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Microsofts Suchmaschinen-Taufe: Heute schon gebingt? (Spiegel Online, 6.4.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Microsofts Suchmaschinen-Taufe

Heute schon gebingt?

Kiev? Kumo? Bing? Software-Riese Microsoft sucht mal wieder einen Namen für seine Super-Suchmaschine. Im Sommer soll das Web-Wunder starten – über die bisherigen Namensvorschläge spotten sogar Microsoft-Entwickler.

Spiegel Online, 6.4.2009

“Google das mal”, hat jeder Deutsche schon einmal gesagt, der häufiger das Internet nutzt. Der zum Verb umgemodelte Marken- und Firmenname steht sogar im Duden. Microsoft hat so eine Verb-Werdung nicht geschafft – so kann man all die Probleme des Software-Konzerns mit dem Web recht kurz und anschaulich beschreiben. Niemand weiß, wie Microsofts Web-Suche eigentlich heißt. Und niemand denkt darüber nach, weil das Angebot kaum genutzt wird.

Im Sommer will Microsoft das mit einer neuen Suchmaschine endlich ändern. Der neue Dienst soll Suchergebnisse “menschenlesbar” machen, sich an den “wesentlichen Anliegen” der Kunden orientieren, erzählt Microsoft-Suchchef Stefan Weitz in Interviews. Was das konkret bedeutet, weiß außerhalb von Microsoft noch niemand; wie der Dienst heißen soll, wissen wohl noch viel weniger Menschen. Microsofts Suchmaschinentaufe ist inzwischen ein Dauerwitz im Web – die bisherigen Ideen waren so merkwürdig, dass eine Schar von Bloggern und Journalisten sehr aufmerksam jeden Hinweis verfolgt.

Nun ist es wieder einmal so weit: Der US-Fachdienst ZDNet hat Microsoft-Markenanträge entdeckt, die den Begriff “Bing” schützen. Bing? Bing, so soll laut Antrag 77681512 beim US-Patent- und Markenamt (USPTO) eine Website heißen, die “Links zu geografischen Informationen, Landkartenbildern und Routenplanern” bietet. Und “Bing” soll auch (Antrag 77681498) eine “Computer-Suchmaschinen-Software” heißen. Die Domain bing.com ist schon auf Microsoft registriert.

Bing? So wie: “Ich habe das gebingt”? Klingt komisch, aber immerhin kann man das aussprechen. Bevor Bing auftauchte, drohte aus der neuen Microsoft-Suche Kumo zu werden. Kumo, das erklärt Mircosoft-Markenantrag 77626901 vom vorigen Dezember für eine “Computer-Suchmaschinen-Software” diesen Namen, bedeute im Japanischen sowohl “Spinne als auch Wolke”.

Das ist ein wunderbar wolkiger Name für eine Suchmaschine, der als Verb aber so gar nicht funktioniert. “Ich kumoe das mal?” Im Englischen klingt das nicht besser: “kumoed”, “kumod” oder gar “kumd”?

Klingt nicht, aber immerhin gibt es auf diesem Planeten heute schon Menschen, die “kumoed” sagen. Laut BBC hat der Brite Rob Wilson ein merkwürdiges Spiel namens Kumo erfunden: Man erzählt jemandem eine möglichst absurde, aber irgendwie doch glaubwürdige Lügengeschichte. Wenn das Opfer sie jemandem weitererzählt, wurde es “kumoed”. Man kann Kumo also aussprechen – allerdings in einem für eine Suchmaschine eher unvorteilhaften Zusammenhang.

Die Domain kumo.com gehört inzwischen auch Microsoft. Dass daraus je eine Marke wird, ist inzwischen wohl recht unwahrscheinlich, nachdem sich Microsoft-Boss Steve Ballmer bereits öffentlich über den Namen lustig gemacht hat. In einem Pressegespräch im März soll er laut dem “Silicon Alley Insider” auf die Frage nach Kumo gewitzelt haben: “Nun, wir brauchen einen Namen. Kumo, das ist ein interessanter Name.”

