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Maschinenmusik: So krass röhrt die CNC-Fräse (Spiegel Online, 20.4.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Maschinenmusik

So krass röhrt die CNC-Fräse

Ausrangierte Nadeldrucker, staubige Flachbett-Scanner und uralte Fräsmaschinen: Solcher Technikschrott blubbert, kreischt und dudelt aufs schönste – als Orchester. Hacker mischen die Klangkulissen antiquierter Hardware zu Maschinenmusik. SPIEGEL ONLINE zeigt die besten Konzert-Videos.

Spiegel Online, 23.4.2009

James Houston suchte eigentlich bloß ein gutes Thema für die Abschlussarbeit seines Designstudiums an der Kunsthochschule Glasgow. Im vorigen Sommer fand er nicht nur das, sondern begründete gleich auch ein neues merkwürdig-interessantes Webvideo-Genre: Alte, laute Maschinen lärmen Coverversionen bekannter Musikstücke.

Houston kam die Idee, als er im Radio Radiohead-Sänger Thom Yorke über einen Wettbewerb reden hörte, den die Band ausgeschrieben hatte. Die Leute sollten Remixe des Songs “Nude” einschicken, die besten sollten veröffentlicht werden. Die Aufgabe, aus dem bereitgestellten Material etwas zu basteln, war “verdammt schwierig”, schreibt Houston zu seinem Video. Dann hörte er Radiohead-Sänger Yorke erzählen, man habe das mit Absicht so vertrackt gestaltet, um zu sehen, wie die Hobbymusiker auf so eine Herausforderung reagieren.

Designer Houston reagierte so: Er nahm einen Haufen ausrangierter Computer-Hardware und wies jedem Stück IT-Schrott einen der Parts zu:

 

  • den Gitarren-Part übernimmt ein Exemplar der britischen Heimcomputer-Legende Sinclair ZX Spectrum
  • als Schlagzeug druckt und röhrt ein alter Epson LX-81 Nadeldrucker
  • den Bass-Part spielt ein HP-Scanner (Scanjet 3c) mit dem Zirpen seines Schlittens und der Schrittmotoren

Diese Klangkulisse, kombiniert mit einer Reihe ratternder Festplatten, mischte Houston zu einem Radiohead-Remix, den er so charakterisiert: “Eine Sammlung alter Geräte versucht ihr Möglichstes, um etwas zu schaffen, wofür die Geräte gar nicht konstruiert wurden, und schafft es nicht.”

Kurz gesagt: “Es klingt nicht gut, aber es soll auch nicht gut klingen.”



Big Ideas (don’t get any) from James Houston on Vimeo.

Eine gute Abschlussarbeit ist aus dem Maschinen-Orchester geworden, den Einsendetermin für die Radiohead-Remix-Bewerbung verpasste Houston allerdings knapp. Er schaffte es aber mit seinem Maschinenkonzert sogar in von Millionen Nerds gelesene US-Technikblogs wie Engadget – mehr als man mit den meisten Abschlussarbeiten schafft.

Inzwischen tauchen im Web von Houstons Hardware-Orchester inspirierte Filmchen musizierender Maschinen auf. Der Student hat ein Webvideo-Genre begründet.

Drucker, Disketten, Scanner – SPIEGEL ONLINE zeigt musizierende Computer-Hardware.

Die Atari-Band aus Toronto

Hardware-Hacker James Cochrane aus Toronto bastelte schon im vorigen Sommer, inspiriert von Houstons Video, seine eigene Hardware-Band. Mitglieder: Ein Commodore 64, Texas-Instruments-Heimrechner (Ti-99/4A) ein Analog-Modem und ein Nadeldrucker. Cochrane schwört in dem Kommentar zu seinem ersten Video: “Ich habe keine Effekte und kein Synthesizer-Material genutzt, der Sound wurde komplett aufgenommen, ein Teil des Ausgangsmaterials wurde beim Mischen verstärkt, da es im Vergleich zu leise war, konkret: der Drucker und das Modem.”

