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Magenjournalismus in den Zeiten von Big Brother (taz, 21.12.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Magenjournalismus in den Zeiten von Big Brother

taz, 21.12.2000

Gott hat den Magen mit einer Wand versehen. Drei Millimeter ist sie dick und dann kommen noch eine Menge Muskeln oder Fett. Aus gutem Grund. Es wäre ums Geheimnis des Lebens geschehen, könnte man sehen, wie drei Liter Fassungsvermögen mit Magensaft durchmischt und als Speisebrei in den Darm gedrückt werden. Ein Haufen Schleim mit Bröckchen als Wunder? Aber die Magenwand bewahrt das Mysterium. Nur hat Gott nicht an den Voyeurismus der Mediengesellschaft gedacht.

Vor dem gilt es den Magen zu retten. Ja, die „Dignität des Magens“ zu wahren. So formulierte Ex-FAZ-Herausgeber Fack jüngst in seiner Laudatio zur Verleihung des „Ludwig- Dehmling- Medienpreises“ das hehre Ziel der Verleihenden. Die heißt „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Krankheiten von Magen, Darm, Leber und Stoffwechsel sowie von Störungen der Ernährung“.

Die Gesellschaft, vertreten durch zwei Dutzend älterer Herren in neuere schwarzen Anzügen bekämpfte bei der Verleihung erst einmal den eigenen Ernährungsmangel mit Prosecco und durchmischten Häppchen. Dann schritt man zur Verteidigung der Dignität von Darm und Leber vertreten durch den Kollegen Magen.

Dem ist ein Umfeld von TV-Magazinen, in denen auch ein bekannter Schauspieler Leonardo auftaucht einfach nicht angemessen. Sagte FAZ-Fack. Wohlwollendes Raunen allenthalben. Gerade im heutigen Fernsehprogramm müsse Magenberichterstattung geschützt werden vor „Effekthascherei“. Man sieht die Journalistenmeute den Magen umlagern, wie einst Diana. Oh Magen! Oh Darm! Gierig nach geilen Bildern vom Magensaft stecken sie ihre Linsen in deine verbotene Regionen!

Nie darf es Big Brother im Magen geben. Denn ein Magen ist nicht zum Anschauen da, sondern zum Verdauen. „Bloß keine Schwarzwaldklinik! Bloß keine Schwarzwaldklinik!“, ruft FAZ-Fack. Dann ein Magen macht keinen Spaß! Höchstens Geräusche oder Schmerzen. Wo aber in „unserem heutigen Fernsehprogramm“ findet sich noch die für den Darmjournalismus nötige Seriosität?

Im bekannten N3 Gesundheits- Magazin „Visite“. Das bekam dann auch den Preis für die Sendung „Ärger mit dem Magen“. Ein Beispiel könnte es sein für die heutige Fernsehwelt. FAZ-Fack war ganz aus dem Häuschen über eine Redaktionsleiterin, die ihr Programm als „informativ, sachlich, aktuell“ beschreibt. So aktuell ein Magen eben ist. Den bekommt man in seiner ganzen Aktualität uneffekthascherisch nicht zu sehen, was schon 10000 Mark Preisgeld wert ist. Stattdessen Herren, die was über den Magen erzählen. Und sich danach im Fernsehen anschauen. Oder halt Preise verleihen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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