Medienkrise: Das versteckte Digital-Abo (Spiegel Online, 2.3.2009)
Medienkrise
Das versteckte Digital-Abo
Neue Bezahlstrategie: Weil kaum jemand für Downloads zahlt, wollen Musiklabels ihre Gebühren in Hardware-Preisen verstecken – Handys mit Musik-Flatrate zum Beispiel. Das könnte ein Modell für Medienhäuser sein. Der US-Verlag Hearst arbeitet an einem eigenen Lesegerät.
Spiegel Online, 2.3.2009
Wenn das Bild vom Griff nach dem Strohhalm passt, dann hier. Seit Jahresbeginn kommen vom US-Medienkonzern Hearst fast im Wochentakt katastrophale Nachrichten: 60 Tage habe der "Seattle Post-Intelligencer" noch zu leben, hieß es Mitte Januar. 50 Millionen US-Dollar Verlust habe 2008 allein die Regionalzeitung "The San Francisco Chronicle" gemacht – man werde sie bald verkaufen oder schließen. Nun greift Hearst laut "Fortune" nach diesem Strohhalm: In diesem Jahr werde das Verlagshaus ("Cosmopolitan", "Marie Claire", "Harper’s Bazaar", "Esquire") ein selbst entwickeltes digitales Lesegerät als Alternative zum Print-Abo anbieten.
Ein paar Details zum Kindle-Konkurrenten: Das Gerät soll einen deutlich größeren Bildschirm als Amazons Lesegerät Kindle haben, Inhalte aber auch nur schwarzweiß darstellen, über eine drahtlose Verbindung Inhalte aus dem Internet saugen (unklar ist, ob nur per W-Lan oder auch via Mobilfunk) und offen für Inhalte anderer Verlage sein. "Fortune" zitiert Hearst-Manager Kenneth Bronfin: "Wir erwarten, dass diese Geräte einen großen Teil unserer Zukunft ausmachen."
Was soll er auch anderes sagen? Bronfins Unternehmen steht wie alle
großen Verlagshäuser vor einem ähnlichen Problem wie die Musikindustrie
seit einem Jahrzehnt – und dummerweise kommen bei Verlagen noch ein
paar ganz erhebliche Probleme dazu.
Kaum jemand will für Digitales zahlen
Die Menschen sind kaum bereit, für die online verfügbaren Inhalte zu
bezahlen. Zumindest nicht in einem Maß wie in Zeiten, als die Inhalte
noch auf materiellen Trägern vertrieben wurden: Im Musikgeschäft
gleichen die steigenden Einnahmen aus bezahlten Downloads die
Umsatzverluste insgesamt nicht aus. Die Menschen hören nicht weniger
Musik, sie bezahlen insgesamt nur nicht mehr so viel wie früher dafür.
Abgesehen von Anbietern digitaler Abos für
Wirtschaftsinformationen (die meistens Unternehmen, nicht Privatkunden
bezahlen) leiden Verlage unter demselben Problem wie die
Musikindustrie. Das "Wall Street Journal"
zitiert aus einem internen Hearst-Mitarbeiterbrief diese Analyse: "Wir
haben kein Reichweiten-, sondern ein Umsatz- und
Geschäftsmodellproblem." Die Reichweite von Print- und Online-Medien
zusammenwachse, während die Umsätze schrumpfen.
Das liegt natürlich auch daran, dass die Anzeigeneinnahmen gerade
massiv einbrechen. Das trifft Verlage wie Hearst umso schmerzhafter,
weil zeitgleich auch die Abo-Erlöse sinken.
Da stehen Musikindustrie und Verlage vor derselben Frage: Wie kann man
Menschen dazu bewegen, für die immer stärker genutzten digitalen
Inhalte zu bezahlen? Die Antwort kann man so formulieren: Man gibt den
Inhalten ein neues materielles Vertriebsmedium und versucht, die
Abo-Gebühren zu verstecken.
Das erste derartige Produkt im Musikgeschäft verkauft Nokia seit
Ende vorigen Jahres in Großbritannien: Wer dort das Nokia-Handy 5800
Xpressmusic kauft, bekommt eine Musik-Flatrate dazu: "Comes With Music"
(CWM) heißt das Angebot. Ein Jahr lang nach Kauf des Mobiltelefons darf
man kostenlos DRM-geschützte Songs herunterladen, auf dem Mobiltelefon
und einem Computer abspielen.
