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Medienbranche im Umbruch: Wem das iPad wirklich nutzt (Spiegel Online, 6.4.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Medienbranche im Umbruch

Wem das iPad wirklich nutzt

Kindle-Killer, Zeitungsretter, Magazinkiosk – das iPad weckt große Erwartungen. Doch die erste Download-Bilanz ist ernüchternd: Kunden zahlen für Spiele, Büro-Software und aufwendige Multimedia-Präsentationen. Digitalpresse interessiert die Nutzer dagegen bislang wenig.

Spiegel Online, 6.4.2010

Da ist Apples neues Technikspielzeug gerade mal ein paar Tage im US-Handel – und schon berichtet die “Tagesschau”, spendieren die US-Nachrichtenmagazine “Newsweek” und “Time” Titelgeschichten, überbieten sich viele Medien in Elogen. Das könnte daran liegen, dass die Medienbranche einen Heilsbringer herbeisehnt, der per Hardware die alten Vertriebsmodelle (Abo, Kioskverkauf) digitalisiert.

Das soll das iPad leisten, hört man seit Monaten. Schließlich hat Apple seine Kunden überzeugen können, für digitale Musik, Mini-Anwendungen und Filme zu bezahlen. Apple hat heute mehr als 100 Millionen Kundenkonten mit aktuellen Kreditkartendaten, die Nutzer können mit einem Klick für alles Erdenkliche bezahlen.

Warum also nicht auch für Journalismus? Und für Bücher? Und für Filme? Und für Comics?

Ein Wochenende lang haben die ersten 300.000 iPad-Besitzer in den Vereinigten Staaten nun Geld ausgegeben. Das Ergebnis: Die Rangfolge der umsatzstärksten iPad-Anwendungen ist für die Medienbranche erst einmal ernüchternd. Unter den 20 einträglichsten Anwendungen war am Montagmorgen kein Medienangebot. Die Menschen bezahlten am meisten für:

  • Büro-Software (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Zeichenprogramme, To-Do-Listen)
  • Spiele (Scrabble, Autorennen, Strategie)
  • Multimedia-Anwendungen (interaktives Periodensystem, Sternenkarte, Baseball-Live-Übertragung)

iPad-Anwendungen ähneln zu sehr Web-Seiten

Natürlich kann man aus diesen ersten Umsatzzahlen keine Prognosen für den mittelfristigen Erfolg journalistischer iPad-Bezahlangebote ableiten. Aber es ist schon ein Dämpfer für die Heilserwartungen, dass Kunden, die ihre neue Wunderflunder ausprobieren wollen, nicht gleich an die Anwendungen renommierter Marken wie “New York Times” und “USA Today” denken.

Das könnte auch daran liegen, dass die Vorzeigeanwendungen dieser Print-Marken fürs iPad wenig Neues bieten. Sie ähneln den Web-Seiten zu sehr. Das “Wall Street Journal” bietet iPad-Nutzern gegen Bezahlung dieselben Inhalte wie im Web. Die Artikel laufen über mehrere Bildschirmseiten, weil in jeder Ansicht die komplette Navigation gezeigt wird. Ab und an kann man kleine Videoeinblendungen zum Text aufrufen.

Die Startseite der iPad-Anwendung sagt alles über die derzeitige iPad-Philosophie des “Wall Street Journal” aus: Man sieht Symbole der nach Tagen sortierten Zeitungsausgaben, die man aufrufen kann, um dann die Beiträge des Tages durchzublättern. Es ging hier nicht darum, eine neue Darstellungsform für journalistische Produkte zu entwickeln. Das “Wall Street Journal” verkauft weiter Zeitungsausgaben – nun eben fürs iPad.

Ein krasser Gegensatz dazu ist die Anwendung der US-Baseball-Liga MLB (derzeit die Nummer acht nach Umsatz im iPad-App-Store): Text- und Videoangebote gehen ineinander über und verschmelzen mit interaktiven Grafiken zu einem neuartigen Informationsangebot. Man kann Statistiken zu einzelnen Spielern aufrufen, vergleichen und in einer Fülle von interessant aufbereiteten Daten und Videos stöbern.

