Zum Inhalt springen

Maus-Ersatz: Erfinder steuert Computer per Fingerzeig (Spiegel Online, 9.1.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Maus-Ersatz

Erfinder steuert Computer per Fingerzeig

Der Ingenieur Bruce Howard hat in seinem Bastelkeller eine Art Wii-Maus entwickelt: Mit seinem Wunder-Armband kann man per Handbewegung Computer steuern, in der Luft Tasten antippen und mit dem Daumen am PC flippern. Jetzt sucht der Bastler dringend Investoren.

Spiegel Online, 9.1.2008

{jumi [/images/jumisk/sharethis.php]}

Bruce Howard ist wieder einmal zu früh dran: Der Ingenieur sitzt in weißem Hemd und schwarzer Anzugshose in seiner Hotelsuite im Hilton neben dem Messegelände der CES, fertig geschminkt, die Haare glatt zur Seite gekämmt. Er wartet darauf, dass er dem Kamerateam vom US-Sender CNBC endlich seine Erfindung vorführen kann.

{jumi [/images/jumisk/google420.php]}

Der untersetzte Mittfünfziger nestelt an dem silberfarbenen Handy in seinem Gürtel, sucht seine Brille, findet sie in der Brusttasche des Hemdes, zieht sie heraus, steckt sie ein, setzt sich an das Laptop vor dem riesigen Fernsehschirm, streift ein schwarzes Armband um und startet ein Flipper-Spiel.

Dafür berührt er den Laptop nicht. Howard dreht seinen rechten Daumen ein wenig, der Mauszeiger bewegt sich, dann winkt er ganz leicht mit seinen Fingern und der Mauszeiger klickt das Programmsymbol an. Ein wenig erinnern Howards Bewegungen an den Science-Fiction-Film "Minority Report", in dem Tom Cruise mit seinen Händen durch virtuelle Karten und Akten blättert.

Das ist Howards Erfindung: der Lightglove, zu Deutsch der Lichthandschuh. Wie ein Wii-Controller registriert das Armbanduhr-große Steuergerät, wie, wohin und wie schnell man seine Hand bewegt. Aber anders als ein Wii-Controller registriert der Lightglove auch Bewegungen der einzelnen Finger. Howard demonstriert das beim Flipper-Spiel: Mit dem kleinen Finger schießt er den Ball ins Spiel, mit dem Daumen lässt er den linken Flipperhebel rattern, mit dem Zeigefinger den rechten.

Howard starrt auf den Monitor, lächelt abwesend unter seinem grauen Oberlippenbart, steht auf, beugt sich vor und flippert, während das Kamerateam hinter ihm die Scheinwerfer aufbaut.

Fernsehprogramme durchwinken

Wofür der Lichthandschuh gut ist? Howard dreht sich vom Computer weg, schaut ins Leere und erzählt: Man könnte damit Spiele steuern, mit einer Hand schießen, mit der anderen die Laufrichtung anzeigen und die Geschwindigkeit steuern. Man könnte einen Avatar durch "Second Life" navigieren, anderen Avataren die Hand schütteln, Volleyball spielen, in der Luft tippen, den Fernseher per Fingerzeig bedienen, Computer steuern.

Solche neuen, intuitiv verständlichen Steuerungsmöglichkeiten haben Microsoft-Gründer Bill Gates und Intel-Boss Paul Otellini in ihren CES-Reden die nächste große Herausforderung der Technikbranche genannt – Ingenieur Howard arbeitet sich seit Jahren daran ab.

Die Maus ersetzen – mit diesem Ziel hat Howard vor zehn Jahren begonnen, in seinem Keller im Dorf Catharpin im Nordosten der Vereinigten Staaten am Lightglove zu basteln. Seine Mutter hatte jahrelang für eine US-Regierungsbehörde an Apple-Computern Computergrafiken zusammengeklickt. Bis sie ihre Hand nicht mehr richtig bewegen konnte – Karpaltunnelsyndrom, eine Einengung des Handnervs. Howard: "Ich wollte ein Steuergerät entwickeln, das man nicht stundenlang umklammern muss, ohne seine Hand in eine andere Haltung bewegen zu können."

