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Lahme Feststelltaste: Neue Apple-Tastatur bremst Vertipper aus (Spiegel Online, 8.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Lahme Feststelltaste

Neue Apple-Tastatur bremst Vertipper aus

Glaubenskrieg um eine Taste: Heimlich blockt Apples Alu-Tastatur unfreiwillige Großschreibung. Die Feststelltaste denkt mit, lahmt, wenn sie ein Versehen wittert. Ein Programmierer hat den Trick entdeckt, die Eiferer streiten: Bevormundung, Verschwörung, Fortschritt?

Spiegel Online, 8.10.2007

Jonathan Rentzsch programmiert Mac-Software – das sah man seiner alten Apple-Tastatur an: An der Unterseite präsentierte das schicke, durchsichtige Modell die in vielen Arbeitsstunden entstandene Sammlung von Staub und Schmutz. Also kaufte der US-Programmierer im August Apples neue, flache, undurchsichtige Alu-Tastatur. Nach ein paar Stunden Programmierarbeit begann Rentzsch, an seiner Wahrnehmung zu zweifeln: Immer wenn er glaubte, die Feststelltaste aus Versehen gedrückt zu haben, war sie nicht aktiviert. Fehler oder ein Service, den Apple bislang verschwiegen hat?

Das komische Verhalten der Tastatur elektrisiert Rentzsch: "Das bedurfte einer wissenschaftlichen Untersuchung", protokolliert er in seinem Blog. Denn Programmierer und Computer-Fans streiten seit Jahren über Sinn und Existenzberechtigung der Feststelltaste. Einmal gedrückt, bewirkt sie, dass fortan alle eingetippten Buchstaben groß geschrieben werden – bis man sie wieder drückt.


Kampagnen gegen die Feststelltaste

Das macht die Feststelltaste zu einer verhassten Fehlerquelle. Viele Menschen drücken sie unabsichtlich, sehen beim Tippen nicht auf den Bildschirm und schreiben dann nichts ahnend ganze Sätze in Großbuchstaben.

Das hat der Feststelltaste einige Feinde eingebracht: Netz-Kampagnen agitieren für ihre Abschaffung, nennen die Taste ein Relikt aus der Zeit der Schreibmaschinen. Auf PC-Tastaturen gibt es noch mehr davon. Zum Beispiel: Druck, Rollen und Pause (siehe Kasten unten).

Erster Erfolg der Feststell-Gegner: Beim 100-Dollar-Laptop fehlt die Taste. Angesichts dieses Glaubenskriegs wittert Rentzsch eine "Verschwörung gegen die Feststelltaste aus den dunkelsten Ecken Apples". Rentzsch hat Humor. Doch die Analyse seiner Alu-Tastatur (siehe Video unten) meint er ernst.

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Das hat Rentzsch herausgefunden:

  • Tippt man die nicht aktivierte Feststelltaste auf Apples neuer Alu-Tastatur ganz kurz an, passiert nichts. Keine Großschreibung, keine versehentlichen Vertipper – nichts.
  • Die Feststelltaste braucht etwas länger als andere Tasten: Hält man sie etwa eine viertel Sekunde lang gedrückt, ist die permanente Großschreibung aktiviert.
  • Apples Alu-Feststelltaste scheint mitzudenken: Ist die Dauer-Großschreibung aktiviert, reagiert die Feststelltaste so schnell wie alle anderen. Ein kurzes Antippen genügt und die Tastatur schreibt wieder klein.

Rentzsch fasst seine Ergebnisse in seinem Blog zusammen: "Apples moderne Tastaturen wollen ungern die Feststelltaste aktivieren und sie sehr gern wieder abschalten." Sein begeistertes Fazit: Dieses Verhalten wirke perfekt der häufigsten Vertipper-Quelle entgegen, die er bei sich beobachtet hat. Viele Apple-Fans hätten ihm geschrieben, dass sie dasselbe Verhalten bei ihren Tastaturen beobachten. Nur Apple hat noch nicht reagiert.

Apple bestätigt: "Anderer Druckpunkt"

Auf Rückfrage von SPIEGEL ONLINE bestätigt der deutsche Apple-Sprecher Georg Albrecht: "Die Feststelltaste hat einen anderen Druckpunkt als die anderen Tasten. Auf diese Weise wird ein versehentliches Betätigen bestmöglich verhindert." Programmierer Rentzsch hingegen vermutet einen etwas komplexeren Mechanismus -– schließlich reagiert die Tastatur unterschiedlich schnell.

Ein paar Apple-Fans rätseln jetzt, wie das genau funktioniert. Die meisten aber streiten über den Sinn der neuen Feststelltaste. Rentzsch ist begeistert: "Großartig!" Aber es hagelt auch Kritik: Das Gadget-Blog Ars Technica bemerkt, dass niemand dieses fest in der Hardware verankerte Verhalten umprogrammieren könnte. Ein Nachteil für Profis, die per Software ihre Tastaturbelegung verändern.

Wütende Apple-Fans wittern Gängelung

Wer will, kann ja per Software die unnütze Feststelltaste dazu bringen, statt Großschreibung fortan Anführungsstriche oder etwas anderes zu aktivieren. Das Problem dabei: Apples lahme Feststelltaste bleibt lahm, ganz egal mit welcher Funktion man sie belegt. Deshalb fühlen sich einige Programmierer nun bevormundet. Rentzsch muss zugeben: "Es könnte tatsächlich unmöglich sein, diese Eigenschaft ohne einen Hardware-Hack zu deaktiviert."

Typisch Apple, schimpfen da andere. In den Kommentaren des Gadgets-Blogs Engadget toben Leser: "Warum könnten sie das nicht als eine Option ins Betriebssystem integrieren? Zu stur, um irgendwen etwas an ihren Produkten ändern zu lassen."

Mit der Alu-Tastatur hat Apple unfreiwillig Partei im erbittert geführten Glaubenskrieg um die Feststelltaste ergriffen – während die Fans noch wegen der abgeschafften Apfel-Taste toben.

Schon gibt es erste Boykottdrohungen. Der US-Programmierer Christopher Forsythe, immerhin einer der Mitschöpfer des beliebten Mac-Chat-Programms Adium, schreibt in seinem Blog: "Wenn das zum Standard wird, kann ich keine neuen Apple-Tastaturen benutzen." Und Forsythe droht: "Wenn sie das in ihren Laptops einbauen, muss ich wohl noch mal darüber nachdenken, ob ich Macs nutze."

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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