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Kuriose Patente: Microsoft reklamiert das Gedankenlesen für sich (Spiegel Online, 25.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Kuriose Patente

Microsoft reklamiert das Gedankenlesen für sich

Ist Windows gut oder schlecht? Was immer Sie darüber denken, will Microsoft künftig mit einer Gehirnstrom-Analyse messen können. Jetzt lässt sich der Konzern die Gedankenles-Technik schützen – der neueste Eintrag in einer langen Liste kurioser US-Hightech-Patente.

Spiegel Online, 25.10.2007

Auf der Schwarzweiß-Zeichnung sieht alles ganz einfach aus. Ein Mann sitzt vorm Computer. Vier Kabel an seinem Kopf messen die Gehirnströme. Ein Kasten zeigt, welche Aufgabe er gerade bewältigt. Und Gehirnwellen sollen messbar machen, wie es ihm dabei geht. So erklärt Microsoft in einem Antrag dem US-Patentamt seine neue Messmethode für Software-Tests.

Per Elektro-Enzephalographie (EEG) wollen die Forscher die Gehirnströme ihrer Probanden messen, während die am Computer mit einem neuen Programm experimentieren. Das Prinzip ist alt. Neu – so behauptet Microsoft im vorige Woche eingereichten Patentantrag – ist die Methode.
Der Konzern will mit dem Antrag ein Verfahren schützen lassen, das Software-Forschern zu erkennen helfen soll, was sie eigentlich messen. Bei Microsoft wird schon lange an EEG-Methoden geforscht. Der Patentantrag behauptet nun, mit der Filtermethode könne man zuverlässig aus Messdaten Nutzerreaktionen auf die Software wie "Überraschung, Befriedigung und Frustration" ableiten.

Per EEG wollen die Forscher zuverlässigere Antworten über das Nutzerverhalten bekommen. Bei den heutigen Verfahren (Befragen und Beobachten) könne man Verhaltensweisen leicht übersehen oder falsch interpretieren. In Zukunft – so endet Microsofts Antrag – könnte man vielleicht sogar das Verfahren dafür nutzen, das Computersystem "zu informieren, wie es sich anpassen kann, um dem Nutzer bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu helfen".

Ein von den Gehirnwellen seiner Benutzer lernendes Office-Paket? Das klingt kurios, abgedreht und reichlich vage. Ob Microsoft aus diesem Patent je eine brauchbare Testanlage oder gar ein Nutzerinferface macht, ist fraglich.

Tradition großzügig interpretierter Patente

Trotzdem hilft das Patent Microsoft. Denn wird aus dem Verfahren einmal eine brauchbare Anwendung, ist der Konzern auf der sicheren Seite. Außerdem könnte er mit dem Patent wahrscheinlich Lizenzgebühren eintreiben, wenn eine andere Firma ein EEG-Verfahren zu Software-Analyse nutzt. Denn die USA haben eine lange Tradition sehr weit ausgelegter Patente.

Ein Patenthalter kann noch nach vielen Jahren Ansprüche erheben. Eine Anwendung kann völlig neu sein, sobald sie nur bestimmten Verfahrensprinzipien des alten Patents folgt, greift der Schutz.

Die oft kurios großzügige Patent-Interpretation in den USA erlaubt es, ein allgemein übliches Verfahren mit ein paar technischen Neuerungen als neu entdeckte Methode zu schützen. Bekanntestes Beispiel eines solchen US-Trivialpatents: Amazons 1-Click-Methode. 1999 konnte sich der Online-Versender das Monopol auf den Online-Einkauf mit einem Mausklick schützen.

Je mehr Patente ein US-Unternehmen hat, desto besser ist es vor Konkurrenten geschützt – und desto mehr Droh- und Druckmittel hat es gegen Wettbewerber zur Verfügung. Microsoft könnte mit seinem EEG-Patent irgendwann rivalisierenden Software-Anbietern Ärger bereiten. Unter IT-Firmen in den USA gibt es deshalb einen regelrechten Wettbewerb um möglichst breit angelegte, früh erteilte und daher oft kurios klingende Patente.

Nicht immer sind sie dabei erfolgreich. Erst vorige Woche wies das US-Patentamt bei Amazons legendärer 1-Click-Methode 21 der ursprünglich 26 anerkannten Detail-Schutzansprüche zurück. Gestern allerdings, wie zum Ausgleich, bekam Amazons Suchmaschinen-Tochter A9 ein Patent auf verständliche Webadressen bei Suchanfragen.

Verständliche URLs, RSS-Feeds und Internet-Telefonie – SPIEGEL ONLINE präsentiert vier kuriose US-Patentanträge:

Amazon lässt sich lesbare Webadressen schützen

Wer bei eBay Teddybären sucht, kann entweder die Startseite des Auktionenhauses aufrufen und sein Suchwort eintippen oder "http://search.ebay.de/teddy" in den Browser tippen. Das funktioniert seit Jahren, mit jedem Suchbegriff.

