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Microsofts Messe-Versprechen: Der böse Steve ist plötzlich brav (SpOn, 8.1.2009, mit Mattias Kremp)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Microsofts Messe-Versprechen

Der böse Steve ist plötzlich brav

Premiere für Microsoft-Boss Steve Ballmer: Als Nachfolger von Bill Gates hielt er erstmals die Eröffnungsrede zur Mega-Unterhaltungsmesse CES. Er versprach eine öffentliche Vorabversion des neuen Betriebssystems Windows 7 – und war für seine Verhältnisse ausgesprochen zurückhaltend.

Spiegel Online, 8.1.2009, mit Matthias Kremp

Steve Ballmer stampft auf die Bühne, marschiert schnell nach vorn, auf die 5000 Menschen zu, stemmt die riesigen Hände in Hüften, so dass sein dunkelroter Pullover etwas spannt, beugt sich in Angriffsstellung vor und sagt: "Das ist also die CES."


Ja, das ist die größte Hightech-Show der Welt, die Bill Gates 15 Jahre lang eröffnet hat. Und nun ist Ballmer dran. Ausgerechnet 2009. Ballmer steht vor einem riesigen Saal voller Leute, die etwas Aufmunterung gebrauchen könnten. Es ist Rezession – wer kauft da schon 3-D-Fernseher?

Etwas Optimismus, ein paar atemberaubende Produkte, ein paar anfeuernde
Sätze – wer wäre besser geeignet, die herauszubrüllen als Ballmer, der
einst einen Saal voller Software-Entwickler zum Mitklatschen brachte,
indem er auf der Bühne stampfte, hüpfte, und mit heiserer Stimme
schweißüberströmt wieder und wieder "Developers, Developers, Developers" ("Entwickler, Entwickler, Entwickler") schrie. Steve Ballmer, der
Gegenentwurf zu dem eher pastoralen anderen Branchen-Steve,
brüllt nicht ein einziges Mal in Las Vegas. Er spult zur Aufmunterung
ein paar Weisheiten ab: Wer in der Rezession forscht, ist besser dran,
wenn die Wirtschaft wieder wächst. Die Kraft neuer Ideen treibt die
Menschheit voran. Und so weiter.

Nur selten wird Ballmer etwas lauter. Als er die Erfolgsgeschichte des
PCs erzählt, zum Beispiel. Da hebt Ballmer seine Stimme an, die Arme
hoch, zeigt mit seinen Schaufelhänden auf sich selbst und sagt "Ich bin
ein PC" – ein Zitat aus Microsofts eigener Anti-Apple-Werbekampagne. Er
brüllt nicht, er hebt die Stimme nur etwas. Und dann noch ein wenig:
"Und ich bin stolz darauf." Lauter wird es nicht an diesem Abend. Auch
die Produktankündigungen sind verhalten. Viel Neues hat Microsoft nicht
zu bieten, Überraschungen schon gar nicht.

Ballmer wirkt, als würde er sich zurückhalten. Nur manchmal ist da
etwas von der Energie, die man von seinen bekanntesten Auftritten
kennt. Zum Beispiel als Ballmer einen Seitenhieb gegen Yahoo-Chef Jerry
Yang austeilt, der Microsofts Übernahmeangebot ablehnte und später von
seinen Aktionären dafür abgestraft wurde: Yang chatte ihn immer wieder
mal an und frage: "Warum willst du nicht mein Facebook-Freund sein". 

Ballmer spult den Gag routiniert ab, und schiebt ein spontanes, fieses,
lautes Lachen hinterher. Wenn Präsentationsvideos laufen, reibt Ballmer
sich die Hände, läuft auf der Bühne hin und her, stemmt die Arme in die
Hüften. Er strotzt vor Kraft und Angriffslust, kommt aber nicht aus
sich heraus.

Wie Microsoft überhaupt an diesem Abend.

Eine Vorabversion von Windows 7, neues Web-Dienste, Kooperation und Spielspaß: Lesen Sie, was Microsoft für 2009 geplant hat.

Windows 7 – Multitouch und Miniaturfenster

Auf der Haben-Seite konnte Ballmer vermelden, dass die Entwicklung
des Vista-Nachfolgers Windows 7 bisher ganz nach Zeitplan verläuft.
Pünktlich zum anvisierten Termin Anfang 2010 soll es fertig sein. Bis
dahin sollen noch reichlich Verbesserungen eingebaut, Fehler entfernt
und neue Funktionen integriert werden.

Dabei setzt Microsoft voll auf die Mithilfe der Anwender. Ab Freitag
soll deshalb eine öffentliche Vorabversion des kommenden
Betriebssystems zum Herunterladen bereitstehen. Abonnenten der
Microsoft-Dienste für Software-Entwickler bekommen die neue Version
sogar schon seit dem Mittwochabend (Ortszeit).

Als Highlights des künftigen Windows wurden vier Bereiche genannt: 

  • Miniaturen aller aktiven Fenster im Taskbar sollen die Navigation zwischen verschiedenen Programmen vereinfachen.
  • Häufig genutzte Programme können im Taskbar abgelegt, per Mausklick schnell aufgerufen werden,
  • Das Einrichten von Heimnetzwerken soll durch eine "Home-Group"-Funktion vereinfacht werden.
  • Multitouch-Bedienung des PCs, ganz ähnlich wie beim iPhone, gehört künftig zum Standard.