Ohne Zugriff auf die Hardware kann man das bei Cochranes Clips ebenso wenig nachprüfen wie bei allen anderen vorgestellten Aufnahmen. Dass die Autoren mit ihren tatsächlichen Namen auftreten, macht die Beteuerung allerdings glaubwürdiger.

Bei diesem ersten Maschinenmusik-Clip schrieb Cochrane noch ausdrücklich dazu: “Das ist meine Videoantwort auf James Houstons Remix von Radioheads ‘Nude'”. In seinem aktuellen Clip, der derzeit die Runde im Web macht, fehlt dieser Hinweis allerdings.

Einige Blogs erwähnen nicht, dass die Ursprungsidee von Houstons Radiohead-Remix geborgt ist, was der Designer in seinem Blog verärgert kommentiert: “Ich bin froh, so etwas angestoßen zu haben. Aber ein wenig Aufmerksamkeit wäre nicht schlecht.”

CNC-Fräse röhrt den Super-Mario-Sound

US-Bastler Tim Gispon aus dem Städtchen Medford bei Boston lässt seine CNC-Fräse auf YouTube Musik spielen. Er hat eine Software geschrieben, mit der man Midi-Klangdateien in Steuerbefehle für die CNC-Fräse umrechnen kann, Programm und Dokumentation kann man auf Gispsons Web-Seite herunterladen.

Und so klingt sie, die CNC-Fräse (hier beim Versuch, die Super-Mario-Melodie zu spielen).

Musik mit der Laser-Fräse

Im Februar machten die Hobby-Hacker der kanadischen Gruppe Hacklab aus Toronto ein Schnäppchen: Für 500 US-Dollar erstanden sie über den Gratis-Kleinanzeigenmarkt Craiglist eine lädierte Laser-Fräse von Universal Laser Systems – neu kostet die ULS-25P laut Hacklabs 20.000 Dollar.

Zwei Wochen später hatten die Hardware-Hacker das Gerät repariert, vor ein paar Tagen zeigte Informatik-Student Leigh Honeywell dann im Web, was man mit so einer Laser-Fräse und passender Steuerungssoftware auch machen kann: Musik.


lazzor music! from hypatia on Vimeo.

Diskettenlaufwerk sägt den “Star Wars”-Sound

Bevor Designer Houston auf die Idee kam, alte Hardware als Orchester spielen zu lassen, haben Hardware-Hacker schon lange mit einzelnen Geräten herumgespielt, die Melodien brummten, kreischten oder piepsten. In den Achtzigern und auch Anfang der Neunziger war die Hardware laut genug dafür. Vor allem aber hatten viele Geräte einen ganz eigenen Sound, der tatsächlich an mechanische Maschinen erinnerte, weil schließlich auch noch mehr Mechanik im Spiel war: Nadeldrucker kreischten, Diskettenlaufwerke klackerten und brummten, Flachbett-Scanner jaulten.

Den zu Melodien geronnenen Sound dieser Uralt-Hardware dokumentieren heute noch viele Clips im Web. Dieser kursiert seit Jahren im Netz: Ein altes Floppy-Laufwerk sägt beim Lesen einer 3,5-Zoll-Diskette die Imperiums-Melodie aus den “Star Wars”-Filmen. Das klingt großartig – doch ob diese Aufnahme authentisch ist, kann man mit weit weniger Gewissheit sagen als bei Houstons Orchester – der Urheber ist nicht aufzufinden. Aber eins steht fest: so klangen Diskettenlaufwerke tatsächlich:

HP erklärt Scanner-Konzerte

In Flachbettscanner treiben Schrittmotoren den Schlitten an und machen dabei sehr eigentümliche Geräusche. Hardware-Hersteller HP hatte einige klanglich besonders interessante Geräte im Angebot: Die Steuerungssoftware SCL (Scanner Control Language) für die Modell ScanJet 3c und 4c verstand einige undokumentierte Befehle zum Beeinflussen der Motorengeräusche.

Wie man diese Steuerungssoftware nutzen kann, um die HP-Scanner Noten spielen zu lassen, erklärte HP im Februar 1997 selbst in einem Artikel im “HP Journal” (PDF-Dokuemnt). Und so klang ein HP-Scanner.




Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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