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Mac-Hype: Apple riskiert den Kultstatus (Spiegel Online, 12.12.2007 mit Matthias Kremp)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen

Mac-Hype

Apple riskiert den Kultstatus

Überfüllte Läden, protzende iPhone-Besitzer, spinnende 999-Euro-iPhones, Sicherheitsprobleme: Die Kultmarke Apple verspielt mit wachsendem Erfolg ihren Ruf. Inzwischen stänkern immer mehr Blogger gegen die Tausendsassa aus Cupertino – wie einst gegen den Erzrivalen Microsoft.

Spiegel Online, 12.12.2007 mit Matthias Kremp

Apple, der kleine, missachtete, elegante, alternative, elitäre aber freundliche Gegenspieler der bösen Computerriesen – das war einmal. Der Mac-Konzern kann fast jede Woche einen neuen Rekord melden: 15 Milliarden Dollar flüssige Mittel hat Apple angehäuft, das iPhone schlägt schon ein paar Monate nach Verkaufsstart beim Anteil an Webaufrufen alle anderen Handy-Browser – samt Windows-Smartphones – und der Anteil der Mac-Rechner am Computermarkt war noch nie so groß wie heute. Und er soll weiter steigen. Bis Heiligabend dürfte Apple mehr Computer verkauft haben als je zuvor in einem Weihnachtsquartal.

Apple ist zum Massenprodukt geworden. Und plötzlich hat jeder was zu meckern: Technik-Blogger, Computerpresse, Sicherheitsfirmen, Programmierer und natürlich enttäuschte iPhone-Käufer.

Das ist der Nachteil des Hypes: Wer Erfolg hat, muss mehr einstecken. Nur kommt bei Apple hinzu, dass die Marke (jahrelanger Slogan: "Think different") sich einfach nicht so richtig mit Massenzuspruch verträgt. Der IT-Kolumnist Mike Elgan beschreibt das so: "Durchschnitts-Anwender, Firmenkunden, Cyber-Kriminelle und Anwälte wollen Anteil an Apples Erfolg haben." Jahre lang hätten die treuen Fans mehr Zuspruch für Apple herbeigewünscht. Jetzt, so Elgan, "wird der Traum wahr und er sieht mehr und mehr aus wie ein Alptraum".

Schlechte Stimmung – SPIEGEL ONLINE dokumentiert Apples Probleme mit dem Massenerfolg

999-Euro-iPhone-Käufer murren

999 Euro für ein Handy, das ist ein stolzer Preis. Doch genau so viel verlangte T-Mobile für die vertragsfreien iPhones, die sie aufgrund einer Einstweiligen Verfügung zwischen dem 21. November und 4. Dezember verkaufen musste. Man sollte meinen, dass man für so viel Geld auch ein funktionierendes Produkt bekäme. Teilweise war das auch so. Zumindest bei SPIEGEL-ONLINE-Leser Richard Schreck aus Hösbach. Bei ihm funktionierte alles problemlos. Nach seiner Ansicht sind "dieses Ding und der Service der Telekom erstklassig bis wunderbar".

Diesen Eindruck können etliche andere Leser freilich nicht bestätigen. Sie berichten, von Apples und T-Mobiles Support-Mitarbeitern schlecht beraten und von einer Hotline zur nächsten geschickt worden zu sein. Besonders schlimm war es kurz nach Beginn des FreiPhone-Verkaufs. So wurde etwa der TV-Regisseur Marco Serafini beim Versuch, sein gerade gekauftes iPhone freischalten zu lassen, stundenlang in die Warteschleifen geschickt. Geholfen hat es nichts, das Gerät funktioniert bis heute nicht.

Tobias Gärtner, der sein 999-Euro-iPhone mit einem O2-Vertrag nutzen will, wurde von Apples Support gleich ganz abgewimmelt: "Das ist nicht unser Problem – reden Sie mit T-Mobile oder O2", wurde ihm gesagt. Schließlich vertreibe Apple das iPhone in Deutschland ja gar nicht. Diese Ansicht vertritt auch Apple-Pressesprecher Georg Albrecht, der ebenfalls auf T-Mobile verweist.