Zudem soll das neue Windows etliche Macken seines Vorgängers
ausbügeln, zum Beispiel schneller starten, weniger hohe Ansprüche an
die Hardware stellen und mit Akku-Strom sparsamer umgehen. Ballmer
empfiehlt, dass jeder Windows-Nutzer die Betaversion von Windows 7
laden und ausprobieren soll. Wirklich empfehlenswert ist das aber nur
dann, wenn man es auf einem Rechner tut, bei dem es nicht schlimm ist,
sollte er durch einen Software-Fehler ausfallen. Man weiß ja nie.

Windows Live

Die Windows-Live-Online-Dienste Mail, Messenger und Photo Gallery
werden künftig als Paket unter dem Titel Windows Live Essentials
kostenlos angeboten. Microsoft versucht hier vor allem mit Googles
Online-Angeboten zu konkurrieren.

Ganz ähnlich wie es
Apple kürzlich für seine Bildersoftware iPhoto angekündigt hat,
verknüpft Microsoft seinen Online-Bilderdienst Photo Gallery jetzt mit
Facebook. Änderungen auf einem der beiden Dienste sollen automatisch
mit dem jeweils anderen abgeglichen werden. Zudem will Microsoft als
Aggregator für soziale Netzwerke dienen, beispielsweise
Facebook-Statusmeldungen in seine Live-Dienste integrieren.

Microsofts Marktanteil bei den Online-Angeboten, vor allem bei den
Internet-Suchdiensten, will Ballmer offenbar durch Kooperationen
vergrößern. So sollen die Windows-Live- Essentials und die Windows Live
Suche künftig auf vielen Dell-PCs vorinstalliert werden. Ganz ähnlich
sieht eine Vereinbarung mit dem US-Mobilfunkanbieter Verizon aus. Alle
Handys, die Verizon künftig verkauft, werden bei der Online-Suche
automatisch auf Microsofts Dienste zurückgreifen.

Windows Mobile

Das Handy-Betriebssystem Windows Mobile wird um eine neugestaltete
Mobilversion des Internet Explorers erweitert. Die basiert jetzt auf
derselben Rendering-Technologie wie Microsofts Webbrowser für PCs, soll
Web-Seiten daher genauso darstellen können wie der – bloß kleiner.

Außerdem haben die Entwickler Adobes Flash-Technologie in den
Mobil-Explorer eingebaut. Flash ist vor allem für multimediale
Online-Angebote wichtig, wird beispielsweise oft gebraucht, um Filme
abzuspielen. Zudem wurde eine Funktion gezeigt, die hilft, mit der
Handy-Kamera auf simple Weise Panoramafotos zu erstellen, was gut
funktionierte. 

Xbox 360

Die Neuheiten für Microsofts Spielkonsole Xbox 360 präsentierte
nicht Ballmer, sondern Robbie Bach, Chef von Microsofts
Unterhaltungsgeräteabteilung. Der hatte keine Mühe, sich und seine
Abteilung in einem gleißend hellen Licht darzustellen. 2008 habe
Microsoft mehr Spielkonsolen als je zuvor abgesetzt, was wohl auch dem
Preis von unter 200 Euro geschuldet ist. Der Online-Dienst für die Xbox
360 hat mittlerweile 17 Millionen Mitglieder. Für 2009 aber hat sich
Bach offenbar vorgenommen, vor allem durch neue Spiele und Software
Kunden zu gewinnen.

So bekommt der Erfolgs-Shooter Halo 2009 gleich zwei Nachfolger. Zum
einen die Strategiespiel-Variante Halo Wars. Im Gegensatz zu Halo geht
es darin weit weniger gewalttätig zu, so dass das Spiel nicht nur an
Erwachsene, sondern auch an Jugendliche verkauft werden darf. Vor allem
aber wurde Halo 3 ODST, der Nachfolger der aktuellen Version,
angekündigt. Einen konkreten Veröffentlichungstermin dafür gibt es zwar
noch nicht, aber irgendwann im Herbst soll es soweit sein. Insofern
muss man aus Sicht gutinformierter Gamer sagen: Etwas Überraschendes
hatte Bach nicht zu erzählen.

Für
Xbox-360-Besitzer, die selbst einmal unter die Spieleautoren gehen
wollen, stellte Bach das Entwicklerpaket KODU vor. Damit sollen selbst
des Programmierens vollkommen unkundige Anwender in die Lage versetzt
werden, Xbox-Spiele direkt auf der Spielkonsole selbst, also ohne PC,
zu erstellen. Auch das war keine Neuigkeit, auch wenn sich der Name des Spielbaukastens geändert zu haben scheint.

Nebenbei soll die Software die Grundzüge des Programmierens
vermitteln. Wie das funktioniert, erklärte nicht etwa Robbie Bach,
sondern die zwölfjährige Sparrow Buerer, die an ihrer Vorstellung
sichtlich Freude hatte und dafür vom Publikum mit einem kräftigen
Extra-Applaus belohnt wurde. Am meisten Spaß bereitete ihr aber
offenkundig, das sie Bach in einer kurzen Spielpartie vollkommen
chancenlos ließ.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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