Städte nehmen Millionen beim Melderegister-Datenhandel ein
4,5 Millionen Auskünfte, mehr als 12 Millionen Euro Umsatz im Jahr: SPIEGEL ONLINE hat untersucht, wie viele Einwohnerdaten die größten deutschen Städte verkaufen und was ihnen das einbringt. Die Bürger können sich kaum wehren.
Spiegel Online, 9.9.2012
Der deutsche Staat verpflichtet seine Bürger per Gesetz, Meldeämtern jeden neuen Wohnort mitzuteilen. Die Ämter dürfen diese Adressen und Namen ganz ohne Zustimmung der betroffenen Bürger grundsätzlich an Unternehmen verkaufen, so steht es im deutschen Melderechtsrahmengesetz. Informationen über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschrift dürfen die Melderegister an Firmen und Privatpersonen herausgeben.
Das tun deutsche Städte und Gemeinden im enormen Umfang. Sie geben Unternehmen, Privatpersonen und Stellen wie der GEZ Auskunft über ihre Einwohner. Einige Städte erfassen nicht einmal, wie viele Informationen sie an wen weitergeben.
SPIEGEL ONLINE hat von den 35 einwohnerstärksten Städten Deutschlands Auskünfte zum Umfang der Melderegisterauskünfte und zum Gebührenumsatz eingeholt und für die Jahre 2009, 2010 und 2011 Daten aus 28 Städten mit insgesamt 17,5 Millionen Einwohnern ausgewertet.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Die 28 untersuchten Städte haben im Jahr 2011 mehr als 4,5 Millionen Datensätze ihrer Einwohner weitergegeben.
- Rechnet man die Quote der erteilten Auskünfte je Einwohner in den untersuchten Städten auf ganz Deutschland hoch, ergibt das bundesweit 21,1 Millionen aus den Melderegistern erteilte Auskünfte, allein im Jahr 2011.
- Die 28 untersuchten Städte nahmen 2011 gut 12,1 Millionen Euro mit der Herausgabe von Meldedaten an Firmen und Privatpersonen ein (2009 waren es in 25 Städten 12 Millionen, 2010 in 26 Städten 11,4 Millionen Euro).
- Absolut am meisten Gebühren für die einfachen Auskünfte erhoben Hamburg (1,9 Millionen Euro) und Berlin (1,33 Millionen Euro). Die komplette Übersicht der absoluten Beträge und der Mengen der erteilten Auskünfte zeigt diese Karte (hier eine tabellarische Übersicht für Geräte, die keine Flash-Inhalte anzeigen).
- Rechnet man das Verhältnis von Gebühreneinnahmen zur Einwohnerzahl der 28 untersuchten Städte auf 81,8 Millionen Bundesbürger hoch, ergibt das deutschlandweit 56,4 Millionen Euro Gebühren aus dem Melderegisterhandel im Jahr 2011.
- Die meisten Auskünfte je Einwohner erteilten 2011 die Städte Karlsruhe, Hannover und Magdeburg, die wenigsten Braunschweig, Nürnberg und Hamburg. Welche Städte über, welche unter dem Durchschnitt liegen, zeigt unsere Übersicht (hier als Tabelle für Tablets, die Flash-Daten nicht anzeigen).
- Die höchsten Gebühreneinnahmen je Einwohner erwirtschafteten 2011 Wuppertal (1,53 Euro) und Mannheim (1,44 Euro), die niedrigsten Dresden (0,20 Euro), Halle (0,25) und Bielefeld (0,30 Euro). Welche Städte über, welche unter dem Durchschnitt liegen, zeigt unsere Übersicht (hier als Tabelle für Tablets, die Flash-Daten nicht anzeigen).
Meldeämter müssen nicht um Erlaubnis fragen
Diese Datenweitergabe durch die Städte unterliegt praktisch keinerlei Einschränkungen. Eigentlich gilt im deutschen Datenschutzrecht dieser Grundsatz: Wer personenbezogene Daten auswertet, weitergibt oder verkauft, muss sich das von den Betroffenen ausdrücklich erlauben lassen.
Doch für die Meldestellen, zusammengenommen einer der mächtigsten Datenverarbeiter in Deutschland, gilt das Prinzip nicht. Die Zustimmung der Bürger zur Weitergabe von Adressdaten brauchen sie nicht, so steht es im Melderechtsrahmengesetz. Bürger können nur in einigen bestimmten Fällen widersprechen.
Dieses ohnehin mickrige Widerspruchsrecht soll noch weiter eingeschränkt werden. Der Bundesrat berät am 21. September über einen entsprechenden Entwurf, der Bundestag hat ihn bereits in einer umstrittenen Hauruckaktionverabschiedet. Es zeichnet sich ab, dass der Bundesrat dem Gesetz in der aktuellen Form nicht zustimmen könnte. Das kann nun passieren:
- Wenn das Gesetz komplett scheitert, bleibt es beim Alten: Grundsätzlich dürften Städte Daten herausgeben, Bürger dürfen dem nur in einigen Fällen widersprechen.
- Kommt das neue Gesetz wie im Bundestag verabschiedet durch den Bundesrat, wird das ohnehin mickrige Widerspruchsrecht weiter eingeschränkt. Das neue Gesetz sieht vor, dass Meldeämter Adressdaten verkaufen dürfen, selbst wenn Bürger dem widersprochen haben. Eine Ausnahmeregelung soll das erlauben, wenn die Informationen “ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden”.
- Der Bundesrat könnte im Vermittlungsausschuss auch durchsetzen, dass das Melderecht den Prinzipien des Datenschutzrechts folgt. Im für die Bürger besten Fall könnte das so aussehen: Die Weitergabe von Daten an Private ist nicht mehr grundsätzlich erlaubt, sondern nur noch, wenn der Bürger dem ausdrücklich zugestimmt hat.
Viele Städte erfassen nicht, wie viele Daten sie weitergeben
Die Statistiken vieler Städte zu Melderegisterauskünften verschleiern mehr als sie zeigen. Die Kommunen verkaufen Auskünfte über ihre Einwohner, erfassen aber nicht, in welchem Ausmaß sie welchen Stellen die Informationen weiterreichen:
- Nur acht der 35 untersuchten Großstädte schlüsseln überhaupt auf, wie hoch der Anteil einfacher Melderegisterauskünfte an Firmen und Privatpersonen ist. Er lag im Jahr 2011 zwischen 81,8 (Kiel) , 57 (Dortmund) und 25,4 Prozent (Freiburg), im Durchschnitt gingen zwei Drittel der einfachen Auskünfte an private Stellen.
- Die übrigen Kommunen unterscheiden in ihren Melderegister-Aufzeichnungen nicht zwischen Firmen, Behörden und Stellen wie der Einzugszentrale für die Rundfunk-Zwangsabgabe GEZ. Hier sind die eingenommenen Gebühren ein guter Anhaltspunkt dafür, wie viele Daten an Firmen und Private herausgegeben werden – Behörden und die GEZ zahlen keine Gebühren.
- Sieben der untersuchten Städte verkaufen zwar einfache Melderegisterauskünfte über ihre Bürger, erfassen aber nicht, wie viel Geld damit verdient wird und wie viele Datensätze an Firmen gehen. Die Begründungen: Man sei dazu “nicht verpflichtet”, es gäbe “diesbezüglich kein Statistikmodul”. Die völlig intransparenten Städte sind Bremen, Duisburg, Münster, Augsburg, Mönchengladbach, Krefeld, Oberhausen.
Inkasso- und Datenfirmen fragen Register ab
Nur zwei der untersuchten Städte äußerten sich dazu, welche Firmen bei ihnen einfache Auskünfte aus dem Melderegister kaufen:
- In Bielefeld liegen bei den gebührenpflichtigen Privatanfragen eindeutig Rechtsanwälte und Inkasso-Unternehmen an der Spitze, gefolgt von Erbenermittlern und Nachlassverwaltern.
- In Bonn nutzen mehrere Unternehmen einen Direktzugriff per Internet auf die Melderegisterdaten, darunter sind Krankenkassen, Wohnungsbaufirmen, die Stadtwerke und eine Firma namens Regis24, nach eigenen Angaben “ein führender Dienstleister für Qualitätsdaten in Deutschland”, der Partnern hilft, “aktive Kunden besser zu verstehen und verlorengegangene wieder zu erreichen”.
In einigen Ländern macht der Staat solchen Dienstleistern inzwischen Konkurrenz. In Bayern wirbt zum Beispiel die Zentrale Melderegisterauskunft Zema im Netz offensiv um sogenannte Poweruser – Firmen, die gegen Bezahlung regelmäßig viele Adressdaten übers Netz abrufen. Zema verspricht den Kunden Zugriff auf Daten zu mehr als 12,5 Millionen Einwohnern, “tagesaktuell aus den lokalen Melderegistern der Kommunen gespeist”.
Rangliste Einnahmen je Einwohner 2011
Welche Stadt verdient mit ihrem Melderegister besonders viel Geld je Bürger? Je weiter oben die Stadt in dieser Rangliste steht, desto mehr Gebühren je Bewohner haben Firmen, und Privatpersonen für Melderegisterabfragen bezahlt.
Dieser Wert ist interessant, weil fast alle Städte in ihren Statistiken nicht zwischen Auskünften an Firmen und an Behörden unterscheiden. Aus den Gebühreneinnahmen kann man jedoch ungefähr herauslesen, wie hoch der Anteil privater Auskünfte im Vergleich zu anderen Städten ist. Behörden zahlen keine Gebühren. Exakt ist diese Rangfolge sicher nicht – die Gebühren variieren in den Bundesländern und es gibt Rabatt für Online-Abfragen von Großkunden.
Rangliste Auskünfte je Einwohner 2011
Welche Stadt erteilt die meisten einfachen Melderegisterauskünfte je Einwohner? Je weiter oben die Stadt in dieser Rangliste steht, desto mehr Auskünfte über die Bewohner haben Firmen, Behörden und Privatpersonen abgefragt, bezogen auf die Einwohnerzahl.
Absolute Einnahmen und Auskünfte 2011, alle Daten zum Download
Die Rohdaten mit Zahlen aus den Jahren 2009, 2010 und 2011 können Sie hier als XLS-Dokument herunterladen. Die Zahlen einiger Städte sind nur eingeschränkt mit den anderen Daten vergleichbar, die Anmerkungen dazu finden Sie in der Flash-Übersicht und im XLS-Dokument.