Medienangebote so dröge wie E-Mail-Newsletter

Im Vergleich zu solchen Anwendungen sehen die ersten iPad-Versuche von “New York Times” und “Wall Street Journal” wie E-Mail-Newsletter aus. Sie fallen in einigen Punkten sogar hinter die eigenen Web-Angebote zurück: Textpassagen zum Zitieren lassen sich zum Beispiel in den iPad-Anwendungen von “Wall Street Journal” und “New York Times” nicht kopieren.

Für dieses Angebot verlangt das “Wall Street Journal” tatsächlich höhere Abo-Gebühren (17,99 US-Dollar im Monat) als für das kostenpflichtige Web-Angebot (Standardpreis 12,50 US-Dollar monatlich). Die “New York Times” bietet iPad-Nutzern ausgewählte Artikel derzeit noch kostenlos an, ein Abomodell soll folgen. Das US-Wochenmagazin “Time” verlangt für jede iPad-Ausgabe 4,99 US-Dollar, ebenso “Popular Science” für seine sehr aufwendig gestaltete iPad-Ausgabe des Monatstitels.

In einigen Monaten dürfte das Angebot an journalistischen iPad-Angeboten aber erheblich größer und wohl auch besser sein: Nur wenige ausgewählte Medienunternehmen hatten eine lange Entwicklungszeit für ihre iPad-Anwendungen, weil sie eng mit Apple zusammengearbeitet haben. Die Anwendung der “New York Times” war zum Beispiel schon Ende Januar Teil der iPad-Präsentation von Apple-Boss Steve Jobs. Für Verlage, die nicht zu diesem von Apple auserwählten Anbieterkreis gehören, war die Entwicklungszeit kürzer.

Aber auch wenn das Angebot noch wachsen wird, ändert das nichts am Problem der Verlage. Wenn man das iPad nun als digitalen Medienkiosk sehen will, stimmt das Bild nur, wenn man ihn sich so vorstellt: Da liegen die 18-Dollar-Abo-Angebote des “Wall Street Journal” herum, und gleich nebenan kann man kostenlos beliebige Web-Angebote aufrufen oder es sich auf einem Sofa bequemmachen und gratis die neuesten Folgen von Serien wie “Lost” oder “Grey’s Anatomy” gucken, in Comics stöbern oder Bücher kaufen.

Die Wunderflunder nutzt Anbietern, die ihre Möglichkeiten ausreizen

Die Konkurrenz allein schon um die Aufmerksamkeit der Nutzer ist enorm:

  • Der US-Sender ABC bietet in seiner iPad-Anwendung werbefinanzierte HD-Streams seiner Serien und Nachrichten (Platz eins der Gratis-iPad-Anwendungen),
  • Abonnenten des Filmverleihers Netflix können auf dem iPad kostenlos Filme und Serien sehen (derzeit Nummer zwei der Gratis-iPad-Anwendungen),
  • Marvel verkauft wunderschön aufbereitete Digitalausgaben von Comicbänden für zwei US-Dollar je Band (und damit deutlich billiger als die gedruckten Hefte).
  • Amazon bietet eine kostenlose iPad-Anwendung seiner Kindle-Lese-Software: Alle beim US-Anbieter gekauften Kindle-Digitalbücher kann man auch auf dem iPad lesen. Ein enormer Vorteil gegenüber Apples iPad-Digitalbuchangebot: Man ist bei Amazon nicht auf ein einziges Endgerät festgelegt. Kindle-Digitalbücher lassen sich an jedem PC, Mac, Kindle-Lesegerät, iPhone, Blackberry und iPad mit der Amazon-Software lesen. Ruft man eines der Bücher auf, landet man an der Stelle, die man auf einem anderen Gerät zuletzt gelesen hat.

Die ersten Angebote und Umsatzzahlen des iPad-Software-Angebots zeigen: Die Wunderflunder nutzt Anbietern, die ihre Möglichkeiten ausreizen. Videos, Fotos, interaktive Grafiken, automatische Synchronisation mit anderen Endgeräten und Daten in der Wolke – was man aus diesen Möglichkeiten machen kann, demonstrieren im Moment einige Anbieter. Ein Verlag ist noch nicht darunter.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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