Farbe und Leinwand teuer waren, übermalte er seine Bilder immer wieder.

Diese von Tag zu Tag ineinander verschwimmenden Bilder brachten Base später auf die Idee, den Computer dieses dynamische Malen übernehmen zu lassen, erzählt er. Wohl deshalb sind seine Bilder weniger abstrakt als die von Watz: Base beginnt nicht mit der Formel, sondern mit einer Form. Er malt von Hand Farbkompositionen und experimentiert. Hunderte solcher Elemente scannt Base für ein dynamisches Bild ein, programmiert dann die Software, die sie immer neu zusammensetzt (siehe Video unten).

Neil Banas nutzt ein ganz anderes Element in seinen Kunstwerken: Naturgesetze. In seinem Brotberuf – er forscht als Ozeanograf an der Universität of Washington in Seattle – programmiert der 33-Jährige mathematische Modelle von Meeresströmungen in Küstennähe oder den Bewegungen von Zooplankton. Einige der Algorithmen übernimmt er in seinen Kunstprojekten: Er hat zum Beispiel ein Modell programmiert, in dem Millionen von Farbtropfen in zufällig berechneten Hügellandschaften die Hänge hinab- und die Täler entlanglaufen.

Aber wo ist bei so viel vom Computer vollzogener Dynamik das Original, der Schöpfer, das Werk? Solche Fragen langweilen die Code-Künstler. Marius Watz: "Der Computer stellt die Bilder zwar her, hat aber keinen Gestaltungswillen. Er ist wie eine Töpferscheibe, wobei die Beziehung doch etwas komplexer ist."

Ungeklärt: Wie verkauft man digitale Kunst?

Die digitale Form stellt die Künstler aber nicht nur vor solche kunsttheoretischen, sondern auch vor ganz lebensnahe Probleme. Wie stellt man generative Kunst aus und wie verkauft man sie, wenn man denn will oder muss? Marius Watz zu SPIEGEL ONLINE: "Der Kunstmarkt ist noch immer nicht sehr aufgeschlossen gegenüber digitaler Kunst, was sicher auch an den technischen Einschränkungen liegt."

Watz stellt seine Werke als großflächige Videoprojektion aus. Sammler müssen sich selbst um solch eine Präsentation kümmern. Watz: "Das Produkt ist ein Programm, dessen Archivierung meist ein gewisses technisches Verständnis voraussetzt." Er hofft, dass sich das ändern wird, wenn "große Sammlungen immer mehr digitale Kunst ankaufen". Bis dahin verkauft Watz Drucke mit Momentaufnahmen seiner Werke.

San Base bietet Käufern auf Wunsch präsentationsbereite Originale: Software samt Computer und digitalem Bilderrahmen zum Anzeigen. Aber er verkauft weit mehr limitierte Drucke mit Momentaufnahmen und DVDs mit Videosegmenten seiner dynamischen Bilder. Digitales verkauft sich in der Kunstwelt eben schlecht.
 
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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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