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Lokalisierungsdienst Places: Facebook spinnt das Hier-bin-ich-Netz (Spiegel Online, 19.8.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Lokalisierungsdienst Places

Facebook spinnt das Hier-bin-ich-Netz

Hier trink ich Bier, hier kauf ich ein: Jetzt können Facebook-Nutzer ständig ihren eigenen Standort mitteilen. Das neue Angebot könnte Lokalisierungsdienste massentauglich und damit richtig lukrativ machen – bloß der Datenschutz ist mal wieder löchrig geraten, zeigt ein SPIEGEL-ONLINE-Versuch.

Spiegel Online, 19.8.2010

{jumi [*3]}

Wer peinliche Partyfotos unbedingt bei Facebook veröffentlichen will, kann nun auch noch den genauen Standort seines Saufgelages in die Welt hinausposaunen. Oder auch nur an seine Freunde mitteilen. Möglich macht es der neue Lokalisierungsdienst Places, der auf Deutsch ganz einfach heißt: Orte.

Das Grundprinzip des Angebots ist nicht neu. US-Mitglieder von Facebook (und bald auch die anderen) können bei vielen Aktionen in der Community ab sofort ihren Standort mit angeben. Sie müssen dafür nur ein Gerät wie das iPhone benutzen, das Technik zur Ortsbestimmung hat. Angezeigt werden dann nicht die exakten Koordinaten des Nutzers – sondern zum Beispiel der Name des Ladens, Restaurants oder Cafés, im dem er sitzt. Man checkt an diesen Orten ein. Je nach Einstellungen bekommen nur Facebook-Freunde oder auch alle Welt zu sehen, wo man gerade Kaffee trinkt, Musik hört, feiert oder arbeitet.

Genau so funktionieren schon etablierte Lokalisierungsnetzwerke wie Gowalla und Foursquare. Places aber ist integraler Bestandteil von Facebook, das mehr als 500 Millionen Mitglieder weltweit hat – und das bedeutet: Diese Art von Service wird jetzt einem viel größeren Nutzerkreis zugänglich. Standardmäßig und unkompliziert. Durch die nahtlose Integration in Facebook könnten die Ortsdienste einen Boom erleben.

Diese Chance sehen ganz offensichtlich auch die etablierten Lokalisierungsnetzwerke. Facebook hat Foursquare, Gowalla, Yelp und Booyah als Partner zum Start auserkoren. All diese Seiten sollen Places gleich von Anfang an integrieren – also ihren eigenen Nutzern ein Parallel-Check-in beim Facebook-Angebot ermöglichen. Am Ende könnte Facebook so zum zentralen De-facto-Standard für ortsbezogene Dienste im Internet werden.

Facebook hat schon lange Übung darin, anderen Internetseiten auf einfache Art Dienste und Schnittstellen anzubieten. Ob Login-, Kommentar- oder Empfehlungsfunktionen: Solche Facebook-Dienste kann jeder mit wenigen Zeilen Code in seine eigene Website integrieren. Der Nutzer meldet sich dann mit seinem Facebook-Login bei der Seite an, und los geht’s. Ähnliche Möglichkeiten dürfte es nun bei der Standortbestimmung der Nutzer geben, denn die Places-Daten werden auch in die Graph API genannte Schnittstelle integriert, die Facebook seit längerem als Integrationsbasis für Internetentwickler anbietet. Um eine Liste der Orte abzurufen, bei denen sich ein Nutzer eingecheckt hat, muss der Entwickler sich eine zusätzliche Zustimmung des Nutzers holen wie es heute schon bei Abrufen bestimmter Informationen nötig ist.

Das Konzept hat für alle Seiten Vorteile. Wer eine Internetseite betreibt, kann schnell und unkompliziert neue Funktionen integrieren. Der Nutzer wiederum muss sich für praktische Dienste nicht auf verschiedenen Plattformen anmelden, sondern hat ein Facebook-Login für alles. Und Facebook, der größte Profiteur, entwickelt sich mehr und mehr zu einem zentralen Infrastrukturanbieter und Datensammler des Internets. Die Community wird zum unersetzlichen Partner, zu einer Art Rückgrat des Webs – und damit letztlich zu einer sehr attraktiven Werbeplattform.

Konkurrenz fürs lokale Anzeigengeschäft

Denn, und das ist die Kehrseite: Facebook sammelt auf diese Weise eine Unmenge von Informationen über Nutzer, die bei dem Angebot mitmachen. Durch Places erfährt der Konzern künftig, wer sich mit wem zu welchem Zeitpunkt wo befindet. Solche Daten sind erheblich brisanter als die veralteten Straßenpanoramen von Google, über die deutsche Politiker seit Wochen streiten.

Dass Facebook mit dem neuen Dienst Geld verdienen will, kann man schon in der Anleitung für Werbekundennachlesen. In ihr steht, dass Läden und Dienstleister in Zukunft Standorte als ihre eigenen beanspruchen können – per Verifizierung bei Facebook. Dann können sie ihren eigenen Laden in der Community bewerben.

Solche ortsbezogenen Anzeigen dürften der Anfang sein. Foursquare oder Gowalla arbeiten aber schon heute mit neuen Werbemethoden. Wenn ein Nutzer zum Beispiel regelmäßig in einem Laden oder Lokal eincheckt, wird er dafür irgendwann mit einem Phantasietitel wie “Bürgermeister” belohnt. Diesen behält er so lange, bis ein anderer Nutzer noch häufiger denselben Ort besucht. Lokalbesitzer können dann den Bürgermeister über Foursquare und Gowalla mit einem Freibier als treuen Kunden belohnen. So sieht Kundenbindung in der Community aus.