Jetzt allerdings hat sich Amazon dieses nicht gerade bahnbrechende Verfahren in den USA patentieren lassen. Seit gestern gehört Amazons Suchmaschine A9 das US-Patent auf ein "Suchsystem, dass die Eingabe nicht formatierter Suchbegriffe hinter dem Domainnamen der URL erlaubt".

Im Klartext: Amazon hat nun ein US-Monopol auf eine Technik, die eBay längst anbietet.

Amazons Patentantrag macht die ganze Trivialität der Entwicklung klar. Die Zusammenfassung beschreibt diese Beispielanwendung: "Ein Nutzer, der Hotels in San Francisco sucht, kann das ganz einfach über den Abruf der URL www.domain_name/San Francisco Hotels tun."

Microsoft entdeckt 2005 die RSS-Feeds für sich

Im Juni 2005 hat Microsoft beim US-Patentamt das Prinzip der RSS-Feeds für sich beansprucht. Feeds sind speziell formatierte Daten, die man mit Programmen oder innerhalb von Webseiten abrufen kann. Sie beinhalten Überschriften, manchmal auch erste Absätze oder den kompletten Text neuer Artikel auf Internetseiten. Der Vorteil dieses Formats: Man kann in einem Programm den aktuellen Stand vieler Seiten im Auge behalten, ohne sie direkt zu besuchen. Als einer der ersten Anbieter nutzte diesen Standard eine individuell anpassbare Nachrichtenseite – "My Netscape" war das, 1999.

Sechs Jahre später reichte Microsoft dann zwei Patentanträge ein, die ein wenig wie eine nachträgliche Beschreibung des RSS-Prinzips klingen: Es geht um eine " Inhalte-Verbreitungs-Plattform" und das " Finden und Konsumieren von Web-Abonnements in einem Internet-Browser". Das System zum "Finden und Konsumieren" ermögliche es dem Nutzer, "neue Feeds zu identifizieren, sie effizient zu konsumieren oder zu lesen, indem Sie eine RSS-Lesesoftware oder einen Web-Browser benutzen".

Die Patente hat Microsoft am 21. Juni 2005 eingereicht. Entschieden wurde über den Antrag bis heute nicht.

AT&T patentiert schon 1996 Internet-Telefonie

Der US-Telekomgigant AT&T hat in der vergangenen Woche einen der größten US-Anbieter von Internet-Telefonie verklagt, Vonage. Dieses Unternehmen lässt seine Kunden für wenig Geld über schon vorhandene Breitband-Internetanschlüsse telefonieren. Ärgerlich für Telekom-Unternehmen wie AT&T, die deshalb Einnahmen aus klassischen Telefongesprächen verlieren.

AT&Ts Vorwurf gegen Vonage: Das Unternehmen verletze ein Patent aus dem Jahr 1996. Darin beschreibt AT&Ts damaliger Forschungschef Alexander Fraser ein " paketbasiertes Telefon-System". Das Verfahren ist tatsächlich mit dem Voip-System zu vergleichen. Voip allerdings setzt auf dem Internet-Protokoll auf – im Gegensatz zu Fraser, der ein Telefonnetz zur Grundlage hat, kein IP-Protokoll.

Das IT-Magazin "Information Week" fragt in einem Kommentar zur AT&T-Klage entrüstet: "Selbst wenn AT&Ts Patent theoretisch auf das Internet angewendet werden kann – warum sollte AT&T das tun dürfen? Wenn ich in fünf Jahren ein paketbasiertes Netzwerk im All aufbaue, wird AT&T die Rechte daran beanspruchen dürfen?"

Microsoft will Patent für Apple-ähnliche Handy-Bedienung 

Die Illustrationen in diesem Patentantrag wirken, als ginge es um die inzwischen weltbekannte iPhone-Benutzeroberfläche. Fotos kann man wie Seiten in einem Album durchblättern, neben den Rändern eines Bildes lugen andere hervor. Der 3D-Effekt ist vom Plattencover-Flow in Apple iTunes-Musiksoftware bekannt.
Die Illustrationen, um die es hier geht, zieren allerdings einen Patentantrag, den Microsoft im Juni 2006 eingereicht hat.

Gegenstand: "Erweiterbare, gefilterte Listen für Benutzeroberflächen von mobilen Endgeräten". Microsoft will mit dem Antrag ein Prinzip patentieren, wie Dateien auf Mobilgeräten angezeigt werden. Der Nutzer soll Dateien in "erweiterbaren, frei bestimmbaren Gruppen" ordnen können. Die Software soll es ermöglichen, "Dateien und Aufgaben zu finden, die für den bestimmten Nutzer relevant sind". Das klingt sehr, sehr vage und bekannt.

Trotzdem könnten die US-Behörden Microsoft das Patent zugestehen – und der Konzern hätte ein wunderbares Mittel, um Apple zu triezen. Das ist 2005 schon einmal passiert. Damals hat das US-Patentamt einen Antrag von Apple auf eine "grafische Benutzeroberfläche und Methoden zu ihrer Anwendung in einem Multimedia-Player" (sprich: iPod) abgelehnt. Die Begründung: Der Microsoft-Mitarbeiter John Platt habe fünf Monate zuvor einen zu ähnlichen Patentantrag eingereicht.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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