Und tatsächlich sieht T-Mobile-Sprecher von Schmettow sein Unternehmen in der Pflicht: "Die Betreuung im Gewährleistungsfall erfolgt selbstverständlich im Telekom Shop. Dort wurde das Gerät ja auch gekauft." Allerdings schränkt der Pressesprecher ein, könne T-Mobile keine Hilfe leisten, wenn es beispielsweise Probleme mit den Einstellungen anderer Netzbetreiber gibt. Auch müsse unterschieden werden, ob die Probleme auf das Netz oder auf das Endgerät zurückzuführen sind. Probleme mit fremden SIM-Karten etwa seien ein Firmware-Problem. "Hier kann nur der Endgerätehersteller helfen", sagt von Schmettow – und meint damit Apple.

Die SIM-Frage

Dass es tatsächlich mit etlichen SIM-Karten zu Problemen im Zusammenspiel mit dem iPhone kommen kann, zeigen nicht nur verschiedene Diskussionsforen, in denen Anwender von gescheiterten Versuchen berichten, freigeschaltete iPhones im Ausland zu nutzen. Wie SPIEGEL-ONLINE-Leser Horst Beck beklagen viele Anwender, dass bei ihren 999-Euro-iPhones die Netzwerkeinstellungen nicht zugänglich seien. So sei es unmöglich, das Handy auf das Netz eines anderen Anbieters einzuschwören. Häufige Konsequenz: Webbrowser und E-Mail-Funktion liegen brach. Andere Leser berichten, ihr FreiPhone könne keine SMS-Nachrichten versenden oder empfangen. Manchmal werde anstelle des Providernamens beispielsweise ein "@"-Zeichen in der linken oberen Displayecke angezeigt.

Bei T-Mobile kann man diese Probleme nicht nachvollziehen. Auf per Sim-Lock gesperrten und korrekt freigeschalteten iPhones seien derartige Effekte nicht reproduzierbar, sagt T-Mobile-Sprecher von Schmettow SPIEGEL ONLINE. Er vermutet, dass in solchen Fällen "womöglich die Entsperrung nicht korrekt durchgeführt wurde beziehungsweise die SIM-Karte nicht unterstüzt wird".

Das Problem ist nicht neu. Denn jene SIM-Karten, die den Handytelefonierer dem Mobilnetz gegenüber ausweisen, haben seit ihrer Einführung etliche Entwicklungsstufen durchgemacht. Probleme beim Einsatz älterer SIMs sind nicht selten, oft jedoch herstellerspezifisch. Diese Einsicht scheint sich jedoch noch nicht herumgesprochen zu haben. So antwortete ein Mitarbeiter der O2-Hotline auf die Frage von Tobias Gärtner, ob die Probleme mit dem iPhone mit der SIM-Karte zusammenhängen können, selbstsicher: "Nein, die funktioniert ja auch in jedem anderen Handy."

Eine schöne Antwort, aber leider eine falsche. Ein kurzer SPIEGEL-ONLINE-Test zeigte, dass eine rund 15 Jahre alte SIM sowohl in einem Palm Treo als auch in einem iPhone für Probleme sorgte, zum Beispiel Funktionen wie den SMS-Versand sperrte. Dieselbe Karte eingesetzt in Handys von Nokia und Sony Ericsson funktionierte jedoch problemlos. Unser Tipp: Lassen Sie sich von Ihrem Mobilfunkanbieter eine neue SIM-Karte zuschicken. Meist verlangen die Anbieter dafür allerdings eine Gebühr in Höhe von 10 bis 20 Euro.

Umtausch unmöglich?

Wer schließlich, genervt von Problemen mit Freischaltung und Netzbetrieb eines vertragsfreien iPhones beschließt, das Gerät zurückzugeben, muss offenbar damit rechnen, barsch abgewiesen zu werden. So wie Jürg Oleas aus der Schweiz. Ihm wurde beim Kauf zugesichert, das freigeschaltete Gerät würde auch im Netz der Swisscom funktionieren. Als es das nicht tat, was möglicherweise an einer alten SIM-Karte lag, versuchte er, das Gerät zurückzugeben. Doch diesen Dienst verweigerte man ihm mit der Begründung, es sei den Mitarbeitern "absolut verboten worden, solche entsperrten Geräte zurückzunehmen".

Leopard-Käufer nennen System schlampig

Weil das iPhone so viel Entwicklungsarbeit gebunden hat, hat Apple den Starttermin seiner neuen Betriebssystem-Version Leopard schon um ein halbes Jahr verschieben müssen. Doch die Zeit scheint nicht gereicht zu haben, um ein paar ärgerliche Fehler zu beseitigen. Nach Erscheinen des Systems werfen prominente IT-Blogger Apple Schlamperei vor.

