Zum Inhalt springen

Lego hält die Welt zusammen (Frankfurter Rundschau, 16.12.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Lego hält die Welt zusammen

Wenn die Füttermaschine klickt: Zur sentimentalischen Hackererziehung durch den Roboterbaukasten "Mindstorms"

Frankfurter Rundschau, 16.12.2000

In wenigen Tagen konnte aus einem Raumgleiter und einer Feuerwehrwache eine Bohrinsel entstehen. Wer erinnert sich nicht an Wintervormittage, an denen die Aufbauanleitungen in der Schublade verschwanden und die Legosteine allein auf dem Kinderzimmerboden lagen? Das Dach der Feuerwehr wurde zur Bohrplattform, die durchsichtige Pilotenkuppel des Gleiters zur überdachten Brücke, die Antennen des Raumschiffs zu Funkmasten in der Nordsee.


Lego war immer schon der drittbeste Freund des Hackers. Nach Computern und Telefonen. Denn die Philosophie der Kunststoffsteine mit den Noppen obendrauf und Röhrchen im Hohlraum gleicht den Hackerprinzipien: Vorgegebene Funktionsweisen erforschen, ignorieren, dann die Struktur auseinandernehmen, kennen lernen, zu etwas neuem zusammensetzen und für etwas von den Konstrukteuren gänzlich unerwartetem verwenden.

Die Szene der heutigen Computerhacker entstammt einer amerikanischen Subkultur der späten 70-er, den sogenannten "phone phreaks". Diese Menschen waren besessen von der Struktur und Funktionsweise des Telefonnetzes Nach dem Aussenden eines 2600 Hertz Tons (daher der Name des heutigen Hackermagazin 2600) während eines Anrufs war es möglich, im amerikanischen Netz das Telefonat über das Netz an diverse Zielpunkte umzuleiten. Es gab Menschen, die Anrufe zu benachbarten Telefonzellen durch die Netze von zehn oder mehr Staaten leiteten, nur um das Klicken der freigeschalteten Leitungen zu hören.

Der bekannte "phone phreak" Joe Engressia konnte den 2600 Hertz Ton pfeifen, ein anderer, John Draper, fand heraus, dass eine bestimmte Sorte von Spielzeugpfeifen in Cornflakes-Packungen dies ebenso leistete. Und als das Hacken von Telefonrelais durch das Eindringen in Computernetze, um deren Funktionsweise zu entdecken, abgelöst wurde blieb der Antrieb derselbe wie beim Legobauen. Was können 300 rote Steine noch sein als eine Feuerwehrwache?

Es war also abzusehen, was geschehen würde, als Lego im Herbst 1998 einen Lego-Elektrobaukasten mit vom Computer aus programmierbaren Mikroprozessor, Elektromotoren, Lichtschranken und Berührungssensoren auf den Markt brachte. Der seit gut einem Jahr auch in Deutschland erhältliche Roboter-Baukasten "Mindstorms" sollte nicht nur Kinder ab zwölf von Videospielen zu Programmiersprachen bringen, sondern hatte auch gute Aussichten, Hacker vom Programmieren zurück zum Legostein zu bewegen.

Genau das ist geschehen. Heute existiert so etwas wie eine weltweite Mind storms-Subkultur. Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung der Baukästen in den USA hatten Hacker das System geknackt. Ihre Motivation erläuterte Computerspezialist Matthew Miller damals so: "Wir arbeiten an einem besseren Programmiersystem, damit man intelligentere Roboter bauen kann."

Die von Lego angebotene Programmiersprache für den Lego- Prozessor RCK ist in der Tat sehr eingeschränkt. Sie wurde gemeinsam mit Seymore Papert vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt. Papert hat schon die für Kinder und Jugendliche leicht verständliche Sprache Logo entwickelt. Beim RCX ist das Programmieren eine eher graphische als sprachliche Angelegenheit. Einfach zu verstehen und recht schnell erfolgreich anzuwenden.

Lego merkte sehr bald, dass Leute mit "Mindstorms" Dinge anstellten, für die es nicht geplant war. Die Firma entschloss sich zu einem mutigen Schritt: Man gab den Quellcode für das Programmieren der "Mindstorms" frei. Der Quellcode ist sozusagen der Originaltext, den Programmierer benötigen, um Programme gezielt abändern zu können. Bei Programmen wie Netscape Navigator und Linux kann jeder den Quelltext einsehen und verbessern – die Entwicklung ist dezentralisiert und dadurch ebenso chaotisch wie produktiv. Durch den Verkauf solche "open source" genannter Programme ist kaum Geld zu verdienen.

Schließlich kennt jedermann die Finessen der Software. Lego allerdings brachte dieser ungewöhnliche Schritt nicht nur ein positives Image und Glaubwürdigkeit für die Firmenphilosophie, sondern auch handfeste materielle Vorteile. "Mindstorms" verkauft sich gut. Anfangs war die Hälfte der Käufer Erwachsene, die das Spielzeug für sich haben wollten.

Inzwischen ist der Anteil auf 30 Prozent gesunken, wie das US-Computermagazin Wired berichtet. Wer heute "Mindstorms" programmieren will, kann dies in professionellen Programmiersprachen wie C tun. Das ermöglicht die von Hackern entwickelten Software LegOS. Andere, im Internet verfügbare Programme machen die Programmierung der "Mindstroms" in den Profi- Sprachen "Forth" und "Java" möglich.

"Mindstorms" werden inzwischen an zahlreichen Universitäten eingesetzt. Studenten der Informatik bringen in ihren Praktika die Roboter zum Tanzen oder führen sie durch Labyrinthe. Interessant an "Mindstorms" ist aber vor allem, dass solche Aufgaben nicht nur an Universitäten, sondern auch im Kinderzimmer angegangen werden.

In den USA haben die 12jährigen Zwillinge Michael und Mark Delgiornio einen "Mindstorms" Roboter gebaut, der beweist, dass das Licht im Kühlschrank ausgeht, wenn die Tür geschlossen ist. Ein anderes ihrer Werke zieht einen Faden kreuz- und quer durch die Wohnung, um die Katze zu unterhalten. Im "Mindstorms" Kontaktforum von Lego im Internet werden andere außergewöhnliche Entwicklungen vorgestellt. So hat beispielsweise ein Mädchen eine Vogelfüttermaschine entwickelt, die jedes Mal ein Foto schießt, wenn ein Tier sich zum Essen niedersetzt. Bauanleitungen für diese Entwicklungen gab es nie.

Lego erzieht mit "Mindstorms" Kinder zu Hackern. Und das ist eine sehr gute Sache. Denn im Bereich der Informationstechnologie ist die Aufklärung längst in den Mythos umgeschlagen. In einer süddeutschen Zeitung wurde die Veröffentlichung eines Software-Quellcodes kürzlich treffend als "Blick in die Seele" beschrieben.

Programmieren wird nicht als Kommunikation sondern als Zauberei angesehen. Der Autor Arthur C. Clarke hat gesagt: "Jede ausreichend weiterentwickelte Technologie ist nicht zu unterscheiden von Magie." Das darf nicht passieren. Denn was heute verschleiernd Informationsgesellschaft genannt wird, besteht wie eine Lego- Feuerwehr aus vielen gängigen Bausteinen. Wichtig ist allein, wer sie wie zusammensetzt.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert