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Milliarden-Projekt in China: Größte Stadt der Welt baut das Überwachungsparadies (Spiegel Online, 28.6.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Milliarden-Projekt in China

Größte Stadt der Welt baut das Überwachungsparadies

500.000 Überwachungskameras für ein “Friedvolles Chongqing”:  Die chinesische Millionen-Metropole investiert Milliarden in Überwachungstechnik. Als Zulieferer sind US-Konzerne wie Cisco und HP im Gespräch – die Manager wehren sich nun gegen Vorwürfe.

Spiegel Online, 28.6.2011

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Die Machthaber in der Millionenmetropole Chongqing im Südwesten Chinas haben große Pläne: “Friedvolles Chongqing” heißt ein Programm, das der Sicherheitschef im Frühjahr beim KP-Parteitag in Peking vorstellte. Umgerechnet 1,8 Milliarden Euro (17 Milliarden Yuan) werde man für moderne Überwachungstechnik ausgeben, kündigte Sicherheitschef Wang Zhijun damals an. Bis 2012 sollen 500.000 Videoüberwachungskameras neu installiert und so vernetzt werden, dass sie zentral steuer- und auswertbar sind. Wang nannte im Gespräch mit einer Pekinger Boulevardzeitung das System damals stolz das “größte Sicherheits-Netzwerk der Welt”.

Nun berichtet das ” Wall Street Journal“, dass ein Teil der Technik für das “Friedvolle Chongqing” von US-Firmen kommen könnte. Laut “WSJ” ist der Netzwerkriese Cisco in der engen Auswahl als möglicher Zulieferer für den Hauptauftragnehmer, den chinesischen Konzern Hangzhou Hikvision. Die Zeitung beruft sich auf nicht genannte Quellen bei Hikvision, die Informanten sagen, Hikvision habe Cisco von sich aus einbezogen.

Ein Cisco-Sprecher lehnte es ab, die mögliche Beteiligung der Firma an dem Videoüberwachungsprojekt im Detail zu kommentieren. Der Sprecher betonte gegenüber dem “Wall Street Journal” aber, Cisco habe noch nie “Videokameras oder Videoüberwachungssysteme im Rahmen seiner Projekte in China” verkauft.

Die Wortwahl dieser Stellungnahme dürfte gut abgewogen sein. Cisco streitet nicht ab, Netzwerk-Technik nach China zu liefern – die Kernprodukte der Firma. Wie chinesische Käufer die Router, Netzwerkmanagement- und Automatisierungssysteme der Firma einsetzen, kann Cisco im Detail nicht kontrollieren. Menschenrechtsaktivisten in den Vereinigten Staaten kritisieren die Firma seit Jahren wegen der Technik-Exporte nach China. Im Jahr 2008 spielten Informanten dem US-Magazin “Wired” eine interne Cisco-Präsentation zu Absatzchancen in China zu, in der Chinas Internet-Zensursystem unter der Überschrift “Chancen” auftaucht.

Cisco lieferte Technik für Chinas Netz-Kontrolleure

Damals räumte ein Cisco-Sprecher gegenüber ” Wired” ein, das Unternehmen habe Router im Wert von etwa 100.000 Dollar für das Filterprojekt geliefert, man habe die Technik aber nicht an Chinas Zensurabsicht angepasst. Mit dieser Argumentation wehrt Cisco seit Jahre Kritik an den Exporten ab: Netzwerkinfrastruktur sei vielfältig einsetzbar, man passe sie nie an die Bedürfnisse autoritärer Regime an. CiscosChefjurist Mark Chandler rechtfertigte das im Juni im Firmenblog so:

“Die an China gelieferte Ausrüstung ist dieselbe, die wir weltweit anbieten. Sie enthält Standardfunktionen zum Netzwerk-Management, die zum Beispiel US-Bibliotheken nutzen, um für Kinder unangemessene Inhalte zu blockieren. Es ist dieselbe Technik, die Internetprovider und Firmen weltweit nutzen müssen, um Viren und Angriffe auf ihre Infrastruktur zu stoppen.”

Chandler sieht Cisco nicht in der Verantwortung, wenn Kunden die Technik anders nutzen. Cisco betreibe keine öffentlichen Netze, schreibt der Jurist, das liege in der Verantwortung anderer: “Individuen, Firmen und Staaten treffen ihre eigenen Entscheidungen, wie sie Netzwerke betreiben.”

Chinas Kontrolldienstleister exportieren Videotechnik weltweit

Anders gesagt: Es könnte schon sein, dass irgendein Sicherheitsdienst in China vielleicht Überwachungsvideos von Demonstrationen oder Ai Weiweis Aufenthaltsort und E-Mails von Oppositionellen mit Hilfe von Cisco-Router auswertet – dafür angepasst und installiert hat die Firma die Technik dann aber nicht.

Ähnlich argumentiert HP. Das Unternehmen soll laut “Wall Street Journal” in der Auswahl für einen Zulieferer-Auftrag (Server und Speicherlösungen) beim Projekt “Friedvolles Chongqing” sein. Auf den möglichen Einsatz von HP-Systemen bei Repressionsmaßnahmen angesprochen, antwortete ein HP-Manager dem Journal: “Wir nehmen sie beim Wort, was die Nutzung angeht.” Ende Juni war HP-Chef Leo Apotheker in Chongqing und unterzeichnete ein ” strategisches Kooperationsabkommen” mit der Stadtverwaltung.

Dass chinesische Behörden und Dienstleister spezielles Überwachungs-Knowhow bei westlichen Unternehmen ankaufen, erscheint wenig plausibel. Das Thema ist zu heikel, der Einsatzzweck zu bedeutend. Abgesehen davon sind chinesische Firmen auf dem Gebiet schon gut genug, um die in China erprobte Technik ins Ausland zu exportieren.

Hangzhou Hikvision, der Hauptauftragnehmer für das neue Überwachungssystem in Chongqing zum Beispiel, exportiert Videoüberwachungstechnik seit Jahren weltweit: Im Nürnberger Hauptbahnhof filmen Hikvision-Überwachungskameras, die Firma liefert Videoüberwachungslösungen für iranische Banken und brasilianische Ministerien. In China hat Hikvision für viele prestigeträchtige Staatsaufträge bekommen – die Videoüberwachung des Nationalstadions bei den Olympischen Spielen in Peking, die Überwachung der Eisenbahnstrecke nach Tibet, die Magnetschwebebahn in Shanghai.

China sei der am schnellsten wachsende Markt für Überwachungs-Technik, urteilen Analysten der britischen Marktforscher von IMS Research. Um 23 Prozent wuchs der Markt im Vorjahr; allein für Überwachungskameras wurden – ohne Software und Netzwerktechnik – 1,7 Milliarden Dollar ausgegeben.

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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