So interessant, dass Microsoft-Manager Kumo zum Gegenstand von Aprilscherzen machten. In einer internen E-Mail, die das “Wall Street Journal” zitiert, teilte Microsoft-Manager Brian MacDonald am 1. April den Kollegen mit, das Marketing habe die geniale Idee gehabt, Kumo einfach umzudrehen und die neue Microsoft-Suchmaschine Omuk zu nennen. In der so selbstironischen wie witzigen E-Mail erklärte MacDonald, warum:

  • “Einer der wirklich cleveren Produktnamen aller Zeiten ist der des Betriebssystems GNU, was für Gnu ist nicht Unix steht, und wo das G gar nichts bedeutet. Irgendwie schrullig und lustig.” In diesem Stil heiße Omuk: “Omuk means unlimited knowledge” (Omuk bedeutet unbegrenztes Wissen)
  • “In Tests hat Omuk sehr gut bei Eigenschaften wie ‘stärkend’, ‘organisiert’ und ‘warm/flaumig’ abgeschnitten.”

Dieser E-Mail hat MacDonald einen Screenshot des neuesten Omuk-Layouts (“mit den wichtigsten Bereichen”) angehängt. Als Bereiche sieht man: Bilder, Videos, Einkaufen, Nachrichten – und: Erwachsenenunterhaltung.

Die Marketing-Realität ist allerdings noch absurder als dieser Aprilscherz: Der Marktanteil von Microsofts Suchmaschinen ist seit 2005 weltweit um 61 Prozent gesunken. Yahoo verlor 41, Google gewann 31 Prozent.

Das Absurde daran ist, dass Microsoft in dieser Zeit viel Arbeit, Geld und Marketingmühen in den Aufbau brauchbarer und bekannter Web-Dienste gesteckt hat.

  • 1998 startete die Microsoft-Suchmaschine als MSN Search (mit zugelieferten Suchergebnissen des Dienstleister Inktomi).
  • 1999 verknüpfte MSN Search Suchergebnisse der Dienstleister Looksmart, Inktomi und zwischenzeitlich auch von Altavista, bis Microsoft eine eigene Suchtechnologie fertig hatte und einsetzte.
  • 2006 wurde aus MSN Search Windows Live Search, 2007 verschwand das Windows aus dem Namen und Live Search wurde zu einem eigenen Angebot außerhalb der “Windows Live“-Produktgruppe.

Das Kuddelmuddel könnte noch viel größer sein – schon eine kleine Recherche fördert ein halbes Dutzend Namensideen zutage, die bei dem Windows-Konzern wohl einmal für die Suchmaschine kursierten. Die witzigsten:

  • Kiev. Sucht man mit Live Search auf der Seite kumo.com, taucht als erster Treffer dieser Satz aus einer Selbstdarstellung auf: “Get to know Kiev Search. Search the web.”
  • Hook. Laut ZDNet war 2008 der Name “Hook” noch ein starker Konkurrent für “Bing” und “Kumo” – allerdings gehören bing.com und kumo.com heute Microsoft, die merkwürdige Dating-Seite unter der Domain hook.com hingegen hat ihren Firmensitz in Hongkong.
  • Tafiti. Microsofts Antrag 77420336 reklamiert beim US-Patentamt die Wortmarke Tafiti für eine “Computer-Suchmaschinen-Software und Computer-Programme zum Zugang zu Computer-Netzwerken.”
  • Sift. Microsofts Antrag auf eine US-Wortmarke (77646936) vom 9. Januar beansprucht Schutz für den Begriff Sift für ein “Mobiltelefon-Betriebssystem, Suchmaschinen-Software, Programme zum Durchsuchen von E-Mails, Textnachrichten, Adressen und Kontaktinformationen.”
  • Laser. Die Wortmarke “Laser” als Bezeichnung eines “anpassbaren Suchwerkzeugs” hat Microsoft schon 2008 aufgegeben.

Das alles klingt so aberwitzig, dass man Microsofts öffentlichen Aprilscherz fast ernst nehmen muss. Im Live-Search-Firmen-Blog verkündete Microsoft-Managerin Whitney Burk als neuen Suchmaschinen-Namen “MSN Windows Live Search on kumo@microsoft.com”. Man habe lange geforscht und festgestellt, dass viele Nutzer Angst vor Veränderungen haben. Deshalb habe der neue Name “starke Bindungen zur Vergangenheit”. Man habe sogar noch eines dieser “schicken” @-Zeichen reinschmuggeln könne, die “Tweeters so sehr zu mögen scheinen”.

Burks Abschiedsgruß: “Genießen Sie die neue Marke. Lang möge sie leben!”


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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