Musiklabels verstecken die Abo-Gebühren
Die Abo-Gebühren fürs erste Jahr sind im Gerätepreis versteckt –
Nokia reicht einen Teil der Einnahmen an die beteiligten Musiklabels
weiter. In Schweden bietet Sony Ericsson mit Mobilfunkanbietern einen
ähnlichen Dienst unter dem Namen PlayNow Plus an: Die 1000 beliebtesten
Songs sind auf dem Telefon vorinstalliert, je nach Mobilfunkanbieter
kann man beliebig viele weitere Songs sechs oder zwölf Monate lang
DRM-geschützt laden.
Ob diese Versuche Erfolg haben, ist noch nicht ausgemacht. Aber das
ist derzeit die einzige innovative und die erste einigermaßen
aussichtsreiche Idee für ein neues Vertriebsmodell seit langem.
Anbieter bündeln digitale Inhalte, die Menschen nicht bezahlen wollen,
mit Geräten und Dienstleistungen, für die sie zahlen: Hardware,
Mobilfunkverträge, Internet-Zugang.
Hearst will dieses Konzept offenbar für den Printjournalismus
adaptieren. Wenn Menschen nicht für digitale Inhalte im Netz bezahlen,
dann vielleicht für ein Trägermedium, mit denen sie diese Texte
unterwegs lesen können? Amazon bietet mit dem Kindle bereits solch ein
Lesegerät: Es kostet 360 US-Dollar – ohne Inhalte, ohne Abo. Die
Herstellungskosten sind nicht bekannt, Amazons Gewinnspanne auch nicht.
Abo-Einnahmen decken nicht einmal Druck und Vertrieb
Aber für Verlage könnte es sich durchaus rechnen, jedem Abonnenten,
der eine Tagezeitung oder sogar ein Wochenmagazin für ein, zwei Jahre
abonniert, ein Lesegerät zu schenken. Heute schon decken die
Abo-Einnahmen bei den meisten Häusern nicht einmal die Druck- und
Vertriebskosten. Konkret heißt es dazu in einem Hearst-Rundschreiben,
aus dem das "Wall Street Journal" zitiert: "Derzeit lassen wir uns von
Print-Abonnenten nur einen Teil der Kosten für das Bedrucken von Papier
und den Vertrieb bezahlen."
Wie viel günstiger es sein könnte, Lesegeräte einfach zu verschenken
und die Abos digital zu vertreiben, hat im Februar der "Silicon Alley
Insider" am Beispiel der "New York Times" durchgerechnet:
Der Papiervertrieb koste demnach die "Times" 644 Millionen US-Dollar im
Jahr, allen Abonnenten einen Kindle zu schenken, sei halb so teuer.
Diese Rechnung hat nur einen gewaltigen Haken: Man weiß nicht, wie viel das Trägermedium Papier den Menschen wert ist.
- Wie viele Abonnenten würden das Angebot Digital-Abo mit kostenlosem Lesegerät annehmen?
- Wie viele Kunden würden ihr Abonnement kündigen, sollte ein Medium
den Vertrieb auf Papier tatsächlich einstellen und durch digitalen
Vertrieb ersetzen? - Welchen Anteil der Abo-Auflage müsste man für die Papierliebhaber beibehalten?
Das Beispiel Hearst zeigt, in was für einer gewaltigen Klemme manche
General-Interest Verlage stecken: Sie können die enormen Fixkosten des
Papiervertriebs nicht einfach aufgeben, weil damit ein wesentliches
Geschäftsmodell verlorengeht. Als SPIEGEL ONLINE die Leser fragte
ob sie ein Digital-Abo mit einem Lesegerät als Dreingabe bezahlen
würden, antworteten die meisten (40 Prozent): "Nein, ich liebe
Zeitungspapier."
Je nach Verlagsbilanz dürfte in der Anzeigenkrise der Papiervertrieb als Mühlstein oder Rettungsanker wirken.