Podcasting-Miterfinder Dave Winer schreibt: "Ich habe Leopard eine Chance gegeben, aber es ist offensichtlich, dass das keine gute Version ist." Zwei Jahre nachdem er begeistert vom PC zum Mac zurückgewechselt ist, schimpft Winer nun wegen des Leopard-Updates über Abstürze, unbrauchbare Festplatten und eine verwirrende Firewall. Sein Fazit: "Ich weiß nicht, ob die ersten Versionen eines Betriebssystems immer so schlampig sind wie dieses. Aber hätte ich das gewusst, hätte ich meine Macs nicht aktualisiert."

In der Tat gab Apple zu, dass Probleme bei der Aktualisierung auftreten können – für die häufigsten wie den "Blauen Schirm" nach der Neuinstallation veröffentlichte der Konzern auch ausführliche Lösungshilfen.

Kritik an Leopard kam auch von Sicherheitsexperten. Das Fachmagazin "heise Security" dokumentierte detailliert ein Sicherheitsproblem der ersten Leopard-Versionen: Dank deaktivierter Firewall waren die Rechner gegenüber Netzschnüffler völlig ungeschützt. "heise Security"-Chefredakter Jürgen Schmidt sagte damals zu SPIEGEL ONLINE: "Apple ist mit dieser Firewall auf dem Sicherheitsniveau, das Microsoft vor drei Jahren hatte."

Mit einem Update hat Apple hier nachgebessert – doch das ist manchem Apple-Kunden zu wenig. Erfolgreichen Firmen lässt man Fehler nicht so leicht durchgehen. Und Apple wird an den selbst gesteckten Maßstäben seiner Werbeversprechen gemessen: Apple-Produkte funktionieren einfach. Blog-Star Robert Scoble hält Apple solch einen Werbespot vor, und fragt, warum er dann seine Videokamera nicht einfach anschließen könne.

Sicherheits-Experten warnen vor Virenflut

Je mehr Mac-Rechner im Einsatz sind, desto interessanter wird das System für Computer-Gauner, die Viren und Trojaner entwickeln. Apple-Nutzer habe bislang der "Minderheitenstatus des Systems" geschützt, warnte "heise Security"-Chefredakteur Jürgen Schmidt, als er die Sicherheitsprobleme des Leopard-Systems beschrieb. Nun verkauft Apple mehr Macs als je zuvor – und prompt meldete Antiviren-Hersteller Sophos vor einigen Wochen den ersten Mac-Trojaner.

Nun warnt das US-Sicherheitsunternehmen Arbor Networks, dass im kommenden Jahr Apples iPhone zum Angriffsziel von Schadsoftware werden könnte. 2008 werde das iPhone "Opfer eines größeren Angriffs werden", wahrscheinlich sogenannter "Drive-by-Angriffe". Darunter versteht man die Beeinflussung eines Rechners oder sogar die Infizierung eines Computers durch den bloßen Besuch einer verseuchten Webseite.

Dass so etwas beim iPhone-Browser möglich ist, beweist die wohl beliebteste Methode, um Apples iPhone von der künstlichen Beschränkung der Software zu befreien: Sogenannte Jailbreaks ermöglichen es Besitzern, auf ihrem Apple-Handy Programme von Drittanbietern zu installieren. Inzwischen kann man das Apple-Handy sogar entsperren, indem man eine Jailbreak-Webseite aufruft – ähnlich einfach könnten auch bösartige Attacken funktionieren.

Bereits im Juli hatten Programmierer der US-Sicherheitsfirma Independent Security Evaluators (ISE) behauptet, zwei Sicherheitslücken der iPhone-Software für Attacken ausgenutzt zu haben. Nach einer Demonstration, berichtete ein Reporter der "New York Times", der Aufruf einer bestimmten Website hätte genügt, um ISE einen Fernzugriff auf das betroffene iPhone zu ermöglichen.

Firmen triezen Apple mit Patentklagen

Wenn ein US-Unternehmen Erfolg hat, werden Anwälte aufmerksam: Bislang hat Microsoft immer mit Sammel- und Patentklagen zu kämpfen. Jetzt ist Apple dran: Kunden ziehen wegen der nur gegen Service-Gebühr auswechselbaren Batterie und des plötzlichen iPhone-Rabatts vor Gericht.

Aber auch Unternehmen versuchen es: US-IT-Riese Cisco hatte Apple schon wegen der iPhone-Namensrechte verklagt – sich aber später geeinigt. Nun versucht es die bislang unbekannte US-Firma Klausner Technologies: Angeblich verletzt Apple Klausners Patente mit seiner Mailbox-Abfrage.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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