Sechs Jahre Lobbyarbeit

Der Erfinder krempelt die Ärmel seines weißen Hemdes höher, sagt in den Raum: "Ich muss hier eben Anzüge tragen." Er wirkt, als würde er sich in seinem Bastelkeller wohler fühlen. Dort hat der Elektroingenieur die ersten Prototypen seines Lichthandschuhs entwickelt: Die Fingerbewegungen registriert das Steuerinstrument, wenn das von Leuchtdioden abstrahlende Licht unterbrochen wird, dazu kommen Bewegungs- und Beschleunigungssensoren.

Die ersten Prototypen funktionierten (siehe Video unten), Howard meldete Patente an. Als ihm vor sechs Jahren die ersten zugesprochen wurden, sah der Elektroingenieur seine Chance, endlich etwas anderes machen zu können, als Abschirmungen für Elektrogeräte zu entwickeln. Er schaut auf sein Steuerarmband und murmelt: "Das war keine sehr kreative Arbeit."

{youtube}8g_1B4LISV4{/youtube}

Seit sechs Jahren versucht der Erfinder nun, Software- und Elektronikkonzerne für seine patentierte Idee zu begeistern. Als Mausersatz funktioniert das Gerät schon problemlos mit einem von Howard selbst programmierten Treiber. Aber um damit Spiele, virtuelle Musikinstrumente oder Zeichenprogramme intuitiv steuern zu können, müssen die Softwarefirmen das Gerät unterstützen. Der Programmieraufwand dürfte aber erst interessant werden, wenn sicher gestellt ist, dass eine kritische Menge an Lightgloves im Einsatz ist. Dafür braucht Howard wiederum einen Hardware-Hersteller, der die Geräte produziert. Nur: Warum sollte ein Elektronikkonzern das tun, wenn es noch kaum Software für das Gerät gibt?

Eine funktionierende Idee reicht nicht

Das Problem des Erfinders Howard ist nicht die Technik: Der Lightglove funktioniert, ist nach ein paar Minuten Eingewöhnung intuitiv zu bedienen. Das Gerät ist viel leichter als eine Armbanduhr. Eine reizvolle Idee, wenn man es zu Hause trägt und damit bedient, was immer in der Nähe ist: Fernseher, Stereoanlage, Spielkonsole, Licht. Nur wird aus einer guten Idee und einem ordentlich funktionierenden Prototypen nicht einfach so ein Produkt.

Das hat Howard in den vergangenen sechs Jahren lernen müssen. Dreimal hat er in Las Vegas Firmen seinen Prototypen vorgeführt. Die Messe-Auszeichnungen stehen in der Hotelsuite: eine schwarze A4-große Plakette auf dem Kühlschrank (Best of Innovations 2008), ein Aufsteller aus Plexiglas auf dem Schreibtisch (Best of Innovations 2004).

Howard hat sein Steuerarmband auf Konferenzen in Zürich und Stanford vorgeführt. Nur der große Deal steht noch aus. Ein paar Risikokapitalgeber und Freunde haben die Entwicklung bis jetzt finanziert. Während Howard das erzählt, wird es immer heißer in der Hotelsuite. Das Kamerateam hat zwei Scheinwerfer aufgebaut, testet das Licht. Howard wäscht sich im Bad die Hände mit kaltem Wasser, schaut in den Spiegel und seufzt: "Ich war einfach zu früh dran."

Kaum jemand habe sich vor sieben, acht Jahren vorstellen können, wozu das Steuerarmband gut ist. Howard: "Als dann ‘Minority Report’ ins Kino kam, waren die Leute etwas offener. Und seit Nintendos Wii erschienen ist, wächst das Interesse für neue Eingabegeräte." Deshalb steht das CNBC-Fernsehteam in der Hotelsuite des Erfinders: Er wird für eine Serie über Erfinder porträtiert.

Howard ist ungeduldig. Er schaut aus dem Bad zu den Kameraleuten hinaus. Sie testen noch das Licht. Howard fährt sich durch die Haare, erzählt: "Ich habe jetzt wieder ein gutes Gefühl. Nach dem Erfolg von Wii und iPhone sind Firmen offener."

Offen bedeutet: Howard soll für Interessenten Prototypen bauen, damit die Entwickler in den Firmen damit experimentieren können. 100 Lightgloves wird der Ingenieur in den nächsten drei Monaten zusammenbasteln. In seinem Keller, von Hand.

Und er wird weiter hoffen.

{jumi [/images/jumisk/google720.php]} 

Artikel

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert