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Städte nehmen Millionen beim Melderegister-Datenhandel ein

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen
Städte nehmen Millionen beim Melderegister-Datenhandel ein

4,5 Millionen Auskünfte, mehr als 12 Millionen Euro Umsatz im Jahr: SPIEGEL ONLINE hat untersucht, wie viele Einwohnerdaten die größten deutschen Städte verkaufen und was ihnen das einbringt. Die Bürger können sich kaum wehren.

Spiegel Online, 9.9.2012

Der deutsche Staat verpflichtet seine Bürger per Gesetz, Meldeämtern jeden neuen Wohnort mitzuteilen. Die Ämter dürfen diese Adressen und Namen ganz ohne Zustimmung der betroffenen Bürger grundsätzlich an Unternehmen verkaufen, so steht es im deutschen Melderechtsrahmengesetz. Informationen über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschrift dürfen die Melderegister an Firmen und Privatpersonen herausgeben.

Das tun deutsche Städte und Gemeinden im enormen Umfang. Sie geben Unternehmen, Privatpersonen und Stellen wie der GEZ Auskunft über ihre Einwohner. Einige Städte erfassen nicht einmal, wie viele Informationen sie an wen weitergeben.

SPIEGEL ONLINE hat von den 35 einwohnerstärksten Städten Deutschlands Auskünfte zum Umfang der Melderegisterauskünfte und zum Gebührenumsatz eingeholt und für die Jahre 2009, 2010 und 2011 Daten aus 28 Städten mit insgesamt 17,5 Millionen Einwohnern ausgewertet.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Die 28 untersuchten Städte haben im Jahr 2011 mehr als 4,5 Millionen Datensätze ihrer Einwohner weitergegeben.
  • Rechnet man die Quote der erteilten Auskünfte je Einwohner in den untersuchten Städten auf ganz Deutschland hoch, ergibt das bundesweit 21,1 Millionen aus den Melderegistern erteilte Auskünfte, allein im Jahr 2011.
  • Die 28 untersuchten Städte nahmen 2011 gut 12,1 Millionen Euro mit der Herausgabe von Meldedaten an Firmen und Privatpersonen ein (2009 waren es in 25 Städten 12 Millionen, 2010 in 26 Städten 11,4 Millionen Euro).
  • Absolut am meisten Gebühren für die einfachen Auskünfte erhoben Hamburg (1,9 Millionen Euro) und Berlin (1,33 Millionen Euro). Die komplette Übersicht der absoluten Beträge und der Mengen der erteilten Auskünfte zeigt diese Karte (hier eine tabellarische Übersicht für Geräte, die keine Flash-Inhalte anzeigen).
  • Rechnet man das Verhältnis von Gebühreneinnahmen zur Einwohnerzahl der 28 untersuchten Städte auf 81,8 Millionen Bundesbürger hoch, ergibt das deutschlandweit 56,4 Millionen Euro Gebühren aus dem Melderegisterhandel im Jahr 2011.
  • Die meisten Auskünfte je Einwohner erteilten 2011 die Städte Karlsruhe, Hannover und Magdeburg, die wenigsten Braunschweig, Nürnberg und Hamburg. Welche Städte über, welche unter dem Durchschnitt liegen, zeigt unsere Übersicht (hier als Tabelle für Tablets, die Flash-Daten nicht anzeigen).
  • Die höchsten Gebühreneinnahmen je Einwohner erwirtschafteten 2011 Wuppertal (1,53 Euro) und Mannheim (1,44 Euro), die niedrigsten Dresden (0,20 Euro), Halle (0,25) und Bielefeld (0,30 Euro). Welche Städte über, welche unter dem Durchschnitt liegen, zeigt unsere Übersicht (hier als Tabelle für Tablets, die Flash-Daten nicht anzeigen).

Meldeämter müssen nicht um Erlaubnis fragen

Diese Datenweitergabe durch die Städte unterliegt praktisch keinerlei Einschränkungen. Eigentlich gilt im deutschen Datenschutzrecht dieser Grundsatz: Wer personenbezogene Daten auswertet, weitergibt oder verkauft, muss sich das von den Betroffenen ausdrücklich erlauben lassen.

Doch für die Meldestellen, zusammengenommen einer der mächtigsten Datenverarbeiter in Deutschland, gilt das Prinzip nicht. Die Zustimmung der Bürger zur Weitergabe von Adressdaten brauchen sie nicht, so steht es im Melderechtsrahmengesetz. Bürger können nur in einigen bestimmten Fällen widersprechen.

Dieses ohnehin mickrige Widerspruchsrecht soll noch weiter eingeschränkt werden. Der Bundesrat berät am 21. September über einen entsprechenden Entwurf, der Bundestag hat ihn bereits in einer umstrittenen Hauruckaktionverabschiedet. Es zeichnet sich ab, dass der Bundesrat dem Gesetz in der aktuellen Form nicht zustimmen könnte. Das kann nun passieren:

  • Wenn das Gesetz komplett scheitert, bleibt es beim Alten: Grundsätzlich dürften Städte Daten herausgeben, Bürger dürfen dem nur in einigen Fällen widersprechen.
  • Kommt das neue Gesetz wie im Bundestag verabschiedet durch den Bundesrat, wird das ohnehin mickrige Widerspruchsrecht weiter eingeschränkt. Das neue Gesetz sieht vor, dass Meldeämter Adressdaten verkaufen dürfen, selbst wenn Bürger dem widersprochen haben. Eine Ausnahmeregelung soll das erlauben, wenn die Informationen “ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden”.
  • Der Bundesrat könnte im Vermittlungsausschuss auch durchsetzen, dass das Melderecht den Prinzipien des Datenschutzrechts folgt. Im für die Bürger besten Fall könnte das so aussehen: Die Weitergabe von Daten an Private ist nicht mehr grundsätzlich erlaubt, sondern nur noch, wenn der Bürger dem ausdrücklich zugestimmt hat.

Viele Städte erfassen nicht, wie viele Daten sie weitergeben

Die Statistiken vieler Städte zu Melderegisterauskünften verschleiern mehr als sie zeigen. Die Kommunen verkaufen Auskünfte über ihre Einwohner, erfassen aber nicht, in welchem Ausmaß sie welchen Stellen die Informationen weiterreichen:

  • Nur acht der 35 untersuchten Großstädte schlüsseln überhaupt auf, wie hoch der Anteil einfacher Melderegisterauskünfte an Firmen und Privatpersonen ist. Er lag im Jahr 2011 zwischen 81,8 (Kiel) , 57 (Dortmund) und 25,4 Prozent (Freiburg), im Durchschnitt gingen zwei Drittel der einfachen Auskünfte an private Stellen.
  • Die übrigen Kommunen unterscheiden in ihren Melderegister-Aufzeichnungen nicht zwischen Firmen, Behörden und Stellen wie der Einzugszentrale für die Rundfunk-Zwangsabgabe GEZ. Hier sind die eingenommenen Gebühren ein guter Anhaltspunkt dafür, wie viele Daten an Firmen und Private herausgegeben werden – Behörden und die GEZ zahlen keine Gebühren.
  • Sieben der untersuchten Städte verkaufen zwar einfache Melderegisterauskünfte über ihre Bürger, erfassen aber nicht, wie viel Geld damit verdient wird und wie viele Datensätze an Firmen gehen. Die Begründungen: Man sei dazu “nicht verpflichtet”, es gäbe “diesbezüglich kein Statistikmodul”. Die völlig intransparenten Städte sind Bremen, Duisburg, Münster, Augsburg, Mönchengladbach, Krefeld, Oberhausen.

Inkasso- und Datenfirmen fragen Register ab

Nur zwei der untersuchten Städte äußerten sich dazu, welche Firmen bei ihnen einfache Auskünfte aus dem Melderegister kaufen:

  • In Bielefeld liegen bei den gebührenpflichtigen Privatanfragen eindeutig Rechtsanwälte und Inkasso-Unternehmen an der Spitze, gefolgt von Erbenermittlern und Nachlassverwaltern.
  • In Bonn nutzen mehrere Unternehmen einen Direktzugriff per Internet auf die Melderegisterdaten, darunter sind Krankenkassen, Wohnungsbaufirmen, die Stadtwerke und eine Firma namens Regis24, nach eigenen Angaben “ein führender Dienstleister für Qualitätsdaten in Deutschland”, der Partnern hilft, “aktive Kunden besser zu verstehen und verlorengegangene wieder zu erreichen”.

In einigen Ländern macht der Staat solchen Dienstleistern inzwischen Konkurrenz. In Bayern wirbt zum Beispiel die Zentrale Melderegisterauskunft Zema im Netz offensiv um sogenannte Poweruser – Firmen, die gegen Bezahlung regelmäßig viele Adressdaten übers Netz abrufen. Zema verspricht den Kunden Zugriff auf Daten zu mehr als 12,5 Millionen Einwohnern, “tagesaktuell aus den lokalen Melderegistern der Kommunen gespeist”.

Rangliste Einnahmen je Einwohner 2011

Welche Stadt verdient mit ihrem Melderegister besonders viel Geld je Bürger? Je weiter oben die Stadt in dieser Rangliste steht, desto mehr Gebühren je Bewohner haben Firmen, und Privatpersonen für Melderegisterabfragen bezahlt.

Dieser Wert ist interessant, weil fast alle Städte in ihren Statistiken nicht zwischen Auskünften an Firmen und an Behörden unterscheiden. Aus den Gebühreneinnahmen kann man jedoch ungefähr herauslesen, wie hoch der Anteil privater Auskünfte im Vergleich zu anderen Städten ist. Behörden zahlen keine Gebühren. Exakt ist diese Rangfolge sicher nicht – die Gebühren variieren in den Bundesländern und es gibt Rabatt für Online-Abfragen von Großkunden.