Auch lockende Reklame ist denkbar, wie zum Beispiel Rabatte für Nutzer, die gerade in der Nähe eines Restaurants sind. Am Ende werden dann aus Standorten im Internet ganz reale Preisnachlässe – die digitale Welt überlagert die echte, und das klassische lokale Anzeigengeschäft bekommt virtuelle Konkurrenz.

Datenschutz mit Lücken

Facebook ist in der Vergangenheit bei der Einführung neuer Dienste oft wegen komplizierter Datenschutzeinstellungen kritisiert worden. Bei Places ist der Konzern nun ein wenig vorsichtiger als früher. Standardmäßig ist eingestellt, dass Informationen über den Aufenthaltsort des Nutzers nicht der ganzen Welt mitgeteilt werden – sondern nur seinen Freunden.

Die Frage ist, warum ein neuer Dienst wie Places überhaupt standardmäßig aktiviert ist. Er wird angeschaltet, ohne dass sich der Nutzer bewusst dafür entschieden hat. Allerdings – passieren kann dadurch nichts. Denn der Nutzer muss die Lokalisierungsfunktion aktiv bedienen. Wenn er das nicht macht, wird Facebook keine Standortinformation veröffentlichen.

Welche Datenschutzprobleme können bei Places nun genau auftreten? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Versuche von SPIEGEL ONLINE zeigen, dass Facebook unterschiedliche Voreinstellungen für die neuen Lokalisierungsdienste auswählt (zumindest bei deutschen Nutzern). Welche, das scheint abhängig von anderen Einstellungen zu sein, der genaue Zusammenhang wird aber nicht erklärt.

Im Detail geht es um diese Einstellungen:

  • “Personen, die jetzt hier sind”: Diese Funktion zeigt Freunden und anderen Menschen in der Nähe den Aufenthaltsort eines Nutzers, wenn er dort eingecheckt hat. Bei einigen der von SPIEGEL ONLINE überprüften Facebook-Konten war diese neue Option standardmäßig aktiviert, bei anderen nicht. Hier orientiert sich Facebook an bisherigen Einstellungen – nur nach welchem Schema, das ist nicht ersichtlich. Tipp: Diese Einstellung können Sie in den Facebook-Privatsphäreeinstellungen ändern. Unten links auf “Benutzerdefinierte Einstellungen” klicken, dann zu “Dinge, die ich teile”, dann auf den Punkt “Mich” im Abschnitt “Personen, die jetzt hier sind”.
  • “Freunde können angeben, dass ich mich an einem Ort befinde”: Auch diese Funktion ist bei einigen überprüften Konten standardmäßig aktiviert, bei anderen nicht. Sie ermöglicht es, Freunde an einem bestimmten Ort zu taggen (wenn die zum Beispiel gerade kein Telefon dabei haben oder Ähnliches). Wenn das zum ersten Mal passiert, erhält der von Freunden so Verortete einen Hinweis von Facebook und muss zustimmen. Danach aber können Nutzer ihre Facebook-Freunde standardmäßig verorten. Da wären detailliertere Kontrollmöglichkeiten wünschenswert. Tipp: Diese Einstellung können Sie in den Facebook-Privatsphäreeinstellungen ändern. Unten links auf “Benutzerdefinierte Einstellungen” klicken, dann im Abschnitt “Dinge, die andere Personen teilen” auf den Punkt “Freunde können angeben, dass ich mich an einem Ort befinde”.
  • “Informationen, die durch Freunde zugänglich sind”: Auch bei diesem Menü war die neue Ortsoption in einigen überprüften Konten standardmäßig aktiviert, bei anderen nicht. Diese Einstellung gibt an, ob die Anwendungen von Facebook-Freunden ermitteln dürfen, welche Orte man besucht hat. Nur hat man nun mal keinen Einfluss darauf, welche Anwendungen Freunde nutzen – darum ist diese Einstellung recht heikel. Tipp: Welche Voreinstellung Facebook vorgenommen hat, kann man in den Facebook-Privatsphäreeinstellungen überprüfen. Ganz unten links beim Punkt “Anwendungen und Webseiten” auf “Bearbeite deine Einstellungen” klicken. Dann beim Punkt “Informationen, die durch deine Freunde zugänglich sind” die Freigaben bearbeiten.

Als heikel könnte sich ein vierter Punkt erweisen – das hängt jetzt von der Schnelligkeit von Facebooks Kundenservice und der Böswilligkeit der Nutzer ab. Denn die Places-Nutzer können die Ortsdatenbank von Facebook selbst um Einträge erweitern. Konkret heißt das: Jemand ist auf einer Geburtstagsparty zu Gast, definiert dort “XYs Wohnung” als neuen Standort und gibt an, dass es da “tolles Bier umsonst” gibt. Dieser neue Ort wird dann automatisch angezeigt. Mashable hat das im Selbstversuch gezeigt.

Sprich: Potentiell kann jeder Mensch sehen, dass in “XYs Wohnung” gerade ein Gratisbesäufnis stattfindet. Facebook sieht für diesen Fall vor, dass Orte als bedenklich gemeldet werden können. Facebook-Mitarbeiter checken den Eintrag dann und löschen ihn gegebenenfalls, das hat der Konzern dem Fachdienst Readwriteweb bestätigt. Wie oft das nötig sein wird und wie schnell das geht, wird die Praxis zeigen.

Vor allem aber wird erst nach der Veröffentlichung und nach der Meldung eingegriffen. Das kann zu spät sein.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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