Meldedaten: Rangliste nach Einnahmen je Einwohner (2011)
Rang Stadt Auskünfte je Einwohner 2011
1. Wuppertal 1,33
2. Mannheim 1,32
3. Duisburg 1,13
4. Hamburg 1,08
5. Kiel 1,07
6. Stuttgart 1,06
7. Nürnberg 0,98
8. Dortmund 0,93
9. Düsseldorf 0,93
10. Hannover 0,87
11. Köln 0,87
12. Leipzig 0,87
13. Wiesbaden 0,82
14. Essen 0,81
15. Aachen 0,81
16. Braunschweig 0,80
17. Magdeburg 0,79
18. Frankfurt am Main 0,72
XX. Durchschnitt 0,71
19. Karlsruhe 0,69
20. Bonn 0,61
21. Freiburg im Breisgau 0,58
22. Chemnitz 0,53
23. Bochum 0,47
24. Berlin 0,38
25. Bremen 0,36
26. Bielefeld 0,30
27. Halle (Saale) 0,25
28. Dresden 0,20

Rangliste Auskünfte je Einwohner 2011

Welche Stadt erteilt die meisten einfachen Melderegisterauskünfte je Einwohner? Je weiter oben die Stadt in dieser Rangliste steht, desto mehr Auskünfte über die Bewohner haben Firmen, Behörden und Privatpersonen abgefragt, bezogen auf die Einwohnerzahl.

Meldedaten: Rangliste nach einfachen Auskünften je Einwohner (2011)
Rang Stadt Einnahmen je Einwohner 2011 (Euro)
1. Karlsruhe 0,670
2. Hannover 0,513
3. Magdeburg 0,384
4. Essen 0,384
5. Freiburg im Breisgau 0,375
6. Gelsenkirchen 0,367
7. Wuppertal 0,366
8. Dortmund 0,334
9. Köln 0,332
10. Düsseldorf 0,311
11. Berlin 0,304
12. Bonn 0,302
13. Mannheim 0,296
14. Frankfurt am Main 0,289
15. Wiesbaden 0,282
16. Stuttgart 0,277
xx Durchschnitt 0,264
17. Dresden 0,239
18. Kiel 0,213
19. Bochum 0,197
20. Chemnitz 0,181
21. Bielefeld 0,161
22. München 0,159
23. Leipzig 0,158
24. Nürnberg 0,136
25. Braunschweig 0,127
26. Hamburg 0,127
27. Aachen 0,115
28. Halle (Saale) 0,050

Absolute Einnahmen und Auskünfte 2011, alle Daten zum Download

Die Rohdaten mit Zahlen aus den Jahren 2009, 2010 und 2011 können Sie hier als XLS-Dokument herunterladen. Die Zahlen einiger Städte sind nur eingeschränkt mit den anderen Daten vergleichbar, die Anmerkungen dazu finden Sie in der Flash-Übersicht und im XLS-Dokument.

 

Meldedaten: Auskünfte und Einnahmen 2011
Einwohner Einfache Auskünfte Auskünfte je Einwohner Einnahmen Anteil Auskünfte an Private 2011 (%)
Berlin 3.499.879 1.065.000 0,304 1.337.000 65,07 %
Hamburg 1.798.836 227.749 0,127 1940179
München 1.378.176 218.927 0,159 keine Angaben
Köln 1.017.155 337.294 0,332 885.320 53,66 %
Frankfurt am Main 691.518 175.000 0,289 500.000
Stuttgart 613.392 170.000 0,277 650.000
Düsseldorf 592.393 184.487 0,311 550.386
Dortmund 580.956 194.000 0,334 542.000 57,22 %
Essen 573.468 220.000 0,384 465.000
Bremen 548.319 keine Angaben keine Angaben 199.464
Dresden 529.781 126.400 0,239 106.821 27,19 %
Leipzig 531.809 84.220 0,158 462.000
Hannover 526.296 270.000 0,513 460.000
Nürnberg 510.602 69.547 0,136 500.000
Duisburg 488.005 keine Angaben keine Angaben 550.000
Bochum 373.976 73.685 0,197 175.584
Wuppertal 349.470 128.000 0,366 464.000 45,31 %
Bonn 327.913 99.000 0,302 200.000
Bielefeld 323.395 52.177 0,161 98.000
Mannheim 314.931 93.150 0,296 417.000
Karlsruhe 297.488 199.340 0,67 203.822
Münster 291.754 keine Angaben keine Angaben keine Angaben
Wiesbaden 278.919 78.567 0,282 229.067 38,19 %
Augsburg 266.647 keine Angaben keine Angaben keine Angaben
Aachen 260.454 30.000 0,115 210.000
Mönchengladbach 257.208 keine Angaben keine Angaben keine Angaben
Gelsenkirchen 256.652 94.065 0,367 keine Angaben
Braunschweig 250.665 31.869 0,127 200.000
Chemnitz 243.173 43.943 0,181 128.160
Kiel 242.041 51.656 0,213 260.190 81,82 %
Krefeld 234.396 keine Angaben keine Angaben keine Angaben
Halle 233.705 11.652 0,05 58.058
Magdeburg 232.364 89.205 0,384 184.393
Freiburg im Breisgau 229.144 85.853 0,375 132.780 25,4 %
Oberhausen 212.568 keine Angaben keine Angaben keine Angaben

 

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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